Warum die Mindeststeuer wenig bringt

Seite 2: Die finanziellen Konsequenzen

"Digitalkonzerne zur Kasse bitten", ist ihr Titel. Es ist eine Analyse der OECD-Reformvorschläge und deren Wirkung auf die Besteuerung von Google und Co.. Ziel der Studie war es, die aktuellen Vorschläge, wie sie in der OECD beschlossen wurden, greifbarer zu machen und die finanziellen Konsequenzen abzuschätzen, die aus ihr rühren. Schon im Vorwort äußert der Finanzexperte der Linken Fabio De Masi erhebliche Zweifel daran, dass die Steuer das einhält, was sie verspricht.

So verweist er unter anderem auch darauf, dass der "Mindeststeuersatz von 15 Prozent auf dem Niveau von Steueroasen wie Irland, Singapur oder der Schweiz" liegt. Darüber hinaus weist er auf einen wichtigen Fakt hin:

Ein "Großteil der Besteuerungsrechte, und vor allem das Recht auf Erhebung der Mindeststeuer stehen dem Land zu, wo die Konzerne ihren Sitz haben und nicht, wo die Gewinne eigentlich erwirtschaftet werden.

Fabio De Masi

Da die ihren Sitz zumeist in den USA haben, versteht man auch, warum sich die US-Regierung zufrieden mit der Lösung zeigt, denn vor allem dort wird sich das Steueraufkommen deshalb erhöhen. Die Studie wurde von Christoph Trautvetter für die Linkspartei erstellt. Sie geht für Deutschland nur von bescheidenen zusätzlichen Steuereinnahmen aus.

"Deutschland profitiert zu den jetzigen Bedingungen unterm Strich von Säule I", schreibt der selbständige Politikberater und Geschäftsführer beim Netzwerk Steuergerechtigkeit zwar. Doch die real errechneten Zusatzeinnahmen daraus bleiben "mit etwa 450 Millionen Euro" bescheiden. Dabei liegt diese errechnete Summe sogar noch über der, welche die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte errechnet hatte.

"Die globale Mindeststeuer brächte 380 Millionen Euro zusätzlich", zitiert Der Spiegel den Steuerexperten bei Deloitte Björn Heidecke. Es wird von "Peanuts" gesprochen. Der Betrag sei weit entfernt von einem "Milliardenbetrag", den Scholz in Aussicht gestellt habe.

Als Vergleich wird in diesem Artikel die Kaffeesteuer angeführt, die allem dem Fiskus "jährlich 1,1 Milliarden Euro" einbringe. "Gemessen an dem Compliance-Aufwand, der auf die Unternehmen zukommt, werden die deutschen Steuermehreinnahmen überschaubar sein", resümiert der Deloitte-Experte Heidecke, obwohl er sogar von höheren Einnahmen als Trautvetter ausgeht. Und auch er meint wie Trautvetter, dass das Ergebnis in den meisten anderen Industriestaaten ähnlich ausfallen werde.

Man kann dahingestellt lassen, welche Rechnung nun richtiger ist. Im Verhältnis zum Gesamtsteueraufkommen von rund 740 Milliarden Euro in Deutschland sind beide Summen sehr bescheiden. Trautvetter, der schon diverse Studien und Unternehmensanalysen mit dem Fokus Steuervermeidung vorgelegt hat, sagt deshalb voraus, dass "im Vergleich zum gesamten deutschen Unternehmenssteueraufkommen nur geringe Zusatzeinnahmen zu erwarten" seien.

Der Experte, der vor seiner derzeitigen Tätigkeit unter anderem als forensischer Sonderprüfer bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG beschäftigt war, errechnet zudem, dass auf die vier großen Firmen der Digitalwirtschaft (Google, Facebook, Apple und Microsoft) bei Umsetzung der Reformpläne in Deutschland nur etwa 267 Millionen Euro zusätzlich als Steuerlast zukommen würde. 2020 hätten allein diese vier Firmen weltweit Einnahmen von fast 600 Milliarden Euro verbuchen können. Sie machten dabei Gewinne von etwa 180 Milliarden Euro.

Warum aus der sogenannten Säule I nur geringe Zusatzeinahmen zu erwarten sind, hängt unter anderem damit zusammen, dass ohnehin nur die etwa hundert größten Unternehmen - aber auch nur einen Teil - der Gewinne zukünftig dort versteuern sollen, wo sie auch erzielt werden.

"Multinationale Unternehmen sind typischerweise in einem Netzwerk aus hunderten oder sogar tausenden Gesellschaften in einer Vielzahl von Ländern aktiv. Jede dieser Gesellschaften erstellt eine eigene Steuererklärung. Reale und fiktive Geschäfte zwischen den einzelnen Konzerngesellschaften sollen über sogenannte Verrechnungspreise so vergütet werden, als würde es sich um unabhängige Dritte handeln", beschreibt Trautvetter in der Studie das Problem.

Über wenig durchsichtige Konzepte, wie die Nutzung von Markennamen, Softwarelizenzen oder Patente können Gewinne verschoben werden. Für Digitalkonzerne ist das besonders einfach, weil sie kaum an Produktionsstätten oder Geschäfte gebunden sind.

