Was Verschwörungsdenken und Wissenschaft verbindet – und was sie trennt
Seite 3: Das Corona-Virus: Ein Krieger mit Willen und Ziel?
- Was Verschwörungsdenken und Wissenschaft verbindet – und was sie trennt
- Verborgene Gründe in Politik: der wichtige Unterschied
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Es sei an dieser Stelle kurz darauf hingewiesen, dass diese Form populärwissenschaftlicher Erzählungen in der Corona-Pandemie für die Erhaltung der optimistischen Vorstellung, dass die Wissenschaften mit ihren Erkenntnissen über Viren und deren Verhalten uns den Weg aus der Pandemie weisen können, besonders wichtig geworden ist.
Das Virus wurde in klaren, fast künstlerischen Darstellungen visualisiert, und zwar so, dass es jederzeit wiedererkennbar ist und wir alle zu der Überzeugung kommen konnten, genau zu wissen, wie dieses Virus wirklich aussieht. Auch das Geschehen des Eindringens des Virus in den Körper und in die Zellen, seine Vermehrung dort und seine Weiterverbreitung wurde auf diese Weise plastisch vorstellbar gemacht.
Zudem wurde das Virus quasi sogar mit einem Willen ausgestattet, ihm wurden Ziele zugeschrieben, Strategien, unter einem Selektionsdruck zu überleben. Eine Variante setzte sich dabei gegen die andere durch, als ob sie einen Krieg führten.
Man kann dies alles als Metaphern ansehen, aber sie wurden von den Forschenden in den Medien als Theorien verbreitet. Die Geschichte, die erzählt wurde, war die von unsichtbaren Eindringlingen, deren Absichten und deren Vorgehen man durchschauen kann, um einerseits das, was man beobachten kann, nämlich die Ausbreitung einer Krankheit, zu erklären, andererseits aber auch, um die Ziele des Virus vereiteln und ihn erfolgreich bekämpfen zu können.
Die Struktur der metaphorischen Erklärweise der populären Wissenschaft in den Medien wird auf diese Weise mit der Sprech- und Erklärungsweise von Verschwörungstheorien kompatibel.
Wenn die Metaphern von wissenschaftlichen Autoritäten als zutreffende, wenn vielleicht auch etwas vereinfachte Beschreibungen des wirklichen Geschehens geadelt werden, verwischen die Grenzen zwischen der Logik der Wissenschaften und der Verschwörungstheorien.
Man sieht, dass Verschwörungen in Verschwörungstheorien die Rolle theoretischer Entitäten spielen. Sie sind die Erklärung für scheinbar zufällige Ereignisse, sie sind das, was man nicht direkt beobachten kann, was aber alles erklärt, was sonst unerklärlich bliebe. Verschwörungstheorien sind also genau besehen gar kein Widerspruch zum naturwissenschaftlichen Denken.
Sie übertragen das naturwissenschaftliche Erklärungsmodell, so wie es als Erfolgsgeschichte an vielen Beispielen durch populärwissenschaftliche Berichte, Filme und Bücher zur Grundlage des Fortschrittsoptimismus wird, auf die Gesellschaft, auf Politik und Öffentlichkeit: Das Unerklärliche ist kein Zufall, sondern Resultat dessen, was man nicht direkt beobachten kann.
Der Grundsatz "Nichts ist, wie es scheint" passt also sehr gut in unser Denken, wie es vom Fortschrittsoptimismus der Naturwissenschaften geprägt ist. Zu den Erfolgserzählungen der Wissenschaften gehört es, dass das, was man im Alltag beobachtet, eigentlich eine Illusion sei.
Der Erfolg der modernen Naturwissenschaften läuft quasi parallel mit einer Kette von Einsichten, die unsere Überzeugungen von der Welt als Illusionen entlarven.
Das begann natürlich bereits lange vor der Erfolgsgeschichte der Naturwissenschaften mit der Feststellung, dass die Erde keine Scheibe ist, wie es doch der Alltagsintuition entspricht. Zusammen mit der Erkenntnis, dass die Erde sich um die Sonne dreht, und nicht umgekehrt, bildet aber die von der Kugelgestalt der Erde so etwas wie den Ursprung der Umformung des Alltagsweltbildes durch die Naturwissenschaften, eine Umformung, die durchaus unter dem Leitsatz "Nichts ist, wie es scheint" erzählt werden kann.
Das vorläufig letzte Kapitel in dieser Umformungsgeschichte ist die Behauptung einiger Neurowissenschaftler, dass auch unser freier Wille, den wir täglich ganz unmittelbar erleben, nur eine Illusion sei, und dass er ganz auf das Neuronenfeuerwerk in unseren Gehirnen reduziert werden könne. Auch in unserem alltäglichen Selbsterleben und in unserer Selbstbeobachtung wäre also nichts so, wie es schiene.
Somit ist also auch das Grundprinzip von Verschwörungstheoretikern, dass die Zusammenhänge in Politik und Gesellschaft, so wie wir sie täglich erleben und ohne Verschwörungstheorie für plausibel halten, nur eine Illusion seien, und dass im Hintergrund eigentlich ganz andere Prozesse ablaufen, die alles viel verständlicher erklären können, durchaus kompatibel mit, wenn nicht sogar gegründet in dem erfolgreichen naturwissenschaftlichen Erklärungsmodell, welches wir als rational und als Quelle unseres Erkenntnis- und Fortschrittsoptimismus ansehen.
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