Warum das Pentagon Beweise für russische Kriegsverbrechen zurückhält

Im Pentagon sorgt man sich offenbar, dass eine Anklage von Soldaten aus Nicht-Vertragsstaaten Schule machen könnte. Foto: Touch Of Light / CC BY-SA 4.0

Weder Russland noch die USA erkennen den Internationalen Strafgerichtshof an. Eine Anklage von Russen könnte zum Präzedenzfall werden. Das steht nun der Kooperation im Weg.

Das Bemühen, russische Kriegsverbrechen in der Ukraine vor den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag zu bringen, wird nicht nur dadurch erschwert, dass Russland ihn nicht anerkennt. Somit können dort zumindest keine Führungskräfte wie der Präsident oder der Wehrminister wegen Aggression angeklagt werden. Auch die USA weigern sich, das Römische Statut als Grundlage des IStGH zu ratifizieren.

Zur Anklage russischer Kriegsverbrechen könnte es dort trotzdem kommen. Chefankläger Karim Khan hält nicht für ausschlaggebend, ob Russland selbst ein Vertragsstaat ist.

Die Ukraine könnte nach seiner Einschätzung russische Kriegsgefangene, die mutmaßlich an Kriegsverbrechen beteiligt waren, an den IStGH ausliefern. Es werde zu Anklagen kommen, wenn die "Beweise ausreichend sind", hatte Khan im Oktober erklärt.

Überraschend blockiert nun aber ausgerechnet das Pentagon die Herausgabe von Beweismitteln für russische Kriegsverbrechen. Dies berichtet die New York Times unter Berufung auf aktuelle und ehemalige US-Militärbeamte.

Ukrainer gehen von mehr als 60.000 Kriegsverbrechen aus

Ukrainische Behörden haben nach eigenen Angaben mehr als 60.000 Fälle von Kriegsverbrechen dokumentiert. Dazu zählen bewusste Angriffe auf zivile Infrastruktur, Ermordung von Zivilpersonen und sexualisierte Gewalt sowie Verschleppung von Kindern und Jugendlichen.

Den Haag ermittelte unter anderem wegen des Massakers von Butscha. Nach dem Abzug russischer Truppen waren in dem Kiewer Vorort Anfang April 2022 nach ukrainischen Angaben 458 Leichen gefunden worden. 419 waren laut einer Abschlussbilanz vom August 2022 nach Spurenlage erschossen, gefoltert oder erschlagen worden. 39 starben demnach eines natürlichen Todes – möglicherweise aber mittelbar durch die Kampfhandlungen bedingt, weil sie nicht versorgt werden konnten.

Das Pentagon hatte bereits im April 2022 Russland für das Massaker verantwortlich gemacht; der Kreml hatte dies zurückgewiesen und von einer "inszenierten Provokation" gesprochen.

Laut dem Bericht der New York Times verweigert nun das Pentagon die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof, um keinen Präzedenzfall zu schaffen, der auch gegen US-Soldaten angewandt werden könnte. Verteidigungsminister Lloyd J. Austin III sei strikt dagegen, heißt es.

Das Weiße Haus und das US-Außenministerium sollen aber die Kooperation mit dem Gerichtshof in Den Haag befürwortet haben. Jetzt müsse US-Präsident Joe Biden eine endgültige Entscheidung treffen, heißt es.

Vor dem Hintergrund des "War on Terror" unter dem republikanischen US-Präsidenten George W. Bush hatte der US-Kongress im Jahr 2002 sogar einem Gesetz zugestimmt, das trotz Nato-Partnerschaft eine Invasion in den Niederlanden vorsieht, falls dort US-Bürger vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt werden.

Allerdings scheint dies momentan keine Option für die US-Regierung zu sein. Eher möchte sie von vornherein nicht in die Verlegenheit kommen.