Was Verschwörungsdenken und Wissenschaft verbindet – und was sie trennt
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Wer an verborgene Kräfte glaubt, muss nicht zwangsläufig spinnen. Denn das tun auch Physiker oder Biologen. Und doch gibt es einen feinen Unterschied. Ein Buchauszug.
Zumeist wird das Denken in Verschwörungstheorien dem wissenschaftlich orientierten Denken entgegengesetzt. An dieser Entgegensetzung sind allerdings Zweifel angebracht. Die drei Grundannahmen, die man als methodische Axiome von Verschwörungstheoretikern ansetzen könne, lauten, so der Amerikanist Michael Butter im Anschluss an Michael Barkun: "1. Nichts geschieht durch Zufall. 2. Nichts ist, wie es scheint. 3. Alles ist miteinander verbunden."
Wenn man eine Physikerin oder einen Biologen fragen würde, wo sie diese Sätze als Grundlage einer Methodik einordnen würden, wäre man wohl kaum überrascht, wenn sie diese Annahmen als Grundsätze ihrer eigenen Forschungen akzeptieren würden. Der erste Satz kann unmittelbar als Neuformulierung eines philosophischen Grundsatzes der Neuzeit gelesen werden: Nihil est sine ratione – nichts ist ohne Grund.
Leibniz hat diesen Satz eigens formuliert und Martin Heidegger hat in seiner Vorlesung "Der Satz vom Grund" herausgearbeitet, dass dieser Grundsatz das neuzeitliche Denken beherrscht. Anzunehmen, dass nichts, was wir in der Wirklichkeit beobachten, ohne Grund geschieht, ist die Voraussetzung der naturwissenschaftlichen Forschung überhaupt.
Ihr Ziel ist es, diese Gründe aufzuspüren und sie dingfest zu machen, sie in den Griff zu bekommen und sie letztlich technisch verfügbar zu machen, sei es für weitere Forschungen, sei es für einen technischen Nutzen bei der Gestaltung der Wirklichkeit.
Völlig selbstverständlich ist für die Naturwissenschaften auch, dass die Gründe für das empirisch beobachtete Geschehen der Forschung zunächst verborgen sind.
Wenn in einem Experiment ein Verhalten beobachtet wird, das nicht erwartet worden ist, dann werden die Forschenden entweder versuchen, das Geschehen mit bereits bekannten Prinzipien zu erklären, und nach den Gründen suchen, warum diese Prinzipien im aktuellen Fall andere als die erwarteten Beobachtungen herbeiführen, oder sie werden etwas bisher ganz Unbekanntes hinter dem Geschehen vermuten, das aufgespürt werden muss.
"Bekannt" bedeutet allerdings zumeist, dass die Annahme dieser Prinzipien sich bisher in anderen Experimenten oder empirischen Beobachtungen gut bewährt hat und somit erfolgreich als Grund für das Geschehen angesetzt werden konnte.
Umgekehrt bedeutet "unbekannt" nicht, dass das Neue, was da aufgespürt wird, völlig unvertraut ist – zumeist passt es ins Schema des Bekannten: Es ist eine neue Art, aber eben eine Art wie die anderen Arten, ein neues Elementarteilchen, aber eben auch ein Elementarteilchen, ein neues Element, aber eben ein Element wie die bekannten Elemente.
Womöglich fällt das Neue ein wenig aus dem Rahmen, den man für Neues angenommen hatte. Dann beginnt man, nach den Gründen zu suchen, denn es gibt keinen Zufall, der etwas anders als erwartet sein lässt. "Nichts ist ohne Grund", das heißt auch: Nichts ist ohne Grund anders, als es sein sollte, als man es erwartet hätte.
Man stelle sich vor, in einem physikalischen Experiment würde etwas gemessen, was sich niemand erklären könnte. Da würde niemand auf die Idee kommen, zu sagen: Da gibt es keinen Grund, das ist Zufall.
Zwar könnte man im Einzelfall, bei kleinen Abweichungen vom Erwarteten, einen Messfehler, eine unbekannte Störung vermuten, aber wenn die Beobachtung häufig passiert und eine nennenswerte Größe hat, dann würde man sich notwendigerweise auf die Suche nach dem Grund machen.
Das gilt für die Physik ebenso wie für die Virologie, und die Geschichte der Naturwissenschaften ist voll von Beispielen, bei denen die Forschung keine Ruhe gegeben hat, bevor sie nicht die Ursache für Störungen gefunden hatte, die zunächst nach Zufall aussahen.
Die Annahme, dass es einen verborgenen Grund für ein Geschehen gibt, das man beobachtet, aber auf Basis der bestehenden Erklärungsansätze nicht erklären kann, ist also keineswegs eine Besonderheit von Verschwörungstheorien, sondern zumindest die Grundlage des ganzen neuzeitlichen Denkens, das die moderne Wissenschaft geprägt hat und dass diese Wissenschaft von Erfolg zu Erfolg führt – jedenfalls nach den gängigen Erzählungen über die Geschichte der Wissenschaften.
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