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Warum 2022 ein gutes Jahr für die Kohle in Deutschland war

Kohlebagger im Tagebau Inden im Rheinland. Bild: Spyridon Natsikos / CC BY 2.0 DE

Energie und Klima – kompakt: In Sachen Kohleausstieg war 2022 ein verlorenes Jahr. Der Gasmangel beflügelte den fossilen Energieträger. Das neue könnte mit einem schwarz-grünen Angriff auf die Klimaschutzbewegung beginnen.

Das Jahr geht zu Ende, und es ist Zeit, zurückzublicken. Viel hat sich in Sachen Energie- und Klimapolitik getan in diesen letzten zwölf Monaten. Groß waren die Hoffnungen, dass sich mit der neuen Regierung in Berlin – hervorgegangen aus einem schwer zu deutenden Wählerwillen, mit Olaf Scholz (SPD) an der Spitze, der in Hamburg den Einsatz von Brechmitteln bei Dealern einführte, an seiner Seite Porsche-Lobbyist:innen (Liberale) und Befürworter:innen von "militärischen Lösungen" (Grünen) – zumindest in Sachen Energiewende etwas zum Besseren wenden würde.

Doch dann marschierten russische Truppen in die Ukraine ein und an der Spree entschied man sich, gemeinsam mit den Bündnispartnern "Putin zu ruinieren". Weil man künftig ohne russisches Gas auskommen will, wurden Terminals für Flüssiggasimporte gebaut, der Weltmarktpreis für dieses LNG (Liquified Natural Gas) in die Höhe getrieben, AKW-Laufzeiten verlängert, Kohlekraftwerke aus der Reserve geholt und schließlich auch noch grünes Licht für den Frontalangriff auf die Klimaschutzbewegung gegeben. Damit RWE unter dem kleinen rheinländischen Lützerath die Erde mehrere hundert Meter tief aufreißen und Braunkohle abbaggern kann. Ausgerechnet diesen schlechtesten und damit klimaschädlichsten aller fossilen Brennstoffe.

Wir wollen in der Zeit zwischen den Jahren einige Schlaglichter auf die energiepolitischen Ereignisse des Jahres 2022 werfen. Zum Beispiel auf die absurde Debatte über die Laufzeitverlängerungen der letzten drei deutschen Atomkraftwerke und die Weigerung der baden-württembergischen Gerichte, Konsequenzen aus den zahlreichen Rissen am Reaktor Neckarwestheim 2 zu ziehen. Oder auf die ehrgeizigen Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energieträger, die nun tatsächlich in die Gesetze geschrieben wurden.

Den Anfang soll aber ein Blick auf die Kohle machen. Im ausgehenden Jahr ist der Verbrauch von Braun- und Steinkohle um jeweils etwa fünf Prozent gestiegen, heißt es [1] bei der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen (AGEB). Ursache ist der erhöhte Einsatz in den Kraftwerken, da der Ausbau von erneuerbaren Energieträgern viel zu langsam verläuft, die Atomstromproduktion gegenüber dem Vorjahr in etwa halbiert wurde und wegen des hohen Preises weniger Gas in den Kraftwerken verbrannt wurde.

Die (gerundeten) Zahlen [2] der AGEB im Einzelnen: Die Stromproduktion der AKW nahm um 31 Milliarden Kilowattstunden ab, die der Gaskraftwerke um 15 Milliarden. Die von Sonne, Wind & Co. legte hingegen um 22 Milliarden Kilowattstunden zu, Steinkohlekraftwerke um elf und Braunkohlekraftwerke um sieben Milliarden Kilowattstunden. Hätten also die Erneuerbaren nicht ein neues Rekordergebnis abgeliefert, wäre der Kohleverbrauch sogar noch mehr gestiegen.

Blutkohle aus Kolumbien, kaiserliches Bergrecht in Deutschland

Die hierzulande verbrannte Steinkohle stammte übrigens bisher zu einem nicht geringen Anteil aus Russland, aber auch das soll sich ändern. Bundeskanzler Olaf Scholz, der mit dem tödlichen Brechmittel [3], griff Anfang April eigens zum Hörer, um beim kolumbianischen Präsidenten mehr "Blutkohle" [4] aus dem dortigen höchst umstrittenen Riesen-Tagebau zu bestellen. Dass daraus allerdings noch was wird, ist fraglich, denn zwischenzeitlich hat das Land erstmals einen linken Präsidenten [5] bekommen, der dem Einhalt gebieten könnte.

