Wald 2022: Grüne Lunge oder Mondlandschaft?
Seite 2: Waldeslust und Waldesfrust: Beispiel NRW
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Nordrhein-Westfalen weist einen hohen Privatwaldanteil auf – den höchsten eines Flächenlandes in ganz Deutschland (63 Prozent Privatwaldbesitz). Zu deutlich geringeren Anteilen gehört der Wald dem Land (13 Prozent), dem Bund (3 Prozent) oder ist Körperschaftswald (21 Prozent). Im Sauerland dominieren die mittelgroßen Betriebe. Bergisches Land und Münsterland sind typische Gegenden mit kleineren Betrieben.
Zur Region:
Wald bedeckt fast 40 Prozent des Oberbergischen östlich und nordöstlich von Köln (NRW gesamt: rd. 27 Prozent) und zählt damit zu den grünen Lungen von NRW. Ich lebe seit mehr als 30 Jahren im bergischen Kreisgebiet. Hier, so wirbt der regionale Tourismusverein, haben wir eines der waldreichsten Gebiete von Nordrhein-Westfalen.
Und als ich hierher zog, in den 1980er Jahren, war das auch der gefühlte Eindruck: Als vormaliger Städter war man mächtig beeindruckt von den Wäldern rechts und links des Aggertals, sie sich kilometerweit hoch auf die Anhöhen erstrecken und in denen man sich buchstäblich verlaufen kann.
Von der einstigen Waldeslust finden sich Einwohner und Touristen heute weit entfernt. Kilometerweit: Geisterhafte Mondlandschaft.
Graue Baumleichen dominieren das Bild über weite Strecken und geben der Landschaft entlang den Kreis- und Landesstraßen ein gespenstisches Aussehen. Überall liegen abgeholzte Stämme aufgetürmt an den Zufahrtswegen, bereit zur Abholung durch Transporter, die der Aufgabe nur schwer nachkommen. Vielerorts an den ehemals grünen Hängen liegt das Holz wild durcheinander, so als hätte Rübezahl gerade einen Wutanfall gehabt.
Vorsicht ist geboten bei Spaziergängen im oberbergischen Wald, mahnt das zuständige Forstamt mit Sitz in der Kreisstadt Gummersbach. Vor allem Bestände mit dürren Fichten sollten im großen Bogen umgangen werden, weil die Gefahr umstürzender oder umbrechender Bäume zu groß sei.
Am schlimmsten getroffen hat es die Flachwurzler. Flachwurzler, wie die weit verbreitete Fichte, nutzen vorrangig die oberflächennahen Wasserreserven. Die meisten Fichtenwurzeln liegen nur 20 bis 60 Zentimeter tief. Eine Buche zum Beispiel kann demgegenüber, je nach Boden, auch tieferliegende Wasserspeicher anzapfen. Außerdem ist sie durch ihre Wurzeln standfester.
Erst die Dürre, dann die Käfer
Käferplage ist eine direkte Folge der Trockenheit. Im Oberbergischen hat der Schädling zwischen 80 und 90 Prozent aller Fichtenbestände vernichtet, die es 2017 noch gab.
Eigentlich gilt das Bergische Land als regenreich. Die extreme Sommerhitze der letzten Jahre (Dürresommer der Jahre 2018, 2019 und 2020) gab den überlebenden Beständen den Rest; sie ließen die Bäume so stark austrocknen, dass sie den Borkenkäfern nichts mehr entgegenzusetzen hatten. 2018 war das wärmste Jahr in Deutschland seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1881.
Inzwischen sind die Fichtenbestände so weit dezimiert, dass der Borkenkäfer bald keinen Platz zum Brüten mehr findet.
Ohne Wasser, so erklärt Kay Boenig, Chef des Regionalforstamts in Gummersbach, können die Fichten nicht genügend Harz ausbilden, mit dem sie sich gegen Schädlinge wehren.
Der Kölner Express zog nach den verheerenden Jahren Anfang 2021 Bilanz und titelte:
Baum-Alarm im Bergischen Land. Der Anblick ist erschreckend, der Kahlschlag dramatisch.
Kahle Hänge, wo jahrzehntelang ein stolzer Wald stand. "Wild findet im Fichtenwald keinen Schutz mehr, der Lebensraum für Insekten geht verloren."
Der Holzpreis begann zu der Zeit in einer bis dahin noch nie dagewesenen Art und Weise zu steigen. Innerhalb des ersten Quartals 2021 verdreifachte sich der Preis für Fichtekalamitätsholz.
Dies hatte mehrere Ursachen:
- Die USA fragten international Holzprodukte zu sehr hohen Preisen nach.
- Das Forstschädensausgleichsgesetz führte dazu, dass in Süddeutschland kein Frischholzeinschlag stattfinden konnte und die dortige Industrie Holz aus NRW nachfragte.
- Eine steigende Rundholznachfrage aus Asien.
Die Käferschäden sind von 2018 auf 2019 regelrecht explodiert (Beispiele).
Die Schädlinge vermehren sich unter der Rinde und locken mithilfe von Pheromonen weitere Artgenossen an. Aus einer befallenen Altfichte schwärmen etwa 10.000 Männchen aus; diese befallen etwa 20 weitere Bäume.
Die betroffenen Bäume gehen in die Millionen. Allein im Bergischen Land von 57.500 (2018) auf 2.618.875 (2019). (NRW gesamt: 982.764 auf 15.163.769).