Was der Neoliberalismus im Alltag bedeutet

Seite 3: Fragwürdige Anpassungsversuche der Linken

Während der neoliberale Einfluss auf Wirtschaft, Politik und Werteverständnis in Analysen linker Politiker und Publizisten meist unterbelichtet bleibt, werden Themen und Aussagen westlicher Medien und Politiker vielfach übernommen, ohne sie zu hinterfragen.

Dabei sollte zu denken geben, dass die dort angeprangerten Verstöße gegen demokratische Prinzipien und Freiheitsrechte überwiegend in Ländern geortet werden, die dem Neoliberalismus trotzen und eine unilaterale US-geführte globale Ordnung ablehnen. Wenn linke Intellektuelle etwa auf Distanz zu Russland und China gehen, ziehen sie westliche Werte als Maßstab heran, wobei historisch-kulturelle Besonderheiten jener Länder ausgeblendet werden.

Die Kritik westlicher Leitmedien und Politiker ist häufig berechtigt, wenn sie auch mit Stilmitteln der Propaganda und zweifelhaften Recherchen ausgeschmückt wird. So gibt es durchaus Gründe, die "erziehungsdiktatorischen" Maßnahmen im chinesischen Xinjiang zu verurteilen. Eine Relativierung wäre dennoch angebracht, etwa über einen Vergleich mit der westlichen Infiltration afrikanischer Länder.

Während die ethnischen Minderheiten in China zumindest von einem steigenden Lebensstandard profitieren und ihre Identität trotz einiger Abstriche bewahren können, hat der Westen ganze Staaten zerrüttet und korrupte Eliten installiert, als deren Folge die Völker verarmt sind. Parallel dazu werden traditionelle Lebensformen und Werte durch die Softpower westlicher Massenkultur und Leitbilder sukzessive zerstört.

Ausgewogenheit und Einordnung in Gesamtkontexte wie in diesem Beispiel fehlen jedoch in vielen Analysen und Stellungnahmen der Linken. Ein weiterer Fall sind Berichte über die Drangsalierung sexueller Minderheiten in Russland.

Unerwähnt bleibt die weitaus bedrohlichere Lage Homosexueller in gefühlten 90 Prozent der Erdregionen inklusive weiter Teile der USA.

Auffällig ist die Fokussierung auf Repressionen gegen kritische Publizisten, vermutlich weil linke Autoren selbst betroffen sind. Thematisiert werden unter anderem Zensurtätigkeit, ein Einsatz manipulativer Techniken und eine Diffamierung politischer Gegner. Implizit wird der Eindruck vermittelt, dass das Hauptanliegen in einer Rückkehr zu fairen, demokratischen Spielregeln besteht.

Dieses Ziel dürfte jedoch nicht erreicht werden, da hinter den restriktiven Maßnahmen der politischen Elite weder Sturheit noch Unwissenheit steckt. Vielmehr will sie die Dominanz der neoliberalen Ideologie durch Einschränkung und Kanalisierung von Kritik sichern.