Warum die Erdgaswirtschaft nicht schnell beendet werden kann

Symbolbild: Ricardo Gomez Angel/unsplash

Spätestens 2035 soll der fossile Energieträger überwunden sein. Dabei wird viel über Bezugsquellen gesprochen. Zwei entscheidende Aspekte aber bleiben außen vor.

Das von der Klimaschutzbewegung und politisch vielerorts geforderte völlige Aus für Erdgas bis 2030 bzw. spätestens 2035 wird sich nicht gänzlich, sondern nur in bestimmten Bereichen erreichen bzw. durchsetzen lassen.

Denn seit einiger Zeit zeigt sich, was schon lange absehbar war. Das ist vor allem der eklatante Mangel an Fachkräften, die für den raschen Ausbau von Strom und Wärme auf Grundlage erneuerbarer Energien und das Vorankommen bei energetischen Gebäudesanierungen gebraucht werden.

Allein in Deutschland warten um die 14 Millionen Gas- und etwa 5,5 Millionen Ölheizungen auf einen zügigen Ersatz und damit für das "Aus" von Erdgas und Erdöl. Bereits das Heidelberger Ifeu-Institut hatte in einer im Juli 2019 erschienenen Studie - u. a. in Kooperation mit dem Berliner IÖW und dem Handwerk - auf den Mangel an qualifizierten Heizungsbauern in Baden-Württemberg aufmerksam gemacht.

So wurde der Fachkräftemangel deutlich in der im September 2021 veröffentlichten Studie Berlin Paris-Konform Machen für den Berliner Umweltsenat, die unter Federführung des IÖW erarbeitet wurde. Es fehlen an allen Ecken und Enden ausreichend Fachkräfte in Baugewerbe und Handwerk.

Für den so schleppend vorankommenden Solarausbau sei der Fachkräftemangel laut Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW), "einer der Hauptgründe".

Allein in Berlin bräuchte man mehrere Tausend zusätzliche Fachkräfte für die Produktion, Installation und Wartung der Anlagen. Deutschlandweit benötige man bis 2035 gut 250 000 Fachkräfte. Derzeit gebe es nur knapp 50 000.

Volker Quaschning, Energiewende von oben, Berliner Zeitung, 02.12.2021

Nach Quaschning sind daher "gigantische Ausbildungs- und Umschulungsprogramme nötig". Das ist das Ergebnis der nunmehr seit über dreißig Jahren ablaufenden neoliberalen Transformation des Kapitalismus. Die inzwischen leise angelaufene, als homöopathisch zu wertende Reregulierung kaputt gesparter Verhältnisse reicht nicht. Es braucht mehr und vor allem klassische Medizin auf allen Gebieten, die durchgreifend hilft.

Bildungsmisere verschärft Handwerkermangel

Und diese gigantischen Herausforderungen stehen zudem vor dem Problem, dass sie auch noch auf das engste mit der politisch seit Langem herbeigeführten Bildungs- und Ausbildungsmisere verbunden sind.

Schließlich müssen junge Menschen bereits von klein auf für technische Berufe mit den erforderlichen Qualifikationen begeistert und gewonnen werden, insbesondere Kinder und Jugendliche, die aus sozial und materiell schlechter gestellten Familien kommen.

Gerade ihnen muss unsere Sorge für eine gute und sichere Zukunft gelten. Der Problemstau in der Bildung hat nun zwar zu vielen Absichtserklärungen in der Ampel-Koalition geführt, aber viele warme Worte und wenig Geld werden ihn nicht auflösen. Denn dafür wird Geld, sehr viel Geld gebraucht. Und das wird fehlen, denn mit der Schuldenbremse wird das Bildungswesen absehbar weiter unterfinanziert bleiben.

Und die Probleme haben es in sich, wie es die GEW kürzlich anlässlich des Ländermonitors frühkindliche Bildung wieder festgestellt hat. "Aktuell fehlen fast 100.000 Fachkräfte, allein um den Betreuungsanspruch der Sorgeberechtigten zu erfüllen."

Aber es geht nicht nur um die Kitas, es geht auch um Grundschulen ("Bildungsgau"), es geht um die Grundschul-Ganztagsbetreuung, um weiterführende Schulen, berufsbildende Schulen bis zu den Hochschulen und Einrichtungen der Weiterbildung.

Schon vor der Corona­Krise berechnete das Forschungsinstitut Prognos, dass bis zum Jahr 2025 rund 190.000 Erzieherinnen und Erzieher fehlen werden. Der Rechtsanspruch auf ganztägige Bildung und Betreuung von Grundschulkindern ab 2025 wird den Bedarf weiter steigen lassen: Für eine qualitativ hochwertige Ganztagsgrundschule werden mindestens 50.000 zusätzliche Lehrkräfte benötigt. In den allgemeinbildenden Schulen beläuft sich diese Zahl auf 40.000, der Bedarf in den berufsbildenden Schulen wird bis 2030 sogar auf knapp 160.000 Lehrkräfte geschätzt.

GEW

Zudem muss eine Ausbildungsgarantie rechtlich verbindlich her – wie es in Österreich der Fall ist -, damit alle jungen Menschen einen Ausbildungsplatz bekommen. Und der Ruf nach Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland ist der falsche Weg, denn das untergräbt dort die notwendige Energiewende.

Vor dem Hintergrund der über Jahrzehnte aufgestauten Probleme ist selbst bei einem sofortigen Beginn einschneidender Reformpolitik von einer langen Vorlaufzeit auszugehen, bis ausreichend Fachkräfte bereitstehen, noch dazu mit notwendiger Berufserfahrung.

Diese Lücken dürften sich nicht vor zehn Jahren schließen lassen. Die Klimaschutzaktivist:innen sollten deshalb für Druck und Tempo bei der Energiewende und dem Ende von Erdgas bzw. Erdöl auch verstärkt die politische Auseinandersetzung über Fachkräftemangel und Bildungsmisere suchen.

Der Autor Dr. Detlef Bimboes ist Diplombiologe mit Schwerpunkt Umwelt, Chemie und Rohstoffe und war ehemaliger Mitarbeiter der Agrar- und Umweltverwaltung.

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