Warum das Nachdenken über Alternativen zum Kapitalismus nicht extremistisch ist

Konferenzteilnehmerinnen in der Abschlussrunde. Foto: ANF

"Gegen alle Projekte des Todes, der Gier und der Krankheit": Eindrücke vom einer Konferenz, die wegen "PKK-Nähe" nicht in den Räumen der Uni Hamburg stattfinden konnte.

"Ich bin hier die extremistischste Person, so wie sie mich beschrieben haben", stellte sich Ebru Günay am Ostersonntag auf der Konferenz unter dem Motto "Die kapitalistische Moderne herausfordern – Wir wollen unsere Welt zurück" im Bürgerhaus Wilhelmsburg vor. Das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz hatte unter anderem ihretwegen dem Präsidium der Universität Hamburg geraten, der Konferenz die Räume zu entziehen – und damit prompt Erfolg gehabt. Universitätspräsident Prof. Dr. Hauke Heekeren hatte den angeblichen Extremisten abgesagt.

Tatsächlich ist Ebru Günay Abgeordnete der türkischen Nationalversammlung, Sprecherin der Demokratischen Partei der Völker (HDP) und Rechtsanwältin. Als solche hatte sie unter anderem den inhaftierten Gründer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan verteidigt – und daraufhin ab 2009 in der Türkei fünf Jahre im Gefängnis verbracht.

Die Praxis der Verfolgung von Anwälten wurde zwar immer wieder von Amnesty International kritisiert, weil sie das Recht auf ein faires Verfahren verletzt, wenn die Verteidigung von angeklagten Mitgliedern verbotener Organisationen allzu schnell mit Unterstützung dieser Organisationen gleichgesetzt wird.

Aber dieses rechtsstaatliche Klein-Klein interessierte den Hamburger Verfassungsschutz nicht – unter anderem die Personalie der Anwältin diente ihm als Beleg für die "PKK-Nähe" der Veranstaltung. Ihre eigentliche Partei, die HDP, wird oft als "prokurdisch" beschrieben, heißt aber laut Günay "alle Ethnien willkommen".

Die Entscheidung des Uni-Präsidenten auf Zuruf des Inlandsgeheimdienstes sorgte unter anderem bei dem irisch-mexikanischen Politikwissenschaftler John Holloway für Entsetzen – sie sei ein "Schlag ins Gesicht, der meine romantischen Illusionen zerstört hat", sagte er am Sonntag auf dem Podium im Bürgerhaus. Er habe deutsche Universitäten bisher für einen Raum des kritischen Diskurses gehalten. "Und jetzt das!"

Dem "Network for an Alternative Quest", das bereits drei Konferenzen dieser Reihe durchgeführt hatte, seien "mehrere PKK-nahe Gruppierungen zuzurechnen", hatte der Verfassungsschutz argumentiert. Auch das Programm zur diesjährigen Veranstaltung enthalte "mehrere Verweise auf die PKK und deren Gründer", war Uni-Präsident Heekeren vom Inlandsgeheimdienst gewarnt worden.

So musste die vierte Konferenz dieser Art, zu der sich rund 1.300 Menschen angemeldet hatten, kurzfristig verlegt werden – inklusive der Infrastruktur für die Simultanübersetzung in mehrere Sprachen. Workshops fanden am Samstag an verschiedenen Orten in Hamburg statt. Das "Network for an Alternative Quest" und der AStA der Universität Hamburg haben hier gute Nerven, Flexibilität und organisatorisches Können bewiesen.

Was war nun an den Vorwürfen dran? – Zumindest nichts, womit ein direktes staatliches Verbot der Konferenz zu begründen gewesen wäre, obwohl im Zusammenhang mit der PKK schon oft abenteuerliche Konstruktionen für Razzien und Verbote angeblicher Teil- oder Vorfrontorganisationen ausreichten.

Tatsächlich gehört dem Veranstaltungsnetzwerk eine internationale Initiative an, die sich für die Freilassung Öcalans als Teil einer politischen Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts einsetzt. Abgesehen davon, dass der Nato-Partnerstaat Türkei diese Forderung so bald nicht erfüllen wird und weiter auf eine militärische Lösung setzt, ist die Forderung als solche aber in Deutschland nicht verboten.

