Warum Friedrich Merz auch für alte weiße Männer gefährlich ist, wenn sie arm sind
Anti-Migrations-Wahlkampf und Angriff auf Sozialstaat: Solange der CDU-Chef Gruppen gegeneinander ausspielen kann, hat er Erfolg. Ein Kommentar.
Der frisch gekürte Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat sich in den letzten Tagen als Kämpfer für eine Festung Deutschland präsentiert.
Indem er vorschlägt, Geflüchtete gar nicht erst nach Deutschland zu lassen und einen nationalen Notstand auszurufen, geht er über geplante Maßnahmen der neuen niederländischen Regierung hinaus, die im wesentlichen von Rechtsaußenparteien getragen wird, aber immerhin noch bei den EU-Gremien beantragen will, die EU-Regeln in Flüchtlingsangelegenheiten außer Kraft zu setzen.
EU-Experten gehen davon aus, dass der Vorstoß kaum Erfolg haben dürfte, doch anders als die in vielen Medien mit dem Adjektiv rechtsextrem versehene holländische Ministerin für Migration will Merz, der nie mit dem Prädikat rechtsextrem versehen wird, die EU-Gremien erst gar nicht fragen, wenn er die deutschen Grenzen schließen will.
Das ist wieder einmal ein Beispiel, wie fließend die Grenzen zwischen den deutschen Christdemokraten und den europäischen Rechtsaußenparteien sind. Darüber darf nicht hinwegtäuschen, dass auch Merz sich noch vehement gegen eine Zusammenarbeit zwischen AfD und Union ausspricht.
Keine Partei rechts von der Union
Dieses Bekenntnis dürfte noch einige Jahre tragen und hat einen einfachen Grund: Die Union will keine Partei rechts von sich akzeptieren. Das hat sich seit den Zeiten von Franz Josef Strauß nicht wesentlich geändert, als das CSU-Urgestein die Parole ausgegeben hat, dass rechts von der Union nur die Wand sein darf.
Tatsächlich übernahm Strauß sämtliche Rechtsaußen-Themen, war befreundet mit rechten Putschgenerälen wie Augusto Pinochet in Chile, lobte das Apartheid-Regime in Südafrika und empfing den Chef der türkischen Faschistenorganisation Graue Wölfe, Alparsan Türkes.
Merz wollte AfD-Zustimmungswerte halbieren
Da hatten Rechtsaußenparteien nicht viele Möglichkeiten, sich neben der CSU zu profilieren. An diesem Kurs will Merz offenbar anknüpfen – und dafür gibt es umfangreiche Unterstützung an der Basis der Unionsparteien. Dort ist man der Meinung, die Union sei unter Angela Merkel zu stark in die Mitte gerückt, und habe damit erst die AfD die Möglichkeit gegeben, sich rechts von ihr auszubreiten. Nun gibt es den Versuch, sie einzuhegen.
Merz wollte deren Zustimmungswerte halbieren, als sie noch unter denen von heute lagen. Das ist auch der Grund für die scharfe Polemik gegen die AfD. Sollte allerdings dieses Vorhaben scheitern – und dafür spricht nicht wenig –, wird in einigen Jahren über eine Kooperation beider Parteien neu diskutiert werden.
Dann werden diejenigen sich mehr Gehör verschaffen, die schon heute klar sagen, die Union habe mehr Machtoptionen, wenn sie auch mit der AfD zumindest rede. Diese Entwicklung konnte man in den 1990er-Jahren auch beim Umgang der SPD mit der PDS (später Die Linke) verfolgen. Zunächst wollte mit der "SED-Nachfolgepartei" niemand etwas zu tun haben und man hoffte, dass die schnell aus dem Parteiensystem verschwinden würde.
Wo Union und AfD bereits kooperieren
Als sie sich etablierte, gab es zuerst in Sachsen-Anhalt eine Tolerierung und dann auch erste Koalitionen. Die SPD hatte also schnell erkannt, dass die PDS nicht so schnell verschwinden würde und sie selbst sich der Machtoptionen berauben würde, wenn sie diese weiter ausgegrenzt hätte, was natürlich die CDU und die FDP lauthals forderten.
Denn ihre Machtoptionen verkleinerten sich dann natürlich. Wir werden in einigen Jahren erleben, wie es auf Länderebene erste Gespräche zwischen Union und AfD geben wird, vielleicht schon in Sachsen-Anhalt nach den dortigen Landtagswahlen.
