Warum nehmen die Zoonosen zu?

Seite 2: Viehzucht als Katalysator

Eine wichtige Rolle spielt die Viehzucht, denn dort treffen Wild- und Nutztiere und Menschen aufeinander. Laut Schätzungen kann etwa ein Drittel der Erreger, die Haus- und Nutztiere infizieren, prinzipiell auch auf Menschen übergehen.

Aufgrund des Bevölkerungswachstums und des steigenden Anteils von Fleisch an der Ernährung gibt es immer mehr Nutztiere. Die Zahl der Haushühner - um ein extremes Beispiel herauszugreifen - stieg von 10,6 Milliarden weltweit im Jahr 1990 auf 26 Milliarden im Jahr 2019.

Die Körpermasse der Broiler übersteigt mittlerweile die Masse aller anderen Vögel. Der Mensch und seine Nutztiere dominieren die Biosphäre insgesamt: Laut seriösen Schätzungen haben Menschen mittlerweile einen Anteil an der Biomasse von 36 Prozent, Nutztiere von 60 Prozent. Wildtiere kommen gerade einmal auf vier Prozent.

Das gegenwärtige Agrarsystem trennt Nutztier und Nutzpflanze und zerreißt dadurch sinnvolle landwirtschaftliche Nährstoff- und Energiekreisläufe. Eine Folge dieser Trennung mit gesundheitlichen Konsequenzen ist die enorme räumliche Konzentration der Tiere.

Weil sich Schweine, Hühner und Rinder in der intensiven Viehzucht nicht vor Ort vermehren, passen sich die Immunsysteme der nächsten Generation nicht an die Erreger an. Die Tiere sind in aller Regel "monotypisch", das heißt: ihre Erbanlagen weitgehend gleich.

Das macht es Viren und Bakterien leicht, sich in den Haltungen zu verbreiten. Haben sie eine Immunschranke überwunden, können sie fast mühelos von Tier zu Tier springen. Dieser "evolutionäre Dampfkochtopf" (Mike Davis) wird durch antibakterielle und antibiotische Mittel und Impfungen mühsam unter Kontrolle gehalten.

Aber trotz aufwendiger Maßnahmen für die "Biosicherheit" entstehen an dieser Kontaktfläche Zoonosen. Besonders Schweine gelten als "Mischgefäße für Viren", weil in ihnen humane und nicht-humane Erreger aufeinandertreffen und sich durch den Austausch von DNA oder RNA (Reassortment) verbinden. Physiologisch ähneln sich Mensch und Schwein, zum Beispiel in der Gewebe- und Zellstruktur.

So können Hausschweine in Freilandhaltungen beispielsweise von Fledermäusen und Zugvögeln einerseits und Menschen andererseits infiziert werden. Auf diese Art entstand 2009 die "Reassortante H1N1", nämlich aus einem menschlichen und einem aviären ("Vögel betreffenden") Influenzavirus.

Eine Studie des Friedrich-Loeffler-Instituts von letztem Jahr berichtet, das in mehr als der Hälfte der schweinehaltenden Betriebe ganzjährig Influenzaviren zirkulieren. In Tierversuchen zeigte sich, dass manche von ihnen bereits Etappen auf dem Weg zum Menschen überwunden hatten.

Obwohl die Tiere in der industrialisierten Viehzucht nach Möglichkeit von der Umwelt isoliert werden - in manchen "biosicheren Mastanlagen" wird sogar das Werkzeug sterilisiert! -, bieten sie Viren und Bakterien mit zoonotischem Potenzial einen Lebensraum. Sofern die Tiere nicht gänzlich von der Außenwelt abgeschottet werden, ist der Austausch von Mikroorganismen zwischen innen und außen unvermeidbar. In den Niederlanden führte die Intensivierung der Ziegenhaltung zwischen 2007 und 2010 zu Ausbrüchen von Q-Fieber. Das Virus wurde über Staub aus den Farmen verbreitet.

Geht es um die ökologischen Ursachen von Covid-19, dann kreist die Debatte meist um exotische Arten wie Flughunde oder Schleichkatzen und asiatische oder afrikanische Wildtier-Märkte. Aber dieser Fokus führt in die Irre. "Wildnis" im eigentlichen Sinn gibt es kaum noch. Anwohner am Waldrand oder professionelle Jäger dringen immer tiefer in die letzten Habitate vor, um wilde Tiere zu erlegen.

Weil die Jagd aufwendiger und teurer wird, werden begehrte Gattungen zunehmend gezüchtet, teilweise in denselben Anlagen wie traditionelle Nutztiere. Laut einer Studie aus China von 2017 beschäftigt diese Branche ungefähr 15 Millionen Menschen, ihr Jahresumsatz wird auf 20 Milliarden US-Dollar geschätzt. Industrielle Fleischproduktion und Wildtierzucht überlappen in einigen Weltregionen, sowohl räumlich als auch kommerziell.

Ungesunde Arbeits- und Lebensbedingungen erhöhen das Risiko

Ab Mitte der 1990er-Jahre wurde in Malaysia großflächig tropischer Wald abgeholzt, auf dem gerodeten Gebiet intensive Schweinezucht und Plantagenwirtschaft betrieben. So kamen Flughunde in engeren Kontakt mit Hausschweinen und das Nipah-Virus entstand. Die fiebrige Lungen- und Gehirnentzündung grassierte 1998 unter Tieren, Bauern und Beschäftigten in den Schlachthöfen.

Über die Hälfte der Erkrankten starb. Infizierte Schweine wurden nach Singapur exportiert, worauf es dort ebenfalls zu Ausbrüchen kam. Seitdem zirkuliert das Virus in Bangladesch und taucht gelegentlich auch im indischen West-Bengalen auf. Nipah kann von Mensch zu Mensch übertragen werden.

Das Beispiel verweist darauf, dass es bei Spillover-Ereignissen auch auf den Gesundheitszustand der Menschen ankommt. Durch Hunger oder Überarbeitung geschwächte Immunsysteme werden leichter besiedelt. Gerade das scheint an der Kontaktfläche häufig der Fall zu sein.

Die unmittelbare Bearbeitung der Natur - die Handarbeit auf dem Acker, in den Mastanlagen oder im Schlachthof - ist in der Regel Niedriglohn-Arbeit. Beschäftigte sind überlastet, Saisonarbeiterinnen leben oft gemeinsam in beengten Baracken.

Aus Sicht der Infektionsbekämpfung sind solche Räume hochgefährlich. Dort zirkulieren Krankheitserreger zwischen Tier und Mensch hin und her und bilden Eigenschaften aus, die sie später unter Umständen epidemisch werden lassen.

Teil 2 beschäftigt sich mit den Möglichkeiten, Spillover zu verhindern und neue Zoonosen zu kontrollieren: Wie lassen sich die Zoonosen eindämmen?

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