Welche Rolle spielten PKK-Ziele?

Aber was hat es mit den "Verweisen auf die PKK und deren Gründer" im Programm der Konferenz auf sich – und inwiefern gebietet das in Deutschland geltende PKK-Verbot auch zwingend das Verhindern von Information und Austausch über deren Ziele?

Es stimmt bei weitem nicht alles, was Verfassungsschutzämter sagen, aber tatsächlich gab es diese Information und diesen Austausch auf der Konferenz.

Ja, es wurde dort auch über Thesen aus Büchern von Abdullah Öcalan diskutiert, die allerdings im deutschen Buchhandel ganz legal erhältlich sind – zuletzt erschien im Unrast-Verlag Band IV seines Manifests der demokratischen Zivilisation. Der Verfassungsschutz wollte eine öffentliche Diskussion darüber verhindern, nachdem andere Behörden offensichtlich keinen Grund fanden, diese Bücher auf den Index zu setzen.

Dass sie vom Gründer einer in Deutschland verbotenen Organisation stammen, reicht dank der grundgesetzlich garantierten Meinungs- und Informationsfreiheit erst einmal nicht aus, um diese Bücher unabhängig von ihrem Inhalt zu verbieten. Die Tagespolitik der PKK kann schon aufgrund seiner Haftsituation seit mehr als 20 Jahren nicht mehr von Öcalan bestimmt werden – er wurde vom Parteichef zum Ehrenvorsitzenden und gilt heute "nur" noch als philosophischer Vordenker der kurdischen Befreiungsbewegung.

Der deutsche Inlandsgeheimdienst wollte aber Gruppen und Personen, die sich positiv auf seine Thesen beziehen oder sie zumindest diskutabel finden, ersatzweise stigmatisieren – und der Universitätspräsident hat dabei mitgespielt.

Videobotschaft mit Klarstellungen der PKK

Sicher wurde nun auch allseits registriert, dass Duran Kalkan, Mitglied des Exekutivrats der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sich am Sonntag in einer Videobotschaft an die Teilnehmenden der Konferenz gewandt hat. Darin betonte er den Paradigmenwechsel seiner Partei: "Weg vom Anspruch auf einen Staat und Macht und hin zu einer demokratisch-sozialistischen Partei, deren Maßstab eine radikaldemokratische, geschlechterbefreite und ökologische Gesellschaft ist".

Diese Linie hat sich in Grundzügen schon vor mehr als 20 Jahren in der PKK durchgesetzt – nach der Verschleppung Öcalans aus Kenia auf die türkische Gefängnisinsel Imrali im Februar 1999, allerdings war die Neuausrichtung auch in seinem Sinn.

Zunächst war damals unklar, ob seine Entführung zu mehr Gewalt von Seiten der kurdischen Bewegung gegen türkische Einrichtungen in westlichen Ländern führen würde. Genau dazu kam es aber letztendlich nicht. Stattdessen erklärte die PKK für Europa den Gewaltverzicht. Manche politischen Gegner warfen Öcalan daraufhin sogar Feigheit vor – er wolle mit der neuen politischen Linie nur sein eigenes Leben retten, meinten vorgeblich linke Splittergruppen, aber vor allem auch türkische Rechtsextreme.

Das Verbot der PKK in Deutschland war bereits 1993 erlassen worden – und wenn die Begründung in Teilen schon damals unpassend war, so ist sie es nach dem Paradigmenwechsel erst recht. Viele Kurdinnen und Kurden haben nach wie vor den Verdacht, dass mit diesem Verbot dem türkischen Regime als einem der antidemokratischsten Nato-Partner ein Gefallen getan werden sollte.

Kritische Stimmen konnten von Anfang an nicht nachvollziehen, warum es in der Verbotsverfügung hieß, die PKK verstoße gegen den Gedanken der Völkerverständigung, da sich ihre Ideologie nie gegen Türken oder andere ethnische Gruppen richtete, sondern nur gegen den türkischen Staat, der beispielsweise die kurdische Sprache in der Öffentlichkeit unterdrückte.

