Was Verschwörungsdenken und Wissenschaft verbindet – und was sie trennt
Seite 2: Verborgene Gründe in Politik: der wichtige Unterschied
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Gerade weil die Naturwissenschaften aufgrund ihres Erfolges und ihrer Erklärungskraft paradigmatisch geworden sind für die Erklärung der Wirklichkeit überhaupt (also auch der gesellschaftlichen und der politischen Wirklichkeit), ist es naheliegend, den Satz vom Grund – Nihil est sine ratione – als Grundsatz auch auf Gesellschaft und Politik zu übertragen.
Dies bedeutet, sich auch in der sozialen Sphäre, in den Geschehnissen der Wirtschaft, der Öffentlichkeit und der Politik nicht mit der Aussage, etwas sei zufällig so gekommen, wie es ist, zufriedenzugeben, sondern nach bisher noch verborgenen Gründen zu suchen.
In der Wissenschaftsphilosophie spricht man in solchen Fällen von so genannten theoretischen Entitäten. Das sind Elemente der Theorie, die man nicht direkt beobachten kann, deren Einführung in eine wissenschaftliche Theorie aber vieles von dem erklärt, was sich beobachten lässt.
Elementarteilchen etwa sind solche theoretischen Entitäten in der Physik. Man kann auch Kräfte dazu zählen. Theoretische Entitäten gibt es auch in anderen Disziplinen bis hin zur Ökonomie und den Sozialwissenschaften.
Es gibt eine umfangreiche wissenschaftsphilosophische Diskussion zu der Frage, ob die Verwendung von theoretischen Entitäten in einer wissenschaftlichen Theorie zwingend die Behauptung impliziert, dass diese Entitäten auch in der Wirklichkeit existieren.
Man unterscheidet den Realismus (bei dem die Forschenden von diesen Entitäten, wenn sie sie in die Erklärung vieler verschiedener Beobachtungen einbauen, annehmen, dass sie auch wirklich existieren), vom Instrumentalismus, bei dem die Entitäten nur nützliche Instrumente der Theorie sind, um etwa Beobachtungen vorhersagen zu können, ohne dass man damit behaupten würde, dass diese Elemente der Theorie tatsächlich in der Wirklichkeit so sind, wie es die Theorie beschreibt.
Man geht davon aus, dass die meisten professionellen Forschenden einem realistischen Ansatz folgen, dass sie also wirklich annehmen, dass etwa Elektronen so sind, wie man sie in den Theorien beschreibt.
Vermutlich sind viele Menschen, die jahrelang in der Wissenschaft tätig sind, hinsichtlich dieser Frage nachsichtig mit sich selbst – sie sprechen so, als würden die Dinge so sein, wie es die Theorie formuliert, weil es das wissenschaftliche Gespräch vereinfacht.
Aber wenn sich herausstellt, dass die Dinge, die als Eigenschaften der theoretischen Entitäten bezeichnet werden, doch sehr schwer vorstellbar sind, dann kann man sich immer darauf zurückziehen, dass die mathematischen Berechnungen sehr gut passen und dass das in der Praxis des Experimentierens und des theoretischen Schlussfolgerns am Ende entscheidend sei.
Für das Verständnis von Verschwörungstheorien, um das es uns hier am Ende geht, ist aber nicht entscheidend, wie die Forschenden in den Instituten und Universitäten in ihrer Arbeit über theoretische Entitäten denken, sondern wie in der Öffentlichkeit darüber berichtet wird und wie die populärwissenschaftlichen Darstellungen die Prinzipien und Inhalte der wissenschaftlichen Theorien vermitteln.
Diese Vermittlungen definieren letztlich, welche Struktur Wissen in einer Gesellschaft hat. Sie illustrieren und bestimmen, nach welchen Prinzipien Erklärungen akzeptiert werden, wonach gesucht wird, wenn nach Gründen und Ursachen für Beobachtungen gefahndet wird, und wann die Suche befriedigt beendet werden kann, weil ein Grund für das, was uns in der Wirklichkeit begegnet, angegeben werden kann.
Die populärwissenschaftlichen Erzählungen von dem, was die Naturwissenschaften erforschen, berichten regelmäßig, ausgiebig und spannend von den Dingen, die für das menschliche Auge unsichtbar sind: Weil sie sehr klein sind, wie etwa Gene, Atome, Elementarteilchen, weil sie sehr weit weg sind, wie etwa Schwarze Löcher, weil sie prinzipiell unsichtbar sind, wie etwa Dunkle Materie oder Dunkle Energie, oder weil sie weit in der Vergangenheit liegen, wie etwa der Urkontinent oder der Urknall.
All diesen Dingen ist gemeinsam, dass wir sie zwar nicht sehen oder irgendwie unmittelbare Klarheit über ihre Existenz haben können, dass aber viele Indizien in unseren Beobachtungen auf ihre Existenz hinweisen und alles, was wir beobachten können, erklärbar wird, wenn wir annehmen, dass diese Dinge existieren oder existiert haben. In den populärwissenschaftlichen Erzählungen ist bei Schwarzen Löchern, Dunkler Energie oder Elementarteilchen nie von etwas die Rede, dessen tatsächliche Existenz mit den beschriebenen Eigenschaften letztlich unwichtig ist.
Diese theoretischen Entitäten sollen die gemachten Beobachtungen erklären: Es ist immer so, dass es ganz realistisch um die tatsächliche Existenz dieser Bausteine der Natur geht, die entweder wirklich da sind und damit alles erklären, was wir beobachten können, oder eben nicht da sind, was unsere Erklärungen dann auch widerlegen würde. Aber ob sie da sind oder nicht – das können wir immer nur indirekt aus den Indizien unserer Beobachtungen folgern.
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