Warum Journalisten und Andersdenkende in der Ukraine Angst haben

Seite 7: Wie sieht es mit den Menschenrechten in den "Volksrepubliken" und auf der Krim aus?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Bei mehrmaligen Besuchen in den international nicht anerkannten Volksrepubliken und auf der Krim hat der Autor dieser Zeilen den Eindruck gewonnen, dass es in diesen Gebieten zwar Probleme gibt - vor allem mit der Korruption -, dass aber von einer Repression gegen breite Bevölkerungsschichten keine Rede sein kann.

Was die Krim betrifft, gibt es keine brutalen Massenrepressionen gegen die Krim-Tataren, wie einige deutsche Medien berichten. Tatsache ist allerdings, dass die Sicherheitsstrukturen auf der Halbinsel Krim-Tataren verfolgen, die öffentlich gegen die Vereinigung mit Russland protestieren. Es gibt Verhaftungen und Gerichtsprozesse, und es gibt auch Verhaftungen von Mitgliedern verbotener, islamistischer Organisationen auf der Krim, wie Hizb ut-Tahrir. Der überwiegende Teil der Krim-Tataren mischt sich jedoch nicht in Politik ein.

In Lugansk und Donezk ist das Bild widersprüchlich. Der Autor dieser Zeilen hat im Februar 2017 im Zentrum von Donezk mit fremden Menschen auf der Straße Interviews geführt, wo teilweise auch eine Distanz zu den offiziellen Machtstrukturen herauszuhören war. Doch fast alle Menschen in der "Volksrepublik Donezk" fühlen sich als Opfer einer Aggression durch die ukrainische Armee und machen für die Zerstörung von Wohnhäusern Präsident Petro Poroschenko persönlich verantwortlich.

Die großen deutschen Medien berichten nicht mehr aus den "Volksrepubliken". Das hindert einige Journalisten aber nicht daran, über die "Volksrepubliken" die wüstesten Behauptungen aufzustellen. So behauptete die Journalistin des Deutschlandfunk, Sabine Adler, im Mai 2016, es gäbe in den "Volksrepubliken" Donezk und Lugansk 79 "Foltergefängnisse". Die Sprecherin für Osteuropapolitik der Grünen, Marieluise Beck, forderte, "Folter durch Separatisten" in der Ost-Ukraine international aufzuklären.

Die Journalistin Adler berief sich in ihrem Bericht über Folter in den "Volksrepubliken" auf einen bereits 2015 veröffentlichten Bericht ukrainischer Menschenrechtsorganisationen. Mit Sicherheit könne gesagt werden, dass im Sommer 2015 4.000 Menschen "in Geiselhaft" waren, zitiert Adler eine ukrainische Menschenrechtlerin.

Im Juli 2017 behauptet Sabine Adler unter der reißerischen Überschrift "Gulags mit Moskaus Billigung" von einem "Netz von Zwangsarbeiterlagern" im "besetzten Donbass". Die Journalistin behauptete, es gäbe in den "Volksrepubliken" 10.000 Zwangsarbeiter. Als einzige Quelle für diese Behauptung nennt sie einen Pawel Lisjanski, der die "Ostukrainische Menschenrechtsgruppe" leitet.

Einen Beweis für ihre Behauptung, dass es sich bei den angeblich tausenden Inhaftierten nicht um Gefängnisinsassen, sondern um Zwangsarbeiter handelt, die eigentlich schon lange hätten freigelassen werden müssen, bringt die Journalistin nicht. Adler hat weder offizielle Stellen in den "Volksrepubliken" noch in Moskau zu den angeblichen Zwangsarbeitern befragt, zumindest ist davon in ihren Texten nichts vermerkt. Die Auskünfte der "Ostukrainischen Menschenrechtsgruppe", einem nach Kiew übergesiedelten ehemaligen Häftling aus Lugansk und einem Häftling, den die Journalistin über Handy interviewt, scheinen für Adler ausreichend Beweis zu sein.

Folter in den "Volksrepubliken" gab es wohl schon. Allerdings war das eine Randerscheinung, die mit dem unorganisierten, spontanen Widerstand gegen die Anti-Terror-Operation der ukrainischen Armee 2014 zu tun hatte. Zumindest ein Kellergefängnis in der Maschinenbau-Universität von Lugansk, wo auch gefoltert wurde, ist aus dem Jahre 2014 bekannt. Dieser Fall von Folter wurde aber von den Medien in Lugansk im Januar 2015 öffentlich gemacht. Nachdem man 2015 in Lugansk und Donezk mit dem Aufbau zentral geleiteter offizieller Militärstrukturen begann, wurden keine Foltervorwürfe mehr bekannt.

Es gibt auch in den "Volksrepubliken" Fälle von Journalisten, die Probleme bekommen, weil sie gegen die neue Macht auftreten. Unterdrückung von Andersdenkenden sind in den "Volksrepubliken" aber eine Randerscheinung. In der Ukraine dagegen sind von der Gewalt des Rechten Sektors und der Freiwilligen-Bataillone sowie den Repression der staatlichen Sicherheitsorgane Millionen Menschen bedroht. Jeder der öffentlich eine Russland-freundliche Gesinnung zeigt, muss mit Repressalien und auch Gewalt rechnen.

Was kann der Westen tun?

Die ukrainische Führung steht im Land stark unter Druck. Präsident Poroschenko und seine Umgebung sind durch ihre angehäuften Reichtümer, ihre Offshore-Konten und die Korruption in Verruf gekommen. Die Anti-Korruptions-Maßnahmen staatlicher Stellen laufen zum großen Teil ins Leere. Die Popularitätsrate der beiden bekanntesten Politiker, Petro Poroschenko und Julia Timoschenko, liegen bei nur 15 bis 20 Prozent.

Von den USA gelenkte Politiker - wie Michail Saakaschwili - versuchen die Empörung in für Poroschenko ungefährliche Bahnen zu lenken. Es werden Proteste organisiert, die aber nicht mehr auf spontaner Empörung basieren. Demonstranten und Flaggenhalter werden bezahlt, wie das ukrainische Internetportal Vesti berichtete.

Die industrielle Substanz der Ukraine geht immer mehr zurück. Der Westen nimmt sich von dem Land das, was er gebrauchen kann, vor allem billige Arbeitskräfte. Das Land verarmt. Tausende Männer buddeln in westukrainischen Wäldern illegal nach Bernstein. Eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung, die sich an den nationalen Interessen der Ukraine orientiert, ist nicht sichtbar.

Das Volk ist müde von Revolution und Versprechungen. Es gibt zwei Lager: Überzeugte Nationalisten und eine große Gruppe von Schweigenden, die in einem bestimmten Moment mobilisierbar wären für eine konstruktive neue Richtung in der Ukraine, wie sie etwa vom ehemaligen ukrainischen Ministerpräsidenten Nikolai Asarow vertreten wird. Möglich scheint aber auch, dass Petro Poroschenko bei einer Zuspitzung der Wirtschaftskrise im Land von Ultranationalisten und Faschisten gestürzt wird.

Der Westen könnte das Abgleiten in Nationalismus und den Dauer-Kriegszustand in der Ukraine beenden, indem er von Kiew Verhandlungen mit den Separatisten und den Stopp der Zwangsukrainisierung fordert.