Warum Putins Donbass-Coup auch in Russland umstritten ist
In Russland herrscht angesichts der Anerkennung der Donbass-Republiken nur in patriotischen Kreisen Jubel. Fachleute haben davor gewarnt und sind nun pessimistisch
Mit der russischen Anerkennung der von der Ukraine abtrünnigen Donbass-Republiken als unabhängig hatte noch vor kurzem auch in Russland selbst kaum jemand ernsthaft gerechnet - selbst nach dem Start der diesbezüglichen Duma-Initiative. Ebensowenig wie mit dem fast zeitgleich verkündeten Einmarsch russischer Truppen ins Donbass-Gebiet. Diese lösten am Montag sofort eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats, neue Sanktionsankündigungen und eine Verschärfung der Ukrainekrise aus. Die Briten kündigten bereits neue Militärhilfen an die Ukraine an.
Russische Experten hatten vor dem aktuellen Schritt gewarnt
Sogar der Regierung in Moskau nahestehende außenpolitische Experten und Berater hatten in Russland ausdrücklich vor einem solchen Schritt gewarnt. Wie sich Präsident Wladimir Putin dazu verhalten würde, galt nicht als ausgemacht. So erklärte noch in einem am Montag veröffentlichten Interview Andrej Kortunow, der Generaldirektor des Russischen Rates für Auswärtige Beziehungen, er hoffe, dass "Putin dieser Anerkennung nicht zustimmen wird". Er erklärt weiter:
Es wäre der letzte Nagel im Sarg der Vereinbarung von Minsk und Moskau würde dafür verantwortlich gemacht werden. (…) Wenn die Anerkennung mit einer Kooperation Russlands mit diesen Donbassrepubliken verknüpft wäre und den Einsatz russischer Streitkräfte auf ihrem Territorium vorsieht, dann würde Russland der Aggression gegen die Ukraine beschuldigt
Andrej Kortunow, Interview in der Abendzeitung München am 21.02.2022
Kortunow hatte für diesen Fall auch sehr zutreffend sofortige neue Sanktionen des Westens gegen sein Land vorausgesehen, die dieses Mal auch schmerzhaft sein werden. In einer ersten Stellungnahme nach der Anerkennungsentscheidung sieht er auf Russland weitere Kosten zukommen.
All dies bedeutet natürlich, dass die wirtschaftlichen Kosen für den Wiederaufbau nach dem Konflikt automatisch von Moskau zu tragen sind, unabhängig vom zukünftigen Schicksal dieser Volksrepubliken. Diese Rechnung wird größer sein als die für Abchasien, Südossetien oder Transnistrien.
Andrej Kortunow gegenüber der Petersburger Onlinezeitung Fontanka am 21.02.2022
Seine Hoffnung auf eine diplomatische Lösung der Krise verband er mit dem zu dieser Zeit noch fehlenden Anerkennungsschritt. Kortunow steht mit seiner kritischen Meinung in Russland unter Experten nicht alleine.
Seine Einschätzung stimmt hier überein mit der von Russlandexperten aus dem deutschsprachigen Raum, wie dem Österreicher Dr. Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck, dem führenden Fachmann im Land für Ostpolitik. Seine Einschätzung gegenüber Telepolis:
Davon zu sprechen, dass es hier noch einen Verhandlungsweg geben kann, das ist sicherlich eher illusionär. Diese Geschichte ist tatsächlich jetzt entschieden. Die Gebiete sind anerkannt und Russland wird diese Anerkennung sicherlich nicht mehr zurücknehmen.
Gerhard Mangott gegenüber Telepolis
Mangott glaubt, Putin habe die Hoffnung aufgegeben, dass Deutschland oder Frankreich noch Druck auf die Ukraine ausüben, ihrerseits die Minsker Vereinbarung für eine diplomatische Konfliktlösung umzusetzen.
Erwartung einer "starken Verschlechterung der militärpolitischen Lage"
Eine weitere Zunahme der Spannungen mit dem Westen ist gesichert. Es werden mehr Nato-Streitkräfte an den Grenzen Russlands stationiert, russische Truppen werden in Belarus verbleiben.
Der Politologe Dmitri Trenin gegenüber der Petersburger Onlinezeitung Fontanka 21.02.2022
Trenin, der Chef des Moskauer Carnegie-Zentrums ist, rechnet jedoch nicht mit einem kurzfristigen offenen Kriegsausbruch Russlands mit der Nato. Eine weitere "starke Verschlechterung der militärpolitischen Lage in Europa könnte jedoch Realität werden".
Ob es mit der Ukraine zu offenen Kampfhandlungen kommt, darüber sind die Fachleute geteilter Meinung - einige, wie der ebenfalls von Fontanka befragte Politologe Stanislaw Belowsky, halten solche jedoch für möglich. Gerade diese Aussicht entsetzt viele russische Beobachter.
Ich bin kategorisch gegen Krieg. Vor allem gegen Krieg gegen ein brüderliches Volk. Ich weiß nicht, was ich von allem halten soll. Ich verstehe den Zweck eines Krieges nicht (…) Ich denke, es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um sicherzustellen, dass einen keinen Krieg gibt.
