Was die Änderung des Infektionsschutzgesetzes bringt – und wo nachjustiert werden muss
Seite 3: Fragliche Ausgangsbeschränkungen
Soweit nach der Entwurfsfassung zu den Maßnahmen des § 28b IfSG noch Ausgangsbeschränkungen zwischen 21 Uhr und fünf Uhr morgens gelten sollten, sieht die Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses Verbotszeiten zwischen 22 Uhr und fünf Uhr vor, wobei bis Mitternacht die "im Freien stattfindende, allein ausgeübte körperliche Bewegung" erlaubt bleiben soll.
Letztlich betreffen Ausgangsbeschränkungen allerdings der Sache nach bereits vier Problemfelder. Zum einen werden sie unmittelbar durch Gesetz angeordnet.
Ausgangsbeschränkungen stellen aber eine Freiheitsbeschränkung dar, die nicht "durch" sondern lediglich "auf Grund" eines Gesetzes angeordnet werden kann. Sie unmittelbar durch Gesetz anzuordnen dürfte schlichtweg rechtswidrig sein.
Zum anderen wurden entsprechend pauschale Ausgangsbeschränkungen bereits mehrfach aufgrund eines Verstoßes gegen das Übermaßverbot gekippt. Es ist schwer nachzuvollziehen, weshalb sie in der Pauschalität nunmehr doch rechtmäßig sein sollen. Darüber hinaus soll ein Verstoß gegen sie bußgeldbewehrt sein.
Das Verlassen der Wohnung ist allerdings aus fünf namentlich aufgeführten Gründen sowie "aus ähnlich gewichtigen und unabweisbaren Zwecken" erlaubt. Die Frage ist bloß, was sind "ähnlich gewichtige und unabweisbare Zwecke". Das muss der Bürger erkennen können, will er sich der Bußgeldbewährung entziehen.
Schließlich - und das sollte doch von besonderer Relevanz sein - ist ihre tatsächliche Wirkung epidemiologisch bislang nicht gesichert, der Studienlage zur Folge sogar höchst umstritten. Die Gesellschaft für Aerosolforschung konstatierte als Sachverständige im Gesetzgebungsverfahren, dass für die Wirksamkeit von Ausgangssperren über die Mobilitätseinschränkung hinaus bislang wenig wissenschaftliche Evidenz existiere und Studien gezeigt hätten, dass Infektionen fast ausschließlich in Innenräumen stattfänden.
Grundrechtsbeschränkungen für Geimpfte
Das "Vierte Bevölkerungsschutzgesetz" soll ebenfalls eine Verordnungsermächtigung für die Bundesregierung enthalten, wonach Personen von Schutzmaßnahmen ausgenommen werden können, bei denen unter anderem von einer Immunisierung gegen das neuartige Corona-Virus Sars-CoV-2 auszugehen ist.
Dabei sollte trotz der moralischen Komponente um die vermeintliche Ungleichbehandlung von Geimpften gegenüber Ungeimpften nicht übersehen werden, dass die Rechtfertigung von Eingriffen in die Grundrechte Geimpfter nicht mehr allein durch politische Entscheidungen zu determinieren ist. Vielmehr dürften sie schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht mehr Adressat entsprechender Schutzmaßnahmen sein.
Dass dessen Umsetzung lediglich in das Belieben der Bundesregierung gestellt wird, ist genauso kritikwürdig wie die Tatsache, dass über diesen wesentlichen Belang nicht der Deutsche Bundestag befinden soll.
Henrik Eibenstein ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und doziert an der Juristischen Fakultät der Universität Würzburg. In der Fachzeitschrift COVuR – COVID-19 und alle Rechtsfragen zur Corona-Krise (C.H. Beck) setzte er sich mehrfach mit Corona-Maßnahmen auseinander. Eibenstein veröffentlichte zum Thema auch im verfassungsblog.de