Wandernde Prionen mit langer Inkubationszeit

Creutzfeldt-Jakob-Krankheit und neue Diskussionen über Kuru

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Die Häufungen von Erkrankten in einem britischen Dorf ließen die Forscher die Lebens- und Essgewohnheiten von Opfern der neuen Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK) untersuchen. Die Erkenntnisse zeigen eine Inkubationszeit bis zu 16 Jahren und entfachen erneut die Diskussion um die Parallelen mit Kuru.

In dem Dorf Queniborough in der englischen Grafschaft Leicestershire starben bereits fünf Patienten an der neuen Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK). Alle waren jünger als 40 Jahre und lebten seit mindestens 1980 in dem Ort. Die hohe Zahl der Fälle ließ die Spezialisten aufmerksam werden und ein Epidemiologen-Team untersuchte eingehend die Lebens- und Essgewohnheiten der Betroffenen. Vier der fünf Verstorbenen kauften ihr Fleisch regelmäßig in den gleichen Fleischerläden des Dorfes und beide Metzger benutzten Schlachtmethoden, die inzwischen verboten sind. Die Tötung erfolgte per Durchbohren des Rückenmarks, wobei oft ein Metallstift in das Hirn des Tiers eingeführt wurde, damit es nicht ausschlug. Auch die Entfernung des Hirns wurde so vorgenommen, dass häufig die Membran, die es schützt, riss und das Hirn über das Tier floss. Hirn und Rückenmark gelten als Risikomaterial. Durch diese Schlachtung kam folglich auch das Muskelfleisch potenziell mit vCJK-Erreger von BSE-infizierten Kühen in Berührung. Es sollen Anfang der 80er Jahre in Großbritannien ungefähr 10 Prozent der Rinder auf diese Art geschlachtet worden sein.

Andere Übertragungswege der vCJK-Erreger auf die Verstorbenen wie Operationen oder Bluttransfusionen waren in der Studie ausgeschlossen worden. Die Wissenschaftler vermuten inzwischen, dass die Inkubationszeit bei der neuen vCJK zwischen 10 und 16 Jahren beträgt. Professor Roy Anderson vom Department of Infectious Disease Epidemiology des Imperial College in London kommentierte, das sei wesentlich länger als bisher angenommen, das Ausmaß der potenziellen Infektionen mit vCJK in Großbritannien sei daher noch lange nicht absehbar.

Die Hypothese, dass der Verzehr kontaminiertes Fleisch zumindest ein Übertragungsweg für die neue Creutzfeldt-Jakob-Krankheit ist, ist nach dieser Studie erneut belegt. Und diese Erkenntnis belebt auch wieder die Diskussion um Parallelitäten zu Kuru, einer anderen Prionenkrankheit, die in Papua-Neuguinea Tausenden das Leben kostete.

Prionenkrankheiten, wissenschaftlich Transmissible Spongiforme Enzephalopathien (TSE) genannt, sind infektiöse Degenerationskrankheiten von Menschen und Tieren. Sie haben verschiedene Inkubationszeiten ohne Immunreaktion und verlaufen immer tödlich. Es bilden sich Hirnschäden, die zu fortschreitenden Verlusten der intellektuellen Fähigkeiten führen, Sensibilitäts-, Bewegungs- und Verhaltensstörungen treten auf und werden bis zum Tod immer vehementer. Eine definitive Diagnose kann erst in der Gerichtsmedizin durch die Untersuchung des Gehirns unter dem Mikroskop gestellt werden, wo die entsprechenden schwammartigen Veränderungen sichtbar werden.

Prionen sind so genannte "unkonventionelle" Krankheitserreger, die nur aus Protein bestehen, keine Abwehrreaktion des Körpers hervor rufen und äußerst resistent gegen Hitze sind. Der Begriff "Prion" geht auf Stanley Prusiner, den Nobelpreisträger zurück, der 1982 die Kurzform aus den Begriffen "PROteinaceous INfectious particle" ableitete. Prionen kommen in ihrer gesunden Form im Nervengewebe des Menschen und der Säugetiere vor. Der Krankheitserreger Prion unterscheidet sich von diesen gesunden Eiweißen nur durch seine dreidimensionale Form. Diese Form zwängt er den gesunden Prionen auf, die sich daraufhin auch zu mehrfach gefalteten, infektiösen Proteinen entwickeln. So zerstört er nach und nach das befallene Gehirn.

Kuru, auch Kuru-Kuru genannt, wurde als Krankheit beschrieben, nachdem in den 50er die australischen Kolonialherren das Gebiet des Stammes der Fore in Papua-Neuguinea erschlossen, um dort Kaffee anzubauen. "Kuru" bedeutet in der Fore-Sprache "Zittern" oder "Furcht" - und damit sind die Symptome dieser neurologischen Erkrankung bereits umrissen. Zu den Symptomen gehören starkes Muskelzittern (ähnlich wie bei der Parkinson'schen Erkrankung), einer Ataxie (einer Störung der Bewegungsabläufe mit Schwierigkeiten beim Gehen und Stehen sowie späterer Unfähigkeit des Sitzens) und kurz vor dem Tod Demenz, also ein Abbau der höheren geistigen Fähigkeiten. Kuru ist nicht heilbar und nach ca. sechs bis neun Monate sind die Erkrankten tot.

Die Fore wurden als "kulturell auf Steinzeitniveau lebender Volksstamm" umschrieben und sie hatten für Mitteleuropäer befremdliche Begräbnisrituale, wozu intensiver Körperkontakt mit dem Verstorbenen und das rituelle Verzehren von bestimmten Körperteilen gehörte. Dieser rituelle Kannibalismus (einschließlich der inneren Organe und des Gehirns) wurde fast ausschließlich von Frauen und Kindern praktiziert, verzehrt wurden auch Organe von an Kuru verstorbenen Familienangehörigen. Kuru verbanden die Fore assoziativ mit Zauberei und besonderen magischen Fähigkeiten. 1957 verboten die Australier das Ritual.

