Warum Marxisten die Digitalisierung nicht verstehen

Seite 3: Fazit

Leider kann der Sammelband trotz vieler herausragender Beiträge seine Versprechen nicht einlösen, vor allem nicht jenes, die "Verbindungen der disparaten Ansätze" auszuleuchten.

Schon die Gliederung in die Kapitel "Arbeit", "Ökonomie", "Politik und Öffentlichkeit" sowie "Kultur und Subjekte" überzeugte wohl nicht jeden. Abweichend davon benennen die Herausgeber:innen sie in den Titeln der Unterkapitel ihrer Einleitung "Produktivkraftentwicklung und Arbeit", "Wertschöpfung und Ökonomie", "Politische Regulation und Öffentlichkeit" sowie "Kulturelle Regulation und Subjekte".

Zu Beginn der Einleitung findet sich zudem eine noch mehr abweichende "Strukturierung des Feldes anhand der kapitalismustheoretischen Basiskategorien Produktivkraftentwicklung, Arbeit, Wertschöpfung, politische Regulation sowie Kultur und Subjekte".

Mit klobigen Begriffen beschäftigt – wo bleibt der Mut?

Mit klobigen Begriffen beschäftigt, übergehen die Herausgeber:innen wichtige politische Kämpfe und Propagandaschlachten der Netzkultur; allein Edward Snowden wird kurz genannt, er habe etwas "bezüglich der weitreichenden Überwachung des Netzes etc." enthüllt. Was genau?

Darauf geht keiner der Beiträge weiter ein, wie auch keiner den Mut hat, Julian Assange oder Wikileaks auch nur zu erwähnen. Unberührt bleibt somit auch die Rolle von Medien und Medienkonzernen beim digitalen Umbau von Demokratie zum Controlling der Gesellschaft (Barth 2006).

Die Zuordnung der Beiträge zu den Kapiteln ist nicht immer einsichtig, etwa wenn die Texte von Marisol Sandoval zu digitalen Genossenschaften und Felix Stalder zu Commons nicht unter Ökonomie, sondern bei "Öffentlichkeit" und "Subjekt" landen.

Insbesondere macht aber das Fehlen editorischer Orientierungshilfen den Sammelband äußerst unübersichtlich. Am Ende des Buches findet sich lediglich eine Liste mit Textnachweisen für sieben Beiträge, die keine Originalbeiträge sind.

Es fehlen biografische Angaben zu den Autor:innen, Literaturlisten zu den Beiträgen, ein Schlagwort- oder wenigstens ein Namensregister. Es fehlt mithin alles, was der Leser gebraucht hätte, um wirklich Verbindungen der "disparaten Ansätze" ausleuchten zu können – oder ihre Redundanz.

Einen Überblick über die verwendete Literatur klaubt man nur mühselig aus den weit über tausend Fußnoten. Bezugnahmen der Beiträge oder Autor:innen aufeinander sind seltene Ausnahmen, bleiben fast immer beim bloßen Namedropping – selbst bei der in den Leitmedien herumgereichten und daher schwer ignorierbaren Shoshana Zuboff.

Die renommierte Havard-Professorin gehört mit ihrer Kritik des "Überwachungskapitalismus" zu den am häufigsten zitierten Autor:innen im Sammelband, leider fast immer nur als inhaltsleerer Verweis auf das Problem der Überwachung (das damit oft als abgehandelt betrachtet wird).

Eine tiefergehende Diskussionskultur, Diskurse und Debatten sucht man weitgehend vergeblich.