In den historisch überwiegend kurdisch besiedelten Gebieten der Türkei hatte die PKK schon in den 1990er-Jahren eine Massenbasis. Ganze Dorfbevölkerungen wurden wegen mutmaßlicher Unterstützung der PKK-Guerilla von der türkischen Armee vertrieben und ihre Häuser teils niedergebrannt. Dadurch bekam die Guerilla allerdings nicht weniger Zulauf, sondern der türkische Staat brachte weitere Teile der kurdischen Bevölkerung gegen sich auf. Nicht alle Völkerrechtler fanden vor diesem Hintergrund die Einstufung der PKK als Terrororganisation angemessen.

Eine Neubewertung durch das Bundesinnenministerium als Verbotsbehörde fand aber nicht einmal statt, als die PKK von der Forderung nach einem eigenen Staat abrückte und stattdessen demokratische Autonomie innerhalb der türkischen Staatsgrenzen forderte.

Letzteres wurde in der deutschen Öffentlichkeit lange nicht zur Kenntnis genommen – manche Medien schrieben noch Jahre später, die PKK fordere einen eigenen Staat. Dass die PKK für Europa auch schon vor mehr als 20 Jahren den Gewaltverzicht erklärt hat, wurde seither immer wieder als "taktisch" bewertet.

Laut Duran Kalkan bezeichnete Öcalan allerdings als seine Zunge als stärkste Waffe – also die Sprache, das Argument. Insofern ist es nicht nur Taktik, sondern Strategie, dieses Mittel vorzuziehen und Überzeugungsarbeit zu leisten, wo immer es möglich ist. Die politisch und ökonomisch Mächtigen dürften handfeste Gründe haben, eine argumentative Auseinandersetzung mit der PKK zu verhindern.

Natürlich ist sie keine pazifistische Bewegung. Auch wenn sie es schon mit einseitigen Waffenstillständen versucht hat, befindet sich nach wie vor im bewaffneten Kampf mit der türkischen Armee. Allerdings findet sich in den besagten Büchern Öcalans keine Verherrlichung oder Fetischisierung von Gewalt – und vor allem kein allgemeiner Hass auf Türken.

Auch Kriegsverbrechen der türkischen Armee nimmt die PKK nicht zum Anlass für rassistische Äußerungen über Türken allgemein. Sie mit Kraftausdrücken wie "Schweine" oder "Unrat" zu belegen, wie sie zum Beispiel der ukrainische Autor Serhij Zhadan für Russen verwendet, wäre weit entfernt vom Stil der PKK.

An Öcalans Ideen orientierten sich auch Kämpferinnen und Kämpfer der syrisch-kurdischen Volksverteidigungskräfte, die sich der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) entgegenstellten und dabei mit US-Streitkräften kooperierten. In diesem Fall hielten sie die Zusammenarbeit mit allen säkularen Kräften für richtig, um klerikal-faschistoide Kräfte zurückzudrängen.

Auch wenn sie die kapitalistische Moderne ablehnen, würden sie sich nie mit Islamisten gegen den Westen verbünden, denn gegen Modernität im Sinne von Geschlechtergerechtigkeit und ökologischem Bewusstsein sind sie nicht – im Gegenteil. Der Kapitalismus kann und will aber aus ihrer Sicht die Versprechen westlicher Demokratien nicht einlösen.

Die Verteidigung des Lebens

In Hamburg jedenfalls trafen sich am Osterwochenende Aktive aus ökologischen und sozialen Bewegungen aus Westeuropa, dem Mittleren Osten, Lateinamerika und den USA, um über Möglichkeiten der Selbstorganisation und des Widerstands gegen den Ökozid, gegen das aggressive letzte Aufbäumen des Patriarchats und gegen die Aushöhlung der bürgerlichen Demokratien durch den Kapitalismus zu sprechen – wofür sie teilweise unterschiedliche Begriffe verwenden.

Letztendlich ging es um die "Verteidigung des Lebens", wie eine Aktivistin zusammenfasste, und die Vernetzung von Gemeinschaften jenseits von Nationalstaaten, die aus ihrer Sicht nicht willens oder in der Lage sind, es zu verteidigen.

Diese Sicht könnten inzwischen auch der UN-Generalsekretär und der Weltklimarat teilen. Indigene Aktivistinnen aus dem brasilianischen Amazonasgebiet sprachen auf der Konferenz in Hamburg von "Botschaften der Natur", die sie empfangen – und die ihnen Sorgen bereiten.