Konstantin Remtschukow, Chefredakteur der Nesawisimaja Gaseta am 21.02.2022
Remtschukow wagt auch eine Beurteilung, warum der eigene Präsident den Schritt trotz der bekannten Risiken unternommen hat. Er bezieht sich dabei auf Aussagen Putins bei einen Treffen mit dem belorussischen Staatschef Alexander Lukaschenko:
Putin sagte vergangene Woche überraschend bei einem Treffen mit Lukaschenko gesagt, dass Sanktionen unabhängig von der Situation eingeführt würden. Wenn Putin so etwas sagt, scheint er zu meinen: Angreifen oder nicht, Sanktionen kommen so oder so. Das kann auch ein Auslöser für manche Entscheidung sein.
Konstantin Remtschukow, Chefredakteur der Nesawisimaja Gaseta am 21.02.2022
Unterstützung der Parteigänger der Regierung
Unterstützung erhielt Putin für seinen Schritt dagegen von seiner Regierungspartei aus der Staatsduma, die den Vorschlag auf Anerkennung der Donbass-Republiken Donezk und Lugansk angestoßen hatte. Der Regierungsabgeordnete Wjatscheslaw Wolodin äußerte via Telegram die Hoffnung, dass die Anerkennung "das Massaker, den Tod unserer dort lebenden Bürger und Landsleute beendet". Da Russland in großer Zahl russische Pässe an die Bürger der "Volksrepubliken" ausgegeben hat, sind tatsächlich zahlreiche russische Staatsbürger von der Maßnahme betroffen.
Auch Wolodyn ist dabei bewusst, dass die Reaktion des Westens jetzt hart sein wird und meint, dass die USA und ihre "Satellitenverbündeten" nun alles tun werden, "um die Entwicklung unseres Landes zu verlangsamen". Auch weitere Regierungspolitiker rechtfertigten die sofortige russische Militäraktion mit dem "Schutz der Bevölkerung im Donbass".
Gerhard Mangott sieht in der Durchsetzung der Anerkennung auch ein Zeichen dafür, dass unter Putins Beratern die "Falken" gegenüber den "Tauben" wie Kortunow die Oberhand bekommen haben.
In den letzten Jahren haben sich in der Umgebung Putins vor allem die Vertreter des Militärs und des Sicherheitsapparats durchgesetzt. Sie haben großen Einfluss auf ihn, weil Putin auf diese Kräfte auch angewiesen ist, um seinen repressiven Kurs in Russland gegenüber der eigenen Opposition zu fahren. Und diese Kräfte haben natürlich ein Interesse an einer militärischen Eskalation.
Gerhard Mangott
International rechnet Mangott jedoch mit einer Isolation Russlands in Bezug auf den aktuellen Schritt. Kritik kam hierzu sogar aus Peking.
Die chinesische Stellungnahme war allerdings zu erwarten, denn China hat selbst Probleme mit separatistischen Kräften auf seinem Territorium. So vertritt es die Position, dass die Unabhängigkeit der Ukraine wie die Unabhängigkeit eines jeden Landes nicht angegriffen werden darf (…)
Wichtig ist für Russland, dass China es bei einem Stopp der weiteren Ausdehnung der Nato unterstützt, das reicht quasi. Auf China ist Moskau vor allem im Fall harter westlicher Wirtschafts- und Finanzsanktionen angewiesen, damit es Russland aushilft in den Bereichen, in denen die Sanktionen am schärfsten greifen.
Gerhard Mangott
Wirtschaftliche Probleme, aber kein Zusammenbruch
Wie die Entwicklung Russlands nach diesem Schritt gestört werden soll, auch dazu gibt es bereits Einschätzungen von Fachleuten in der russischen Presse. Sie rechnen nicht mit "symbolischen" Antworten des Westens, sondern solchen, die die Wirtschaft Russlands massiv schädigen sollen.
Höchstwahrscheinlich werden Sanktionen gegen russische Banken verhängt, das russische Finanzsystem. Vielleicht wird es zusätzlich technologische Sanktionen geben, sowie solche gegen einzelne russische Persönlichkeiten (…) Wie wird sich das auf den Aktienmarkt auswirken? Extrem negativ.
Jewgeni Kogan, Professor an der Higher School of Economics gegenüber Fontanka am 21.02.2022
Kogan rechnet dabei mit einer Schädigung der russischen Wirtschaft, jedoch weder mit einem Zusammenbruch des Systems noch der russischen Währung. Sollte der Rubel an Wert verlieren, werden die Möglichkeiten der Russen, sich Dollars zu beschaffen, schlechter werden.
Insgesamt herrscht kein Alarmismus unter den fachkundigen Stimmen in der russischen Presse, aber die Erwartung eines negativen Trends - egal ob auf geopolitischen oder auch auf wirtschaftlichem Gebiet. Die Ukraine-Krise ist seit gestern brenzliger geworden und von einer Lösung ohne Kampf weiter entfernt als je zuvor.
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