Was Sahra Wagenknecht mit Christian Lindner verbindet
Die neue Partei der Ex-Linke-Politikerin wird eher nicht links, meint unsere Autorin. In einem Punkt erkennt sie sogar Wunschdenken der FDP wieder.
Das hätte ChatGPT nicht besser gekonnt! Wer die Website des Vereins Bündnis Sahra Wagenknecht – für Vernunft und Gerechtigkeit (BSW) öffnet, um mehr über die Ziele und Konzepte der Namensgeberin und ihrer noch nicht gegründeten Partei zu erfahren, kann sich wohlig in Buzz-Words suhlen: Da geht es um Vernunft, Gerechtigkeit, Leistung und Freiheit – wer könnte da etwas dagegen haben?
Auch ein "friedliches Zusammenleben der Völker" und "der Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen" sind Forderungen, die der Neujahrsansprache des Bundespräsidenten entstammen könnten.
Beim Blick in die Unterpunkte des "Manifests" der Noch-Nicht-Partei wird es kaum konkreter. Das fällt insbesondere in den Themenfeldern Wirtschafts- und Sozialpolitik auf. Natürlich kann man von einer Partei in Gründung kein umfassendes und in sich konsistentes Programm für Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik erwarten.
Wenn aber bei der Vorstellung eines Vereins eine promovierte Volkswirtin, ein Wirtschaftspolitiker und ein Unternehmer auf dem Podium sitzen, weckt das doch höhere Erwartungen, als der Verein tatsächlich einlöst. Tatsächlich handelt es sich um einen wilden Mix von sozialdemokratischen, wirtschaftsliberalen und antimonopolistischen Versatzstücken, garniert mit einer guten Prise Nationalismus und Rückwärtsgewandtheit. So heißt es zum Thema Wirtschaft:
Wir streben eine innovative Wirtschaft mit fairem Wettbewerb, gut bezahlten sicheren Arbeitsplätzen, einem hohen Anteil industrieller Wertschöpfung, einem gerechten Steuersystem und einem starken Mittelstand an. Dafür wollen wir Marktmacht begrenzen und marktbeherrschende Konzerne entflechten. Wo Monopole unvermeidlich sind, müssen die Aufgaben gemeinnützigen Anbietern übertragen werden.
Bündnis Sahra Wagenknecht
Alle, die bis gestern noch glaubten, Sahra Wagenknecht sei eine Kommunistin oder auch nur eine Linke, müsste dieser Absatz eines Besseren belehren: Der wirtschafts- und finanzpolitische Ansatz besteht vorwiegend aus dem, was sich schon durch ihr Buch "Die Selbstgerechten" zieht: die alte Mär vom guten, sozialen und innovativen Mittelstand, der von den großen Konzernen, der unfähigen Politik und den hohen Energiepreisen daran gehindert wird, sein Potenzial in der Exportwirtschaft ausreichend zu entfalten und der deutschen Wirtschaft damit wieder zur Weltgeltung zu verhelfen.
Auf Dauer unvereinbar: Standort-Nationalismus und Friedenspolitik
Dass genau dieses Exportüberschussmodell, auf das Neoliberale mit Blick auf Deutschland so stolz sind, mit Raubbau an der Natur, ungehemmter Erderwärmung sowie Abbau von Arbeitnehmer:innenrechten und sozialen Sicherheiten in der Standortkonkurrenz hierzulande wie weltweit verbunden ist – und durch die ungleichen Handelsbilanzen massive ökonomische Krisen erzeugt hat –, dass es nicht nur die Ungleichheit weltweit verschärft hat, sondern auch eine Renaissance militarisierter Außenpolitik hervorgebracht hat, das scheint der promovierten Ökonomin und ihren Unterstützer:innen entgangen zu sein.
Während im sozialpolitischen Teil zurecht eine zu geringe Tarifbindung in deutschen Unternehmen kritisiert wird, will der Verein gerade diejenigen Unternehmen, in denen Gewerkschaften und Betriebsräte noch stark sind, entflechten und in die Hand des dergestalt verklärten Mittelstandes geben.
Selbst die Passage zu den Monopolen ist mehr als enttäuschend. Während sich gesellschaftlich erstmals wieder Bündnisse auftun, die die Privatisierung öffentlichen Eigentums nicht nur kritisieren, sondern durch Enteignung und Vergesellschaftung wieder rückgängig machen wollen, fordert das BSW-Manifest nur die Überführung in "gemeinnütziges Eigentum", wohlgemerkt nicht in demokratisch kontrollierte öffentliche Hand.
Woher gemeinnützige Träger das Kapital nehmen sollten, um Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen oder die Bestände großer privater Immobilienunternehmen zu übernehmen, bleibt ein gut gehütetes Geheimnis.
Noch nicht erfundene Technologien als Lösung der Klimakrise
Zur Eindämmung der Klimakrise setzt BSW nicht etwa auf Energieeffizienz und den Ausbau erneuerbarer Energien, sondern nebulös auf noch zu erfindende "moderne Technologien" – ein Programm, das sich die Redenschreiber von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) oder Jens Spahn (CDU) nicht besser hätten ausdenken können.
Auf der Pressekonferenz konnte Wagenknecht auf Nachfrage keine einzige dieser Technologien nennen, führte dann aber aus, dass das ja ohnehin alles Zukunftsmusik sei – und jetzt brauche es vor allem eine Rückkehr zu russischem Pipeline-Gas, um die drohende Deindustrialisierung Deutschlands abzuwenden.