Aber Deutschland ist nicht Kolumbien und hier gibt es keinen Regierungschef, der die Vertreibung von Menschen für den Kohleabbau verhindern wollte. Im Gegenteil, hierzulande gibt es jetzt ein "Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz" [6], mit dem Kohlekraftwerke "im Falle einer drohenden Gasmangellage" zeitweise reaktiviert [7] werden können, und hierzulande können die Betreiber von Braunkohlekraftwerken, das heißt, vor allem Leag und RWE, einen schönen Extra-Gewinn [8] einfahren, weil der hohe Gaspreis über das Merit-Order-Prinzip [9] die Vergütung in die Höhe treibt, die sie für ihren Strom bekommen.

Da wundert es nicht, dass ihnen so wichtig ist, noch möglichst viel von dem für sie so günstigen Brennstoff aus der Erde zu kratzen, den andere wegen des geringen Brennwertes und der entsprechend damit verbunden hohen spezifischen Emissionen als besseren Torf bezeichnen. Das noch aus Kaisers Zeiten stammende Bergrecht macht es ihnen leicht.

Im Frühjahr gab in Lützerath am rheinländischen Tagebau Garzweiler II mit Eckhardt Heukamp [10] der letzte Landwirt auf, der sich einer Enteignung widersetzt hatte. Ein Gericht hatte es für rechtens befunden, dass RWE seinen Hof und sein Land in Besitz nehmen könne, noch bevor über seinen Widerspruch gegen die Enteignung entschieden sei.

Anfang Oktober gab es denn auch noch das OK aus den jeweils grün geführten Ministerien für Wirtschaft und Klimaschutz in Berlin und Düsseldorf. In einer Kampfansage an die Klimaschutzbewegung [11] stimmten sowohl Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) als auch seine nordrhein-westfälische Partei- und Amtskollegin Mona Neubaur dem Abriss Lützeraths und einer entsprechenden Ausweitung des Tagebaus zu.

Dabei hatte ihnen das Deutsche Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin schon im Vorjahr vorgerechnet [12], dass damit Deutschlands Budget zur Einhaltung der Pariser Klimaübereinkunft gesprengt würde, dass sich mit einer solchen Politik die Erderwärmung nicht auf 1,5 Grad beschränken lassen wird.

So zeichnet sich also ab, dass es im Januar in Nordrhein-Westfalen zu einem erneuten Großeinsatz der Polizei gegen die Klimaschutzbewegung kommen wird, dass Schwarz-Grün das große, bunte Protestcamp in Lützerath räumen lässt [13].


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https://www.heise.de/-7443572

Links in diesem Artikel:
[1] https://ag-energiebilanzen.de/energieverbrauch-faellt-2022-auf-niedrigsten-stand-seit-der-wiedervereinigung/
[2] https://ag-energiebilanzen.de/wp-content/uploads/2022/09/STRERZ22_Abgabe-12-2022_inkl-Rev-EE.pdf
[3] https://www.mopo.de/podcast/der-tag-an-dem/olaf-scholz-und-der-brechmittel-tod-vor-20-jahren/
[4] https://stoppdatteln4.de/kohle/
[5] https://www.heise.de/tp/features/Kolumbien-Warum-Olaf-Scholz-nun-wohl-auf-Blutkohle-verzichten-muss-7146883.html
[6] https://dserver.bundestag.de/btd/20/023/2002356.pdf
[7] https://www.heise.de/tp/features/Zurueck-zur-Kohle-7156318.html
[8] https://www.heise.de/tp/features/Energiepreise-Bei-RWE-klingelt-die-Kasse-7191912.html
[9] https://www.bdew.de/service/publikationen/wie-der-strommarkt-organisiert-ist-das-merit-order-prinzip/
[10] https://www.heise.de/tp/features/Luetzerath-Der-Unbeugsame-6209950.html
[11] https://www.heise.de/tp/features/Habeck-Kampfansage-an-die-Klimaschutz-Bewegung-7284625.html
[12] https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.819609.de/diwkompakt_2021-169.pdf
[13] https://www.heise.de/tp/features/Luetzerath-Schwarz-Gruen-will-raeumen-lassen-7361567.html