Was bringt die Zukunft: Politische KI oder KI-Politik?

Werden Algorithmen bald zu den besseren Politikern? Epochaler Machtkampf nicht nur innerhalb des Westens. Besonders wichtig für die Visionen: 2045. Ein Überblick (Teil 3 und Schluss).

In Teil 1 und Teil 2 dieses Überblicks haben wir zunächst Aspekte der politischen und kontextpolitischen Veränderungskraft von KI unter die Lupe genommen. Darauf aufbauend haben wir einige Regierungsprogramme untersucht, die KI für sich zu benutzen suchen – und dabei nichts weniger als großflächige bis Menschheitsveränderungen anstreben.

KI dient heute sowohl der Entscheidungsvorbereitung wie als mögliche Vorreiterin einer "anderen" Art von Politik, in deren Zentrum die Verbindung von Pragmatik mit Kybernetik steht. Im Blick auf die kommenden Jahre stellt sich die Frage, wo die Perspektive der Konvergenz von KI und Politik liegt.

Wird KI Politik ersetzen?

Angesichts der Entwicklungen, die wir in Teil 1 und 2 betrachtet haben, häufen sich heute Ansätze, Künstliche Intelligenz entweder als künftigen Ersatz von Politik oder aber als deren neue Herrin zu deuten. Shoshana Zuboffs "Überwachungskapitalismus" (surveillance capitalism) aus dem Jahr 2019 ist bereits ein Klassiker.

Laut Zuboff ist die KI-Steuerung und -Integration großer Datenmengen die eigentliche, neue Form des Politischen in der Gegenwart. Sie überschreitet an realer Macht längst die institutionalisierte Politik. Zuboffs Forderung nach einer "menschlichen Zukunft an den neuen Grenzen der Macht" mittels "Demokratisierung der Algorithmen", um deren Errichtung einer universalen, alles durchdringenden techno-humanen Macht zu brechen, wird inzwischen von vielen Gelehrten und Politikern geteilt.

Breit geteilt wird auch die Ansicht, dass der neuen, "impliziten" KI-Überwachung nicht mehr durch zivilgesellschaftliche Gegenformen der "Unterwachung" (sousveillance) beigekommen werden kann, also durch die Dokumentation von Machtausübung durch Bürger, die mit Handykameras und Internetplattformen Transparenz herstellen, was noch die frühen Aktivisten des Internet erhofft hatten.

Auf die veränderten Machtformen und ihre Anforderungen reagieren mittlerweile neue Formen alternativen Umgangs, wie zum Beispiel The Syllabus.com des – allerdings nicht unumstrittenen – belarussischen Publizisten Evgeny Morozov, der inzwischen auch in europäischen Medien populär ist.

Vor allem die politische Ausgewogenheit der damit verbundenen Kritik, die sich meist einseitig gegen westliche, nur selten gegen Akteure in autoritären Gesellschaften wie Russland oder China richtet, steht zur Debatte. Ähnliches gilt für europaweite Initiativen wie X-net aus Barcelona, die mit postuniversitären Ausbildungsprogrammen wie "Technopolitiken und Rechte in der Digitalen Ära" verbunden ist und versucht, auch im europäischen Schulbereich Fuß zu fassen.

Epochaler Machtkampf und irrige Vorhersagen

Zusammenfassend ist das Feld zwischen Bürgergesellschaft, Politik und KI heute in starker Bewegung – allerdings mit ungewissen Perspektiven. Dabei handelt es sich auch um einen epochalen Machtkampf zwischen KI-Politik-Befürwortern und -Gegnern. Sowohl Befürworter wie Gegner kennzeichnen diesen Kampf als mit entscheidend sowohl für die Zukunft von Freiheit wie offener Gesellschaft.

Oft wird die Tatsache vernachlässigt, dass sich dieser Kampf nicht nur innerhalb des Westens, sondern in einem globalen Umfeld abspielt, das längst nicht mehr von Demokratien allein bestimmt wird und wo die neuen Allianzen der Autokratien auf dem Vormarsch sind.

Trotzdem könnte es der Debatte um die Zukunft der Politik in der KI-Gesellschaft in den kommenden Jahren gehen wie vordem der Debatte um die Zukunft der Religion. Manche werden angesichts des – behaupteten und faktischen – Aufstiegs von KI ins Zentrum aller Lebenszusammenhänge behaupten, dass herkömmliche Politik wegen der umfassenden Technisierung der Lebensstile in absehbarer Zeit gar keine Rolle mehr spielen wird – so wie man das vorher zum Beispiel für die traditionelle Religion prophezeit hat.

Doch diese Vorhersage könnte sich als falsch erweisen. Bei Religion jedenfalls hat man sich bisher mit dieser Prophezeiung, die bereits von den liberal-säkularen Nationalstaats-Ideologien des 19. und 20. Jahrhunderts vorgebracht wurde, über lange Zeiträume immer wieder aufs Neue getäuscht. Doch wenn der Verfall von Religion auch aufgrund des Trends zu "digitaler Religion" bislang nicht eingetreten ist, ja im Gegenteil neuen Renaissance-Bewegungen Raum gibt – wird dann das Politische, wie wir es kennen, vor dem Aufstieg Künstlicher Intelligenz weichen?

Vermutlich nicht gänzlich; und nicht so, wie es manche Kritiker angesichts der Phänomene des heutigen "KI-Goldrauschs" erwarten.

Wie immer man die Herausforderung beantworten will: Zur Sphäre Künstlicher Intelligenz gehört, dass sie laut ihren Vorreitern und Propagatoren immer mehr zum Katalysator, Transformator und Umschlagpunkt "traditionell menschlicher" politischer Prozesse werden soll.