Wahrheitsliebe in Zeiten der Cholera: Jemen-Berichterstattung mangelhaft
Seite 2: Ein Strellvertreter-Krieg
Und wenn nicht die US-Regierung Truppen in den Kampf schickte, dann könnte es ja immer noch ein einflussreicher Privatmann tun. Einer wie Blackwater-Gründer Eric Prince, der besonders zur jetzigen US-Regierung unter Trump beste Beziehungen hat. Die kleinen Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) gelten als wichtiger Verbündeter Riads im Jemenkrieg, sie schicken Söldnertruppen -nach dem "Prinzip Blackwater.
Diese Ereignisse lassen das "(we are) not directly involved" der NYT als blasse Ausflucht am Rande der handfesten Lüge dastehen. Alles deutet vielmehr auf einen im Geheimen geführten Stellvertreterkrieg hin, bei dem Briten als Handlanger und Saudis als Galeonsfigur dienlich sind. Kann es sein, dass unsere Qualitäts- und Leitmedien mit ihrem Journalistenheer in Armeestärke und ihren Milliardenetats all das nicht mitbekommen oder nicht begreifen können? Michael Lüders zieht eine andere Schlussfolgerung:3
Die Kriegsführung Saudi-Arabiens nimmt bewusst und vorsätzlich nichtmilitärische Ziele im Jemen ins Visier... Genau das, was Russland und dem Assad-Regime in Syrien zum Vorwurf gemacht wird, gehört im Jemen zum Kriegsalltag, interessiert aber im Westen so gut wie niemanden. Denn dort, im Jemen, sind die Rollen von "gut" und "böse" anders verteilt.
Michael Lüders
Britannia rules the waves
Nicht nur die sieben Weltmeere, sondern auch die Arabische Halbinsel war einst Teil des Britischen Empire. Da lag es für Washington vielleicht nahe, hier einmal einen Krieg seines überdehnten New-American-Century-Empire an London zu delegieren. Doch wie verträgt sich das mit der (Noch-)Mitgliedschaft der Briten in der EU? Großbritannien ist nach den USA der größte Waffenlieferant für Saudi-Arabien, das im Nahen Osten zum wichtigsten Kunden für die britische Waffenindustrie aufstieg.
So wurden seit 2010 Lizenzen für Exporte von Kriegswaffen im Wert von 8,4 Milliarden Euro ausgestellt, 3,5 Milliarden davon, seit Saudi-Arabien den Jemen-Krieg eingemischt hat, stellte Telepolis schon im April 2016 fest (siehe: Großbritannien: Waffenlieferungen für den Jemen-Krieg).
Auch Merkels Bundesregierung hat 2016 Exporte nach Saudi-Arabien genehmigt: Berlin gab grünes Licht für die Ausfuhr von 23 zivilen Hubschraubern mit militärischen Einbauten, dazu wurden 48 militärische Patrouillenboote genehmigt, obwohl schon Meldungen über Angriffe auf Schulen und Krankenhäuser vorlagen sowie über die grausamen Folgen des Embargos auf die Nahrungs- und Wasserversorgung.
Darf das sein? Angesichts des (laut Expertenurteils von Daniele Ganser) völkerrechtswidrigen Angriffskrieges der Saudi-Allianz auf den Jemen? Angesichts der äußerst brutalen Kriegsführung gegen die Zivilbevölkerung und der offenkundigen Menschenrechtsverletzungen? Ganser zitiert zum Vergleich der Lage in Syrien mit der des Jemen den Schweizer Präsidenten des Internationalen Roten Kreuzes, Peter Maurer. Der habe nach einer Reise in den Jemen erklärt:4
Im Jemen sieht es nach fünf Monaten Bürgerkrieg schlimmer aus als in Syrien nach fünf Jahren.
Peter Maurer
Vor zwei Monaten erklärte der Britische High Court den immensen Verkauf britischer Rüstungsgüter an die das Völkerrecht brechende Kriegspartei Saudi-Arabien für rechtmäßig. Thomas Pany nahm sich in seinem Kommentar die Freiheit, Punkt 116 der wortreichen Urteilsbegründung als zentral hervorzuheben.
Die Richter argumentierten nämlich damit, dass die Londoner Regierung sehr viel besser Bescheid wisse als die Kritiker des Waffengeschäfts, also sei ihre Einschätzung auch die bessere. Die Möglichkeit, dass ihre Regierung nicht die Wahrheit sagen könnte, zogen die Richter Ihrer Majestät nicht in Betracht. Sie sind vermutlich keine großen Fans des Films "Jede Regierung lügt" (Oliver Stone 2016).
Besagte aus Richtersicht schlecht informierten "Kritiker" waren die Aktivisten der Kampagne gegen Waffenhandel (Activists from Campaign Against the Arms Trade - CAAT), welche die Klage vor den High Court brachten, angeschlossen hatten sich zudem Amnesty International, Human Rights Watch, Rights Watch (UK) und Oxfam (ein Depot von Oxam im Jemen wurde Ziel der Bombardierungen).5.
Rechtliche Grundlage der CAAT-Klage waren ethische EU-Standards für Waffenexporte: Der "Gemeinsame Standpunkt für den Waffenexport" fordert, dass das Empfängerland die Einhaltung der Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht achtet. Aus welchen Leitmedien haben sich diese Richter wohl über Saudi-Arabien informiert?
In Großbritannien ausgebildete saudi-arabische Kampfpiloten fliegen im Jemen Angriffe aus Flugzeugen, die in Großbritannien gebaut wurden, dabei verwenden sie lasergelenkte Paveway-Bomben ebenfalls aus britischer Produktion und treffen nicht selten unschuldige Zivilisten.
Thomas Pany, "Britischer High Court: Waffenhandel mit Saudi-Arabien ist rechtmäßig"
Eingesetzte Waffen
Damit nicht genug: Zu befürchten ist, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen einer derzeit im Jemen akut auftretenden Häufung von Fehlgeburten und den Missbildungen und den Kämpfen; ob das Militär Saudi-Arabiens tatsächlich Uran-Munition einsetzt, sei nicht bekannt, so Telepolis-Autorin Birgit Gärtner.
Unbestritten aber sei, dass die Saudis Clusterbomben einsetzen, die eine panzerbrechende Wirkung haben. Wie genau man diese Wirkung erziele, sei ein Geheimnis zwischen den Herstellern in den USA bzw. Großbritannien und Riad. Bekannt sei aber, so Gärtner weiter, dass sich diese panzerbrechende Wirkung mit einem Geschossmantel aus abgereichertem Uran erzielen lässt, einem Abfallprodukt aus der Atom-Industrie.
Eine grausige Vorstellung: Giftiger Atommüll aus westlichen AKWs, der in Kriegsgebieten "entsorgt" wird - zu Lasten der Menschen, ihrer Kinder und Kindeskinder. Dagegen wirken Agenda Setting und Framing, mit dem unsere Leitmedien die öffentliche Wahrnehmung des Konfliktes lenken, verharmlosend: Der arme Jemen als Choleragebiet und irgendwie auch in einem Bürgerkrieg.