Was dem Humanen am fremdesten ist

Seite 2: "Die Wiederholung hat gewollt, dass sie performativ wird"

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Ist es möglich, aus dem leicht enigmatischen Charakter ihrer Ausführungen auf den poetologischen Zauber zu schließen, der ihr Werk umkreist?

Achim Szepanski: Nach Souriau ist also das literarische Universum keineswegs mit der fabula bzw. der Narration identisch, und gerade deswegen wird es möglich, neben der im Roman erzählten Welt ein heterogenes Gefüge von diskursiven Handlungszeiten und -räumen mit einer Vielzahl von Zugängen einzuführen. Man wird unter Umständen dem Exzess von Beschreibungen stattgeben, im Verlauf dessen nicht nur die Parataxe/Hypotaxe, Verschachtelung der Sätze, wie eine differenzierende Wiederholung voranschreitet, sondern die Wörter selbst eine eigenartige Materialität (Wortblöcke) erhalten, und beides führt zur Auflösung von rein narrativen Funktionen. Und die Wiederholung hat dann gewollt, dass sie performativ wird, um Kontigenz bzw. einen Überschuss an Bedeutungen freisetzen, der die Dinge, Strategien und Ereignisse von ihrer je schon angewiesenen Bestimmtheit abweichen lässt, bis Bedeutung und Kontext selbst ins Wanken geraten.

"Die parataktische Verkettung ist eine der Möglichkeiten"

Wiederholt wird im besten Falle nur die Differenz, indem sie sich differenziert, d.h. die Differenz wiederholt sich niemals eins zu eins, und somit kehrt die Differenz in allen Differenzen wieder, und zwar immer mit einem noch so kleinen Unterschied. Jeder Text muss also seine eigenen Regeln und seine spezifische Aufteilung des Sinnlichen, der Bildes und der Sätze betreiben, und die parataktische Verkettung ist eine der Möglichkeiten, die verhindert, dass sich die Literatur entweder in der schizophrenen Auflösung oder in der Konsenspolitik verliert.

Geht man mit Foucault davon aus, dass die Literatur selbst zu jenem großen Zwangssystem der Moderne gehört, das Wahrheitseffekte produziert, indem es den Alltag verpflichtet, sich in fiktionalen Diskursen zu offenbaren, dann kann sie nicht mehr tun, als die radikale Zufälligkeit der Aufteilungen des Gedanklich-Sinnlichen, des Sichtbaren und Sagbaren anschneiden, entgegen jeder Psychologie, weil der Roman im besten Falle das ist, was dem Humanen am fremdesten ist.

"Oxymoron von serieller Authentizität"

Wenn man dagegen in der zeitgenössischen Literatur einen Telegrammstil generiert, dann parodiert man sozusagen den eigenen narrativen Overkill (die Literatur will ja so gerne und so viel erzählen), weil diese Erzählungen mit ihren stilistischen und semantischen Mustern in einen Schematismus hineinrutschen, der die ständige Ausstellung der Einzigartigkeit ihrer Figuren, die allerdings dem Oxymoron von serieller Authentizität (das Freilegen der kleinsten Geheimnisse, die keine mehr sind, also das Ende des Skandals) stets folgt, seltsam prüde macht.

Der Bruch selbst wird konventionell, und, wie zu erwarten, muss man mit Steigerungsprozessen arbeiten, die zum Schluss die circumstances der Individualität wie im TV-Talk blitzlichtartig ausleuchten. Selten kommt es vor, dass ein Autor wie David Foster Wallace die Ausdrucksmaschine anwirft, um Konsenspolitik, journalistische Sprachmuster und Authenzitätshysterie aufzubrechen, man denke an die einzigartige, aber doch konsistente Verkettung von Präpositionen, Adverbien, Parataxen etc., ja an das berühmte deleuzianische Connecten und Stolpern.

Wie wichtig ist Ihnen Verständlichkeit und logische Nachvollziehbarkeit Ihres Werks?

Achim Szepanski: Die Literatur als fiktive Tatsache, nicht in Übereinstimmung mit rein logischen Kategorien und Relationen, sollte, wie Deleuze/Guattari schreiben, gleich einer Geheimsprache das Variablensystem von öffentlichen Sprachen bzw. Staatssprachen verrätseln oder variieren, um die Konnektion individueller Äußerungen mit kollektiven, technischen Strategemen und Diskursen jedweder Art neu zu denken.

