War die "Neue Welt" gar nicht so neu?

Fussnoten

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Hans Giffhorn: "Wurde Amerika in der Antike entdeckt?", München, 2013. Dieser Artikel bezieht sich jedoch auf die korrigierte Neuauflage des Buches, das 2014 im Verlag C.H.Beck, München erschien und auf seinen folgenden Dokumentarfilm.

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Der Dokumentarfilm erschien 2016 auch als DVD "Keltische Krieger im antiken Peru". Die DVD repräsentiert umfassend Giffhorns aktuellen Forschungsstand. Sie enthält den von "Spiegel Geschichte" gesendeten Dokumentarfilm, einen weiteren Filmteil, der insbesondere die Geschichte seiner Forschungen und die Rolle der Fachwelt dokumentiert, und eine umfangreiche PDF-Datei mit Zusatzmaterialien und detaillierten Quellenangaben.

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Der nach Südamerika geflohene französische Nazi Jaques de Mahieu behauptete etwa die hellhäutigen und blonden Indianer, von denen spanische Chronisten des 15. Jahrhunderts berichteten, stammten von Wikingern ab. Letztlich sei die Hochkultur der Inka von einer nordischen Herrenrasse gegründet worden, womit de Mahieu den indigenen Südamerikanern absprach, selbst nennenswerte zivilisatorische Leistungen hervorbringen zu können.

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Seine Beweisführung entspreche wissenschaftstheoretischen Standards, schreibt Giffhorn. Zu der grundlegenden Idee, die Chachapoya-Kultur könnte durch Einflüsse antiker Kulturen der Alten Welt entstanden sein, bildete er einzelne konkrete Hypothesen. Er überprüfte diese Annahmen immer wieder - nicht mit dem Ziel sie zu beweisen, sondern sie zu widerlegen. "Die Überprüfung der Beweiskraft der Indizien war ein langwieriger und aufwendiger Prozess. Nicht selten bin ich dabei in Sackgassen geraten", erinnert er sich. Fielen die Hypothesen durch, verwarf er sie, hielten sie allen denkbaren Widerlegungsversuchen stand, erhöhte sich dadurch der Grad ihrer Verlässlichkeit, erklärt Giffhorn. Zudem steige die Plausibilität einer Hypothese, je mehr verschiedene Phänomene sie erklären kann.

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Schulz ist Experte für antike Seefahrt und hat sich in seinem Buch "Abenteurer der Ferne. Die großen Entdeckungsfahrten und das Weltwissen der Antike" auch mit möglichen Atlantiküberquerungen befasst.

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Deren Flotten hatten bereits beachtliche Leistungen erbracht. So war etwa der karthagische Admiral Hanno im Jahr 470 v.Chr. bereits bis zum Golf von Guinea vorgedrungen. Karthago hatte zahlreiche Kolonien u.a. auch an der afrikanischen Atlantikküste gegründet und Expeditionen nach Britannien unternommen. Zudem kontrollierte es die Meerenge von Gibraltar. Noch Ende 2012 nahm Giffhorn an, eine Expedition könnte sich kurz vor der Zerstörung Karthagos durch die Römer im Dritten Punischen Krieg auf die Flucht nach Südamerika begeben haben. Doch dann machten aktuellere Informationen unter anderem zum Motiv überlebender Karthager diese Annahme für ihn unplausibel.

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Giffhorn geht davon aus, dass sich letztlich nur Männer auf die folgende Seereise nach Amerika machten. Für Frauen und Kinder sei das Leben im römischen Imperium nicht unerträglich gewesen. Die Bedrohung des Ideals der Kriegerehre und die römischen Zwangsrekrutierungen seien klare Männerprobleme gewesen. "Falls sie Familie hatten, werden sie sicher ihren Frauen und Kindern nicht zugemutet haben, das vergleichsweise sichere Leben in Spanien gegen eine gefährliche Reise ins Ungewisse einzutauschen", so Giffhorn. Das an solchen Expedition ins Ungewisse nur Männer teilnahmen, sei auch bei den ersten Reisen der Konquistadoren und bei vielen anderen Expeditionen der Fall gewesen.