Angesichts gefüllter Gasspeicher, einem aktuellen Gaspreis auf dem Niveau von 2021 und in Kenntnis der Tatsache, dass nicht etwa die Bundesregierung den Gasbezug durch Nord Stream 1 eingestellt hat, sondern Wladimir Putin die Lieferung, handelt es sich bei dieser These um faktenbefreiten Populismus, ebenso wie die Behauptung, dass in Zukunft noch zu entwickelnde neue Technologien eher als schon entwickelte erneuerbare Energien den Bedarf eines Industrielandes decken könnten.
Natürlich brauchen wir Investitionen in Forschung und Entwicklung, aber den Eindruck zu erwecken, damit könne man eine entschlossene und schnelle Transformation aller energieverbrauchenden Sektoren ersetzen und erst mal so weitermachen wie bisher, ist erstens nicht besonders originell und zweitens gegen jede Evidenz.
Große Zielgruppe für eine Illusion
Die Hoffnung allerdings, dass es so einfach sei, dürfte eine große Zielgruppe erreichen: Menschen, die sich durch die Veränderungen infolge der vergangenen und gegenwärtigen Krisen so überfordert fühlen, dass sie sich zurück in eine Vergangenheit sehnen, in der nahezu grenzenlos verfügbare, billige Energie auch für wenig Begüterte einen vollen Tank und eine warme Wohnung garantierte.
Diese Menschen sehen sich heute vielfach politisch nicht repräsentiert und somit füllt das BSW-Projekt tatsächlich eine Lücke im Parteiensystem. Allerdings ist es auch gefährlich, Illusionen zu wecken, die man nicht erfüllen kann: Wenn man das berechtigte Sicherheitsbedürfnis der Menschen adressiert, aber mit dem Klimawandel den wichtigsten Unsicherheitsfaktor der heutigen Zeit faktisch ignoriert, wird das früher oder später zu noch weiterer und tieferer Entfremdung dieser Menschen von der Demokratie insgesamt führen.
Gelingt es uns in den kommenden Jahren nicht, Industrie, Verkehr und privaten Konsum von den fossilen Energien abzukoppeln, werden die dramatischen Folgen gesellschaftliche Kosten erzeugen, die auch eine noch so blühende deutsche Exportwirtschaft nicht wird decken können. Die Situation im Ahrtal, wo noch immer Menschen auf die versprochene Unterstützung zum Wiederaufbau ihrer Häuser und Betriebe warten, ist nur ein kleiner Vorgeschmack.
Dazu kommt: Die globalen Verwüstungen, die unser kapitalistisches Wirtschaftsmodell anrichtet, spielen in Wagenknechts nationaler Erzählung keine Rolle. Zur Stärkung unserer Demokratie fällt ihr im Wesentlichen die Begrenzung von Migration ein. Das Recht auf Asyl für politisch Verfolgte wird zwar bestätigt, zugleich aber die Begrenzung der Migration gefordert.
Wie dies geschehen soll, ohne noch mehr Menschen im Mittelmeer ertrinken oder in der libyschen Wüste verdursten zu lassen, bleibt ebenso im Nebel wie die Frage, wie umgegangen werden soll mit Menschen, die vor Kriegen etwa aus der Ukraine, Äthiopien, Afghanistan oder Syrien fliehen.
Diese Menschen erhalten in Deutschland zwar oft keinen Schutz nach dem Asylrecht, aber zum Beispiel nach der Genfer Konvention, die verbietet, Flüchtlinge in Kriegsgebiete abzuschieben. Von denjenigen, die es nach Deutschland schaffen, erhält deshalb ein sehr großer Teil trotz aller Einschränkungen des Asylrechts im Verfahren einen Schutzstatus, im letzten Jahr 72 Prozent.
Auch hier arbeitet Wagenknecht also mit einer Illusion: Wer diese Menschen nicht in Deutschland aufnehmen will, handelt zutiefst inhuman und muss das ohnehin bis zur Unkenntlichkeit geschliffene Asylrecht noch weiter abbauen und die EU-Außengrenzen, aber auch die Binnengrenzen weiter militarisieren.
Bekämpfung von Fluchtursachen: Fehlanzeige
Die richtige Erkenntnis, dass faire Handelsbeziehungen und eine Perspektive in den Heimatländern Menschen helfen könnten, in ihren Heimatländern bleiben zu wollen, widerspricht Wagenknechts eigenem "Germany First"-Wirtschaftsprogramm ebenso wie ihrer Ignoranz gegenüber den Folgen des kapitalismusgemachten Klimawandels.
Nach UN-Angaben mussten 2022 mehr als 30 Millionen Menschen ihre Heimat aufgrund von Klimaereignissen verlassen. Der heutige UN-Generalsekretär Antonio Guterres rechnete schon 2009 damit, dass der Klimawandel zum Hauptfluchtgrund werden könnte.
Eine "Außenpolitik im Sinne Willy Brandts und Michail Gorbatschows", die der BSW-Verein für sich reklamiert, sähe jedenfalls anders aus. Sie müsste gerade Fragen globaler Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit in den Fokus nehmen, auf die beide immer wieder verwiesen haben, um die Zusammenarbeit über die Systemgrenzen im Kalten Krieg zu begründen.
Die programmatischen Eckpunkte von Wagenknechts Verein lassen jedenfalls Spielraum für viele Projektionen, in welche Richtung sich diese noch zu gründende Partei entwickeln könnte. Dass daraus eine explizit linke Partei werden könnte, ist jedoch eher unwahrscheinlich.
Kathrin Vogler ist seit 2009 Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke, Parlamentarische Geschäftsführerin ihrer Fraktion sowie deren Obfrau im Gesundheitsausschuss und stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.