Was am Wagenknecht-Schwarzer-Manifest wirklich kritikwürdig ist

Eine Kapitulation wird nicht gefordert. Das Problem ist ein anderes. Symbolbild: Gerd Altmann auf Pixabay (Public Domain)

Heftig und staatstragend wettern Empörte gegen den Friedensappell. Die Kritik trifft aber nicht den eigentlichen Schwachpunkt. Manche Kritiker scheinen den Text auch gar nicht zu kennen.

Als am Freitag das "Manifest für Frieden" federführend von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer veröffentlicht wurde, ging erwartungsgemäß ein Sturm der Entrüstung durch die deutsche Twitter-Bubble. Als "Aufforderung zur Selbstaufgabe" bezeichnete Comedian Oliver Kalkofe den Aufruf, "Speichelleckerinnen für Kriegsverbrecher" nannte Wetterfrosch Jörg Kachelmann die Initiatorinnen; von einem "irrsinnigen Aufruf" wurde unter dem subkulturell anmutenden Namen "Antifa Zeckenbiss" getwittert, um sich im selben Atemzug staatstragend für ein Statement der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zu bedanken.

Appell ist keine Kapitulationsaufforderung

Man fragt sich etwas, ob die Empörtheitsfraktion aus dem deutschen Establishment das "Manifest für den Frieden" eigentlich gelesen hat. Von einer freiwilligen Kapitulation steht da gar nichts. Es ist wahrheitsgemäß von einer "von Russland brutal überfallenen ukrainischen Bevölkerung" die Rede. Das Manifest richtet sich nicht einmal an die Kiewer Regierung.

Aber es macht Kritik an deutschen Waffenlieferungen geltend und beinhaltet die Aufforderung zu Verhandlungen: "Verhandeln heißt nicht kapitulieren" steht wörtlich im Text. Benannt wird die Notwendigkeit von Kompromissen "auf beiden Seiten", da in der aktuellen Pattsituation "keine Seite militärisch siegen" könne.

Ob gerade aktuell deutsche Waffenlieferungen der Ukraine zum Sieg verhelfen oder eher zu einem lang anhaltenden Krieg führen, ist selbst unter Militärexperten hochumstritten. Viele rechnen nicht damit, dass die Ukraine mit den Panzern einen offensiven Durchbruch schafft.

In Russland läuft die eigene Panzerproduktion auf Hochtouren. Ebenso gegeben ist das Eskalationspotential, das in ukrainischen Plänen liegt, mit westlicher Waffenhilfe notfalls die Krim zurückzuerobern, was im Appell angesprochen wird.

Adressat ist (leider) nur die deutsche Regierung

Dennoch hat der Appell eine große Schwäche, die seine Sinnhaftigkeit in Frage stellt: Der Adressat ist ausschließlich die deutsche Bundesregierung, namentlich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Denn wie heißt es so schön im Manifest: "Wir Bürgerinnen und Bürger Deutschlands können nicht direkt auf Amerika und Russland oder auf unsere europäischen Nachbarn einwirken".

Der Einfluss der deutschen Regierung auf das Grundthema "Krieg und Frieden" in der Ukraine ist in der Tat nicht so groß, wie die Autoren des Manifests suggerieren. Das gilt beim politischen Einfluss ebenso wie bei den kritisierten Waffenlieferungen: Die Top-Lieferanten für die Kiewer Armee sind die USA und Großbritannien und beide würden wohl auch bei größerer Zurückhaltung in Berlin die Kiewer Armee am Laufen halten. Wie kürzlich bekannt wurde, unterstützen die USA ja auch bei der Zielfindung die Kiewer Truppen.

Deutschland ist daneben so fest ins westliche Bündnis integriert, dass es für eine aktive Vermittlerrolle schon lange komplett ausscheidet. Für Russland ist es Teil des Feindes und das ist in den sehr harschen Statements aus Moskau in Richtung Berlin auch spürbar. Wenn Vermittlung kommt, dann durch direkt neutrale Akteure, wie den für seine Neutralität aus Deutschland sogar kritisierten brasilianischen Präsidenten Lula da Silva.

Nur ein Aufruf an entscheidende Akteure macht Sinn

Tatsächlich wäre es, wenn man den Krieg durch Verhandlungen beenden will, wichtiger an Russland als den Invasoren, der den Krieg begonnen hat und an die USA, den entscheidenden Waffenlieferanten der Kontrahenten zu appellieren. Und an Kiew selbst. Wer sich damit herausredet, dass deutsche Bürger nicht direkt auf Amerika und Russland einwirken können, macht es sich sehr einfach.

Denn was hält die Initiatoren des Appells davon ab, eine ähnliche Initiative auf eine internationale Basis zu stellen, US-amerikanische, ukrainische und russische Kriegsgegner einzubeziehen? So dass die Stimme im Appell mehr Gewicht bekommt? Dann ließe sich der Adressat einfach ändern.

Gerade Wagenknecht als Sozialistin müsste wissen, dass eine Friedensarbeit immer international funktionieren muss. Das Argument, auf fremde Regierungen könne man "nicht direkt" einwirken, klingt zusätzlich vorgeschoben angesichts der Tatsache, dass auch auf die Entscheidungen der deutschen Regierung die Verfasser des Manifests ja keinen direkten Einfluss haben.

Selbst mit dem indirekten Einfluss über die öffentliche Meinung sieht es nicht allzu rosig aus angesichts der Tatsache, dass es eben auch eine mächtige Gegenfront in der deutschen Elite gibt. Die Front derjenigen, die nur eine Art russische Kapitulation als einzig möglichen Weg zum Frieden ansehen und zurecht am Appell kritisieren, dass er Russland als Hauptverursacher des Kriegs ausspart. Die Nato übrigens als Gegenseite ebenfalls.

Was man versucht, ist ein Appell. Ein solcher ist eine indirekte Einflussnahme, die umso mächtiger ist, je mehr Leute sich aus möglichst vielen Staaten daran beteiligen und die einen Adressaten erreicht, der den Weg zu Verhandlungen ändern kann. Sonst taugt sie nur dazu, dass sich die, die sich an ihm beteiligen, irgendwie besser fühlen.

Besser fühlen sich auch diejenigen, die jetzt in den sozialen Medien begeistert die Unterzeichnenden in die gewünschte "Verräterecke" stellen. Und für Wohlfühladressen besteht angesichts der ernsten Lage im Kriegsgebiet ebenso wie bei den internationalen Beziehungen keinerlei Anlass.

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