Auf kommunaler Ebene funktioniert die Kooperation zwischen Union und AfD jetzt, wie beispielsweise in Halle (Saale) wo Union, AfD und die "Bürger für Halle" den schon beschlossenen Verkauf des Grundstücks an eine Genossenschaft der Bewohner des linken Hausprojekts Reilstraße 78 rückgängig machen wollen.
Stimmungsmache gegen Bürgergeld-Bezieher
Gemeinsamkeiten zwischen AfD und Union gäbe es nicht nur bei Abwehr von Migranten. Auch im Kampf gegen das Bürgergeld sind sich beide Parteien sehr einig. Gerade Friedrich Merz hat in den Monaten die Kampagne gegen das Bürgergeld verschärft und den Eindruck erweckt, es handele sich um leistungsloses Einkommen. Auch wird von Merz und seiner Umgebung ständig die Behauptung verbreitet, Menschen in Lohnarbeit würden weniger Geld als Bezieher von Bürgergeld haben.
Friedrich Merz war erst wenige Stunden zum Kanzlerkandidaten der Union ausgerufen, als er von einem Journalisten im Fernseh-Interview gefragt wurde, was für ihn zentral in der Wirtschaftspolitik sei. Der CDU-Politiker gibt darauf zur Antwort, dass er dafür sorgen wolle, dass das Bürgergeld so geändert werde, dass sich Arbeit wieder lohne. Menschen, die einer Arbeit nachgehen müssten, mehr Geld haben, als Menschen, die nicht arbeiten, setzte der Konservative hinzu.
Die Verarmungspolitik der Merz-CDU
Gemeint war damit natürlich keine Erhöhung des Mindestlohns. Merz, der auch die Lebensarbeitszeit verlängern will, verbindet Stimmungsmache gegen Migranten mit einer Kampagne gegen arme Menschen – und das ist kein Zufall.
Er versucht, Menschen gegeneinander aufzuhetzen, um so die Verwertungsbedingungen für das Kapital zu verbessern. So dürften durchaus auch viele Bürgergeld-Bezieher seine Politik der Ausgrenzung von Geflüchteten applaudieren, ohne sich einzugestehen, dass es ihnen überhaupt nicht besser geht, wenn die Grenzen geschlossen sind.
Vielmehr würde es ihnen bei der Kürzung des Bürgergelds sogar schlechter gehen. Schon der frühere SPD-Rechtsaußen Thilo Sarrazin war dafür bekannt, dass er gegen Geflüchtete aus verschiedenen Ländern agierte, aber auch gegen Hartz-IV-Empfänger, denen er riet, sich einen dickeren Pullover in der Wohnung anzuziehen, wenn sie sich die Kosten der Heizung nicht mehr leisten können.
Solche Spaltungstendenzen haben Erfolg, weil sie dem weit verbreiteten falschen Bewusstsein vieler Menschen im Spätkapitalismus entgegenkommen.
Mythen der Sozialpolitik
Es gibt noch immer zu wenig Unterstützung für Bürgergeld-Bezieher und Geflüchtete gleichermaßen. Es gib zu wenige Menschen, die hier die Zusammenhänge herstellen, mit der Konsequenz, dass Geflüchtete und arme Menschen sich verbinden sollten. Zu den Initiativen, die solches fördern, gehört der vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Dienst der Hans-Böckler-Stiftung produzierte Blog "Mythen der Sozialpolitik".
Dort beschäftigt sich Jutta Schmitz-Kießler auch mit den Mythen über das Bürgergeld. In der Einleitung heißt es:
Die Diskussion um die Ausgestaltung und Höhe des Bürgergeldes reißt nicht ab. Getrieben wird die Debatte von immer neuen politischen Vorstößen, die bei genauem Hinsehen schnell eine Vielzahl populistischer Thesen, aber wenig Fakten beinhalten. Dennoch werden immer wieder alle Register gezogen, um den Bezug zu denunzieren. Zu verlockend, zu hohe Leistungen, zu lasche Strafen, insgesamt "viel zu teuer".
Jutta Schmitz-Kießler
Merz und viele seiner Parteifreunde schließen sich längst den Versuchen von Rechts und Rechtsaußen an, das Bürgergeld zu stoppen. Es wird sich zeigen, ob ihnen das gelingt, oder ob Merz sowohl als Grenzschließer als auch als Feind des Bürgergelds hinreichend Gegenwind bekommt.