Warum Marxisten die Digitalisierung nicht verstehen
Seite 2: Plattform-Demokratie-Spektakel
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Im Fall von Facebook bewertete Felix Stalder 2016 konzernseitiges Reagieren kritisch: Facebook habe sich zwar 2009 selbst auferlegt, Änderungen der Geschäftsordnung einer Abstimmung vorzulegen, sobald 7000 Kommentare dazu abgegeben würden; doch das Quorum von 30 Prozent der User:innen wäre bis zur Abschaffung der Regel 2012 nie erreicht worden.
Kein Wunder: Facebook hätte bei seinem angeblichen Demokratiemodell "die Wahlurne versteckt" und vielmehr "mit jeder Neuerung das Machtgefälle zwischen Nutzern und Betreibern" verschärft.
Ein Lichtblick: Stalder selbst liefert auch einen Beitrag zum hier besprochenen Suhrkamp-Band, der seine "Kultur der Digitalität" von 2016 selbstkritisch hinterfragt. Stalders 2016 noch große Begeisterung für die digitale Allmende ("Commons") der Open-Source-Bewegung hat nachgelassen.
Der Neoliberalismus instrumentalisiere zunehmend Commons als Trostpflaster für soziale Raubzüge, etwa wenn mittels Crowdsourcing bezahlte Arbeit durch schlechtbezahlte Arbeit ersetzt würde.
Der Geist der freien Software
Der Geist der freien Software mit Gnu-Public-Licence (GPL) würde von der Software-Industrie heute unterlaufen, indem ihre Dienstleistung über die Cloud angeboten würde –ohne den Quellcode der spezifisch angepassten GPL-Programme offenlegen zu müssen: Eine neue Form kapitalistischer Einhegung einer Allmende.
Kombination mit firmeneigenem Code sei eine weitere Einhegung, etwa bei Googles dadurch nicht wirklich offenem Android-System. Kulturelles Commoning diene auf Plattformen der Kommerzialisierung von Nutzerdaten-Extraktion. Schlimmer noch:
Aber die Einhegung findet nicht nur als Form des Datenextraktivismus statt, sondern auch durch vielfache Möglichkeiten des "nudging", das die aus Nutzer:innensicht nichtkommerzielle Tätigkeiten in für Plattformbetreiber kommerziell interessante Richtungen lenkt, mit allen problematischen Konsequenzen.
Felix Stalder, 2023
Stalder führt die Arbeit von Mark Poster weiter, wenn er feststellt, Kulturproduktion im Internet werde so hinter dem Rücken der User doch wieder für eine Kulturindustrie vereinnahmt. Da wir von der Frankfurter Schule gelernt haben, meinte Mark Poster 2003, wie verheerend sich die Kulturindustrie auf die Arbeiterklasse und andere demokratisierende Bewegungen auswirkt, sei es unsere Pflicht, die Möglichkeiten ihrer Technologie zu verstehen.
Wir sollten lernen, wie sie bei der Konstruktion kultureller Formen eingesetzt werden können, die einer demokratischen Lebenswelt angemessener sind.
Ähnlich argumentiert heute Geert Lovink, der es in den liberalen Niederlanden vom Aktivisten und Netzkritiker zum Professor für Kunst und Netzwerkkulturen brachte. Lovink sieht uns "In der Plattformfalle" und plädiert für eine "Rückeroberung des Internets" dabei warnt er spöttisch:
Man sollte sich nicht in pedantischen Übungen verlieren, um akademische Territorien mit ihren Kanons und Methoden zu definieren und zu verteidigen ... Wir sollten die momentane Leichtigkeit annehmen und uns über die Verwirrung unter jenen amüsieren, die versuchen, "Digitalisierung" zu kartieren.
Geert Lovink, 2022