Andererseits gibt es in der Literatur Enträtselungsverfahren, ein lokales Vokabular, um "möglichst nahe an das Biest heranzukommen". Wallace schreibt beispielsweise nicht Dreieck, sondern Sierpinski-Dreieck, d.h. er präzisiert ständig, und in Anlehnung an Michel Serres könnte man sagen, dass der durchschnittliche Leser sich nun darüber beklagt, dass er im Wörterbuch nachschlagen muss, doch der Mathematiker freut sich, dass man ihn respektiert (und nicht respektiert, da beginnt eben dann der Einsatz des Humors oder der Ironie).

"Enträtselung als Verrätselung"

Wenn man die sexuelle Perversion eines Yuppies, der mit Punkern durch L.A. zieht und Befriedigung nur aus dem Anbrennen von Körperteilen gewinnt, mit einer Misshandlung durch den Vater erklärt, also die (psychoanalytische) Wissenschaft sozusagen aufpfropft und dabei nichts im Unklaren belässt, und das Ganze wieder auf einer Metaebene verrätselt, die Enträtselung als Verrätselung sozusagen, die die Wissenschaften ja auch betreiben, dann ist das wohl ein satter Akt der Ironie eines David Foster Wallace. Im Gegensatz zu Wallace leisten sich meine Texte eine weitaus stärkere Hybridität, d.h. die Randnotizen/Fußnoten und Einschübe tragen nur vage Spuren der Vermittlung mit dem literarischen Text. Die Diskurse über Deleuze und Marx, Finanzsystem und Subjektivierungsformen folgen hier eher einer "Logik des Essays".

Was kann und muss Kunst heutzutage noch transportieren?

Achim Szepanski: Man könnte die Kunst mit der Adjunktion von Potenzialitäten identifizieren, was immer auch Hinzufügung von Realem heißt, und das als empirische, singuläre Ereignisse. Das Erscheinen eines Kunstobjekts ist ein Ereignis, aufgefüllt mit seinen virtuellen Bewegungen, Relationen und Anknüpfungspunkten. Ästhetische Politik wäre dann insofern explorative Politik, als sie externen Finalitäten nicht untergeordnet ist, weil es ihr gelingt, den Systemen der Aktualität zu entfliehen, d.h. die Aktualisierung der weit hergeholten Ereigniswerte der Artefakte, die eben keine Tauschwerte sind, zu vermeiden.

Um das künstlerische Artefakt auf die Dynamisierung der Form zu konzentrieren und eben nicht auf dessen Inhalt, bedarf es im Text immer einer gewissen Spannung zum eigenen Inhalt; das, was die Aktualität des Artefakts übersteigt, sind seine Relationen, sowohl nach innen und außen; Relationen, die stets virtuell sind, denn wenn Formationen einzig in rein kausaler Verbindung miteinander stünden, dann wären sie vollständig determiniert und es gäbe keinen Bereich für Unschärfen, Überblendungen und die List der Strategeme.

Doch ist das dynamische Artefakt heute weitgehend dem Lifestyle Marketing angepasst, was nichts anderes heißt, dass wir es beispielsweise in der Literatur mit der drastisch gestiegenen Popularisierung des Memoir zu tun haben, der Vereinnahmung des Buches durch den Journalismus und den Markt. Dem entspricht die von Sloterdijk diagnostizierte Selfishness des Kunstsystems, die man wie das Merkmal ihrer Transzendenz zur Schau stellt.

Die Logik der Selfishness ist die der Selbstreferentialität, wonach jeder Außenbezug abgeschnitten und Konkurrenz sedimentiert bleibt, die im Übrigen selbst von Marx als produktive vorgestellt wird, wenn sie nicht als Antrieb und Aufschub der Kapitalverwertung qua Kreditökonomie und Derivatpolitik funktioniert, die heute die ganze Wahrheit des Kapitals ist, nämlich, ein permanentes Versprechen auf Kapital in der Zukunft, das sich in der Paradoxie der Selbstreferenz fortspinnt, in einer unauflösbaren Kette von dis-symmetrischen Zahlungen und Zahlungsunfähigkeit.

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