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Ihr Wissen über antike Seefahrt stütze die Fachwelt bisher im Wesentlichen auf die Schriften der griechischen und römischen Historiker, erklärt Giffhorn. "Diese hatten jedoch zu den Atlantikkelten nur selten Kontakt." So blieben die nautischen Fähigkeiten der Mitglieder des antiken atlantischen Handelsnetzes bis heute weitgehend unbekannt, so Giffhorn weiter. Manches deute darauf hin, dass es bis zu den Wikingern keine besseren Schiffsbauer, erfahreneren Navigatoren und kühneren Seefahrer als die Galicier gegeben habe.

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Hans Giffhorn glaubt, die Fachwelt beharre darauf, weil sie sich einhellig und unkritisch auf ein Werk des Archäologen Adolf Schulten und des Altphilologen C.F. Konrad bezieht, die sich 1920 mit den antiken Berichten über die glücklichen Inseln auseinandersetzten. Sie setzten diese darin mit den bekannten Atlantikinseln gleich. Dass es auf den Atlantikinseln kaum Bäume gibt, führten Schulten und Konrad etwa auf den Raubbau der Bewohner zurück, der dann auch zum Versiegen der Flüsse geführt habe. Auch die Möglichkeit, dass der Meeresspiegel früher tiefer lag und erst heute die Ebenen überflutet, wird genannt. Dies sei jedoch falsch, so Giffhorn, die Hänge der Vulkaninseln fallen fast senkrecht bis auf den 3000 Meter tiefen Meeresgrund ab. "Keine Chance für größere Flüsse. Wenn es regnet, stürzt das Wasser aus den Bergen, reißt Rinnen in Hänge und rauscht dann als schäumender Bach direkt ins Meer, der kurz nach dem Regen wieder versiegt. Da kann der Meeresspiegel beliebig steigen oder fallen: für fruchtbare weite Ebenen, und gar noch mit schiffbaren Flüssen, bleibt kein Platz."

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Auch der Althistoriker Raimund Schulz wiederholt in seinem Buch diese Kritik.

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Er meint auch deshalb, dass es sich um Amerika handelt, da die antiken Beschreibungen sehr den Eindrücken Kolumbus‘, Vespuccis oder Cabrals von tropischen amerikanischen Küsten glichen. Von "dichtem Wald mit tausenderlei verschiedenen Bäumen und Früchten" (Kolumbus) ist da etwa die Rede oder von "einem Land überreich an Bergen, endlosen Tälern und gewaltigen Flüssen, das von gesunden Quellen gewässert wird und dichten Wäldern voll mit Wild jeder Art gesegnet ist." (Vespucci) Da diese Entdecker ebenfalls aus dem Mittelmeerraum stammten, müssen sie ganz ähnliche Eindrücke von der neuen Welt gehabt haben wie die in den antiken Berichten zitierten Karthager.

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Althistoriker Raimund Schulz bekräftigt die grundsätzliche Plausibilität dieser These in seinem Buch (S. 315 f.). Die kürzeste Strecke zwischen Westafrika und der Neuen Welt sei nur wenig länger als die Route vom Roten Meer an die westindische Küste. Nach der üblichen Fahrleistung karthagischer Schiffe wäre die Strecke in drei bis vier Wochen zu bewältigen gewesen. Antike Segelschiffe seien nicht nennenswert langsamer als neuzeitliche Karavellen gewesen.

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Heute gelten isländisch-grönländische Siedler, die ursprünglich aus Skandinavien stammten, als erste europäische Entdecker des amerikanischen Kontinents um etwa 1000 nach Christus. Doch dies ist auch erst seit 55 Jahren anerkanntes Wissen. 1961 grub das norwegischen Forscher-Ehepaar Helge und Anne-Stine Ingstad auf eigene Faust Reste der Wikinger-Siedlung L’anse aux Meadows an der Nordspitze der kanadischen Insel Neufundland aus. Damit bewies das Paar, dass der Kontinent aus europäischer Richtung bereits 500 Jahre vor Kolumbus entdeckt wurde. Auch diese Hypothese, die sich aus zeitgenössischen Berichten wie den alt-nordischen Sagas herauslesen ließ, war bis dato in den Fachwissenschaften gelinde gesagt "umstritten".

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