Amazon in Europa: Nicht einen Cent Steuern bezahlt

Wie üblich liegt das Problem im Detail, warum trotz der Reform nur geringe Steuermehreinnahmen erzielt werden. Denn in der OECD wurde vereinbart, dass nur 20 bis 30 Prozent der Gewinne dort versteuert werden müssen, wo sie auch erwirtschaftet werden.

Und das gilt auch nur in dem Fall, dass die Konzerne einen Jahresumsatz von mindestens 20 Milliarden Euro haben. Besteuert werden soll zudem nur ein sogenannter Residualgewinn. Das ist nur der Fall, wenn der Anteil der Rendite (also dem Gewinn im Verhältnis zum Umsatz) die Marke von zehn Prozent übersteigt.

"Würde man alle Residualgewinne entsprechend des in Deutschland erzielten Umsatzes neuverteilen, würden die Zusatzeinnahmen auf 1,3 Milliarden Euro steigen", rechnet die Studie vor.

Es ergibt sich damit wohl weiter nicht selten eine absurde Situation, wie im Fall von Amazon, dass Unternehmen wie der Onlinehändler trotz Rekordumsätzen und Rekordgewinnen weiter unter dieser Schwelle für den Residualgewinn bleiben. In Europa hat Amazon 2020 trotz seines Rekordumsatzes und eines Rekordgewinns von mehr als 21 Milliarden US-Dollar nicht einen Cent Steuern bezahlt.

Daran wird sich vermutlich auch nach der Steuerreform zumindest mittelfristig wenig ändern, obwohl der von Jeff Bezos gegründete Multi einen guten Teil seiner Gewinne in Europa macht, wo 2020 einen Umsatz von 44 Milliarden Euro gemacht wurde.

Der britische Guardian hatte sogar berichtet, dass Amazon in Luxemburg noch eine zusätzliche Steuergutschrift in Höhe von 56 Millionen Euro gewährt wurde. Die Verlustvorträge werden inzwischen auf 2,7 Milliarden Euro beziffert, die mit zukünftigen Steuern verrechnet werden können.

Deshalb ist verständlich, wenn auch der Linken-Finanzexperte Fabio de Masi es "wenig überraschend findet, dass Facebook und Co sich beeilten, Beifall zur Mindeststeuer zu klatschen". Er resümiert: "Sie tut den Tech Konzernen kaum weh." Auch er befürchtet, dass diese "Mindeststeuer im Wettlauf nach unten gar zur neuen Maximum-Steuer der Industriestaaten werden" kann.

Warum Biden mit der Reform zufrieden ist

Bei der Säule II - der eigentlichen Mindeststeuer - sehen die Aussichten auf zusätzliche Steuereinnahmen sogar noch trüber aus, allerdings ließe sich hier noch schwerer eine Summe schätzen, "weil die nötigen Zahlen aus den länderbezogenen Berichten (noch) nicht öffentlich zugänglich sind und wesentliche Reformelemente noch verhandelt werden", schreibt Trautvetter. Es ist also möglich, dass hier weiter verwässert wird.

Säule II soll es möglich machen, dass Heimatländer von Konzernen die Differenz nachkassieren können, wenn die Gewinne in anderen Länder mit einem Steuersatz besteuert wurden, der niedriger als der Mindeststeuersatz von 15 Prozent liegt. De Masi stellt mit Blick auf die Trautvetter-Studie deshalb fest, dass seit der US-Steuerreform vor vier Jahren unter US-Präsident Donald Trump ein großer Teil der in Deutschland erwirtschafteten Gewinne aus den Steueroasen in die USA gewandert seien.

Die würden aber dort noch immer nicht ausreichend besteuert. "Die Mindeststeuer würde zuallererst in den USA und nicht in Deutschland fällig", erklärt er. "Bei den riesigen Digitalkonzernen halten also vor allem die USA die Hand auf", resümiert der Linken-Finanzexperte deshalb. Damit erklärt sich, warum Biden mit der Reform zufriedener sein kann.

Trautvetter hat vorgerechnet, dass die vier großen Digitalfirmen allesamt in den USA unter dem Satz von 15 Prozent geblieben sind. Apple habe zuletzt dort nur 11 Prozent bezahlt, Facebook 12 Prozent und Microsoft hat sogar ein Minus von 12,4 Prozent in den USA ausgewiesen, bekam also mehr Geld zurückerstattet, als der Konzern an Steuern habe bezahlen müssen.

EU: Lieber bei den Verbrauchern ansetzen...

Trautvetter geht zwar davon aus, dass die Mindeststeuer die globalen Steuerzahlungen der Digitalwirtschaft erhöhen werde, aber insgesamt kann man davon ausgehen, dass es für die Firmen so billig wird, dass sie diese Steuern praktisch aus der Portokasse bezahlen können.

Beachtet man bei den Berechnungen noch, dass es Biden zudem gelungen ist, die geplante EU-Digitalsteuer für Facebook, Google, Apple, Microsoft zumindest zu blockieren. Damit bleiben sie von weiteren Steuerzahlungen über dieses Konzept verschont.

Allerdings, die EU muss für den Schuldendienst Einnahmen generieren. Im Gespräch ist, eine Abgabe auf Flugbenzin zu erheben. Das ist zwar aus ökologischer Sicht richtig, macht aber klar, dass die EU eher daran denkt, die nötigen Einnahmen bei den Verbrauchern zu holen, statt an die enormen Gewinne der Digitalwirtschaft zu gehen.