Warum die Wissenschaft nicht frei ist

Seite 2: Rechtsstaatliche Standards werden unterlaufen

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Was im Kern gut gemeint ist, ist in der Praxis also schlecht gemacht. Es entspricht schlicht nicht rechtsstaatlichen Kriterien, sondern basiert auf purem Vertrauen und Idealismus. Wenn man an den großen Konkurrenzdruck ("Hyperwettbewerb") und die zahlreichen Interessenkonflikte denkt, dann ist es schlicht naiv, nicht von Missbrauch auszugehen.

Ein Forscher erzählte mir einmal, in Manuskripte bewusst Fehler einzubauen, sodass ein Experiment nicht mehr funktioniert, falls die Konkurrenz die Idee klaut. Dumm nur, wenn man vergisst, diese in der Endfassung zu korrigieren - dann steht das unter dem eigenen Namen in den Bibliotheken. Die Chance, dass die Peer Reviewer mit akutem Zeitmangel es selbst merken, ist jedenfalls eher gering.

Eine Forscherin beichtete mir einst eine andere Absurdität: Über mehrere Ecken hatte sie ihre eigene, anonymisierte Arbeit zur Begutachtung bekommen. Derjenige, an den sich der Editor gewandt hatte, hatte dafür keine Zeit. Es entspricht nicht den Regeln, passiert in der Praxis aber regelmäßig, dass jemand den Auftrag dann einfach weitergibt, das Gutachten später aber unter eigenem Namen beim Verlag einreicht. Korrekterweise müsste man es wegen Zeitmangels ablehnen.

Problemfall Forschungsförderung

Auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die jährlich rund 3 Milliarden Euro vom Steuerzahler bekommt, hat das Problem geschickt gelöst: Als privater Verein hält sie das Verwaltungsrecht (und damit auch das Informationsfreiheitsgesetz) nicht für verbindlich. Die wenigen Kontrollen, die es gibt, sind nicht unabhängig (Die freie Wissenschaft ist bedroht).

Immerhin kann man seit einigen Jahren in einer Datenbank nachschauen, bei wem das Geld am Ende landet. Auch diese Kritik bedeutet nicht, dass alle Entscheidungen von DFG-Gremien falsch sind, sondern dass systematischer Missbrauch möglich ist.

Da in den Niederlanden die Forschungsgemeinschaft NWO dem Wissenschaftsministerium angegliedert ist, kann man sich dort verwaltungsrechtlich dagegen wehren. Andere und ich haben auch schon mit Erfolg Ablehnungen von Forschungsanträgen gerichtlich korrigieren lassen (Worum geht es in der Wissenschaft?).

Vertrauen oder Kontrolle?

Letztlich gibt es auch hier mangelnde Transparenz, da das Verwaltungsorgan Ablehnungen mit Verweis auf die angeblich bessere Konkurrenz begründet. Deren Anträge werden aber vorgeblich zum Schutz von Ideen und Benachteiligung geheim gehalten. Auch hier bleibt ein Dunkelfeld, in dem man den zuständigen Gremien, die von der Regierung besetzt werden und Interessenkonflikte haben können, schlicht vertrauen muss.

Es ist schon sehr auffällig, dass diejenigen Führungspersönlichkeiten, die von uns Qualitätssicherung und permanente Evaluationen fordern, sich selbst nicht unabhängig evaluieren lassen und lieber vom Rechtsstaat ungestört im Geheimen arbeiten. Man fühlt sich an dieses Otto von Bismarck zugeschriebene Zitat erinnert: "Je weniger die Leute davon wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden, desto besser schlafen sie." Doch heute wissen wir: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

Kolleginnen und Kollegen mit langjähriger Erfahrung in den Gutachtensgremien räumen manchmal ein, dass es in letzter Instanz ein Glücksspiel ist. Gibt es in einer Förderrunde Geld für zehn Forschungsprojekte, dann finden sie auch zehn, die "exzellent" sind. Reicht das Geld für fünfzehn, dann sind es so viele. Warum spielen sie das Spiel dann überhaupt mit? Sie liefern denjenigen, die die Wissenschaftswelt spalten, erst die inhaltliche Rechtfertigung.

Verbesserungsmöglichkeiten

Zum Glück ist es aber nicht so, dass es keine Verbesserungen gäbe: Open Access ist im Kommen. Die Früchte öffentlicher Forschung sollen der Öffentlichkeit dann auch frei zugänglich sein. Bei einigen neueren Journals werden die Namen der Gutachterinnen und Gutachter mitveröffentlicht. In einem nächsten Schritt könnte man auch die Gutachten selbst bekanntmachen. Sie sind ein wesentlicher Teil des wissenschaftlichen Publikationsprozesses und würden Aufschluss darüber geben, wie eine Wissenschaft wirklich funktioniert.

Wenn man Peer Reviewer wirklich schützen muss, könnte man die Veröffentlichung um einige Jahre verzögern. Damit gäbe es zumindest ein Mindestmaß an Transparenz und Verantwortlichkeit. So würde es auch auffallen, wenn Editors schlechte Arbeiten einfach so durchwinken, weil sie ihrem Unternehmen Aufmerksamkeit, Zitationen und letztlich Geld verschaffen wollen.

Unabhängige Kontrolle

Es kann natürlich auch gute Gründe geben, eine Arbeit abzulehnen, schlicht weil sie schlecht oder falsch ist. In der Praxis haben wohl aber alle Forscherinnen und Forscher schon schlampige oder inhaltlich falsche Gutachten bekommen. Für solche Fälle sollte man eine unabhängige Beschwerdestelle einrichten. Auch wenn man die Verlage so nicht zu einer Veröffentlichung zwingen könnte, würden Ungerechtigkeiten immerhin dokumentiert und nachvollziehbar gemacht. Das würde Druck auf die Editors ausüben, gute und faire Arbeit zu leisten. Oder warum keine Schiedsgerichte, wie sie auch fairen Handel garantieren sollen?

In der heutigen Zeit gestehen selbst Koryphäen der Forschungswelt, im Einzelfall ihre Arbeiten nicht so schreiben zu können, wie sie das selbst für richtig halten. Im Zweifelsfalle ließen die Peer Reviewers das nicht zu. Eine Alternative hierzu wäre ein offener Gutachtensprozess, indem man erst einmal nur die grundlegende methodische Korrektheit der Arbeit bescheinigt und danach der Online-Community die Diskussion überlässt. In den Zeiten des Internets ließe sich so ein Peer-to-Peer-System problemlos implementieren.

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