Der örtliche australische 'district medical officer' Vincent Zigas und Dr. Carlton Gajdusek vom U.S. National Institutes of Health (NIH) obduzierten mehrere Leichname und schickten die Gewebeproben ans NIH, um sie dort weiter histologisch zu untersuchen. Die beiden dokumentierten 416 Fälle, insgesamt starben zwischen 1957 und 1968 mehr als 1100 Fore an Kuru, und das innerhalb einer Gesamtpopulation von 8000. Bis heute starben mindestens 2500 Fore an der Prionenkrankheit.

1966 gelang einer Arbeitsgruppe um Gajdusek die Übertragung der Krankheit auf Schimpansen durch eine direkte Injektionen ins Hirn. Das Tier erkrankte nach einer Inkubationszeit von zwei Jahren. Die Ähnlichkeit von Kuru mit Scrapie, der Prionenkrankheit der Schafe, und mit der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit der Menschen war schon beobachtet worden. Gajdusek sah einen Zusammenhang der Übertragung von Kuru durch den rituellen Kannibalismus der Fore und er vermutete ein Protein als Erreger. 1976 erhielt er für seine Entdeckungen den Nobel-Preis für Medizin.

Der rituelle Kannibalismus hat tatsächlich Ende der 50er Jahre unter den Fore aufgehört, was aber vermutlich mehr mit der kurzen Tradition des Brauchs und der Offenheit der "Steinzeitmenschen" für Missionare und neue Lebensformen zu tun hatte als mit dem Verbot der Regierung. Trotzdem erkrankten elf Fore erst vor kurzer Zeit an Kuru, obwohl nachweislich seit über 40 Jahren kein ritueller Kannibalismus mehr praktiziert wird. Die Hypothese, dass die Erkrankung nur Menschen mit gewissen genetischen Dispositionen trifft, wurde durch diese neu Erkrankten widerlegt, denn sie haben genau die genetischen Merkmale, die sie eigentlich nach Lehrmeinung hätten schützen sollen. Möglicherweise haben die Gene den Krankheitsausbruch nur verzögert, nicht aber verhindert.

Schon Ende vergangenen Jahres hatte Professor John Collinge von der Specialist Prion Disease Clinic at St Mary's Hospital, London, einer der wissenschaftlicher Berater der Regierung in Sachen neue vCJK, seine ersten Ergebnisse der Untersuchung der neuen Kuru-Fälle vorgestellt. Sie stellen die Annahme vieler Wissenschaftler in Zweifel, dass eine Mehrheit der Menschen durch ihre Gene sozusagen von Natur aus gegen die neue Creutzfeldt-Jakob-Krankheit immun sei. Es wurde von einer Verteilung von 60 Prozent Resistenten in der Bevölkerung ausgegangen. Diese Theorie entstand auf Grund der Gentests an den bis November 2000 an vCJK 88 Verstorbenen in Großbritannien. Alle hatten eine Veränderung auf dem Chromosom 20 (Polymorphismus am Codon 129 des PrP-Gens), die - so wurde angenommen - die Ausbreitung der krankhaften Prionen im Gehirn begünstigt.

In Verbindung mit den neuen Erkenntnissen der Studie aus Queniborough, heißt das, dass es bei Prionenerkrankungen offensichtlich lange Inkubationszeiten gibt und keiner genau weiß, wie viele Infektionsfälle noch auftreten werden. Da der Körper keine Immunreaktion produziert, gibt es keinen Nachweis, bis die Symptome unübersehbar sind. Die definitive Diagnose kann nur durch eine Sichtung des Hirns nach dem Tod gestellt werden.

"The average incubation period in kuru is thought to be around 12 years. There the transmission is from human to human. But where these diseases jump from one species to another we know that they are associated with much larger incubation periods," so sagte Collinge jder BBC. Und er ist pessimistisch, was die Prognosen angeht: "The [CJD] cases we are seeing at the moment are, by definition, those with the shortest incubation period."

Die Konsequenzen von rituellem Kannibalismus und von Rindern, die Tiermehl ihrer Artgenossen verspeisen, sind Kuru und vCJK. Wie die Übertragung im Einzelnen funktioniert, ist noch nicht bekannt. Der Zusammenhang kann aber nicht mehr geleugnet werden und die Folgen der Entwicklung: Scrapie - BSE - vCJK sind noch nicht absehbar. Aus Großbritannien ist bekannt, dass die Krankheit auch Hauskatzen befallen kann, Ziegen kann es ebenfalls treffen. Und beim Überspringen von einer Art auf die andere verändern die Prionen ihre Eigenschaften.

Seit November warnt das Robert-Koch-Institut (RKI) davor, Blut zu spenden, wenn man sich zwischen 1980 und 1996 insgesamt länger als sechs Monate im Vereinigten Königreich (Großbritannien und Nordirland) aufgehalten hat. Personen aus diesem Kreis sollten "aus Gründen der Risikovorsorge bis auf Weiteres auch in Deutschland von Blut- und Plasmaspende ausgeschlossen werden." Die Übertragung der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit durch Blut lässt sich nicht völlig ausschließen. Noch gibt es keinen Krankheitsfall in Deutschland, aber die Experten wissen, dass die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass es in den kommenden 30 Jahren auch hier vCJK-Todesfälle geben wird (Experten erwarten in Deutschland spürbaren Anstieg von Creutzfeldt-Jacob-Krankheit).