"Die Gemeinschaft der Munduruku kämpft gegen alle Projekte des Todes, der Gier und der Krankheit", erklärten Maria Leusa Kaba und Ediene Kirixi. Gemeint war die Ausbeutung und Zerstörung ihrer natürlichen Lebensgrundlagen durch Konzerne. Wo der Nationalstaat einfach nur einen "legalen" Rahmen für diese Zerstörung schafft, ist er aus ihrer Sicht nicht legitim.

Die indigenen Aktivistinnen wandten sich auch gegen westliche Vorstellungen von "Diversität", die im Grunde nur bedeuten, dass auch nichtweiße Menschen Karriere machen können, wenn sie bürgerlichen Leistungsidealen entsprechen und sich an kapitalistische Spielregeln halten, während indigenen Völkern weiterhin Gebiete streitig gemacht werden, auf denen sie nachhaltig leben wollen.

Das Konzept des "grünen Kapitalismus" zerpflückte auf der Konferenz unter anderem Sina Reisch von der Initiative "Ende Gelände" und nannte es "neoliberalen Bullshit", beispielsweise in Namibia Wasserstoff für den Import nach Deutschland herstellen zu wollen: Statt für diesen vergleichsweise ineffizienten Energieträger Wasser und Sonnenenergie in Afrika zu verschwenden und die Anlage womöglich noch militärisch bewachsen zu lassen, könne die Sonnenenergie direkt dort genutzt und dafür ein Kohlekraftwerk abzuschalten.

Eine Podiumsdiskussion am Freitag fand unter der Überschrift "Das Multizid-Regime" statt. Gesprochen wurde dort auch über den "Soziozid" – die Demontage von Gesellschaft, Gemeinschaft und sozialen Beziehungen, die gerade in Krisenzeiten überlebenswichtig sind.

Staatlich sabotierte Selbsthilfe im Erdbebengebiet

Als aktuelles Beispiel nannte die Soziologin Nazan Üstündag das Agieren des türkischen Staates nach der Erdbebenkatastrophe in den kurdischen Gebieten der Türkei: Freiwillige seien dort teilweise schneller zur Stelle gewesen als der Staat selbst – dieser habe dann aber auch noch die Freiwilligenarbeit behindert, während staatliche Rettungsteams auf sich warten ließen und teilweise zunächst unverletzte Opfer unter den Trümmern erfroren seien.

Die Freiwilligenarbeit war unter anderem von der Oppositionspartei HDP koordiniert worden, der nun auch in Deutschland "PKK-Nähe" unterstellt wird und gegen die in der Türkei ein Verbotsverfahren läuft.

Die Angst der Regierung in Ankara vor der Selbstorganisation der Bevölkerung in den kurdischen Gebieten und erfolgreicher Hilfe durch Freiwillige aus den Reihen der Opposition war wohl größer als ihre Angst, später selbst für weitere Tote verantwortlich gemacht zu werden.

So hätte das Beben – die nicht-menschengemachte Naturkatastrophe – unter anderen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wahrscheinlich weniger Menschenleben gefordert.

Üstündag gab aber zu bedenken, dass auch menschengemachte Naturkatastrophen häufiger werden könnten – und dann seien solidarische Gemeinschaften umso wichtiger: "Wir brauchen Strukturen, um uns gegen die Zerstörung zu behaupten, denn im Zeitalter des Ökozids eher die Regel als die Ausnahme."

Nichts, was auf dieser Konferenz besprochen wurde, verdiente das Etikett "extremistisch". Hier ging es um mögliche Alternativen zu einem System, das selbst Extreme hervorbringt – indem es buchstäblich alles zur Ware macht und nach Wachstum um jeden Preis in einer Welt mit endlichen Ressourcen giert.

Extrem ist nicht das Nachdenken über Alternativen. Es ist das aktuelle System, das extreme soziale Unterschiede produziert und extreme Umweltschäden, vor denen eigentlich auch der deutsche Staat die natürlichen Lebensgrundlagen schützen müsste, wenn er das Grundgesetz ernst nähme. Insofern lohnt es sich auch, genau hinzusehen, wer oder was in diesem Staat als "extremistisch" markiert wird – und mit welcher Begründung.