Was die Analyse von sehr seltenen, aber schwerwiegenden Impffolgen so schwer macht
Seite 2: Sehr seltene schwere UAW nach Impfung mit dem Astrazeneca-Vakzin
- Was die Analyse von sehr seltenen, aber schwerwiegenden Impffolgen so schwer macht
- Sehr seltene schwere UAW nach Impfung mit dem Astrazeneca-Vakzin
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Mitte März unterbrachen mehrere europäische Länder, auch Deutschland, die Impfung mit dem Covid-19-Vakzin von Astrazeneca, nachdem berichtet worden war, dass bei einigen Personen ein bis zwei Wochen nach der ersten Impfung schwerwiegende Blutgerinnungsstörungen aufgetreten waren.
Bei den als UAW gemeldeten Gerinnungsstörungen handelt es sich vor allem um Hirnvenenthrombosen (Sinusvenenthrombosen), aber auch um Thrombosen der Mesenterialvenen im Abdomen, um Lungenembolien und Thrombosen anderer Lokalisation, zum Beispiel der Beinvenen.7
Bis Anfang April 2021 waren dem PEI, der die Impfung überwachenden Behörde in Deutschland, 31 derartige Verdachtsfälle nach Impfung von insgesamt 2,85 Millionen Personen mit dem Astrazeneca-Vakzin gemeldet worden. In 19 Fällen habe zusätzlich eine Thrombozytopenie (Mangel an Blutplättchen) bestanden und in neun Fällen war der Ausgang tödlich. Mit Ausnahme zweier Fälle haben alle Meldungen Frauen im Alter von 20 bis 63 Jahren betroffen und das Alter der beiden Männer betrug 36 und 57 Jahre.
Laut Tagesspiegel vom 7. April 2021 teilte die Europäische Arzneimittelagentur (Ema) nach Überprüfung dieser und weiterer Fälle in Europa mit, sie sehe einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Corona-Impfstoff von AstraZeneca und sehr selten auftretenden Thrombosen bei Geimpften.8
Die britische Arzneimittelbehörde MHRA hatte am 1. April 2021 erklärt, nach landesweit mehr als 18 Millionen Astrazeneca-Impfungen seien in Großbritannien bislang 30 Thrombose-Fälle bei Geimpften aufgetreten. Sieben der Betroffenen seien gestorben.
Trotzdem empfahl die Ema uneingeschränkt die weitere Anwendung des Corona-Impfstoffes von Astrazeneca. Der Nutzen des Wirkstoffes sei höher zu bewerten als die Risiken, erklärten Vertreter der europäischen Behörde am 5. April 2021 in Amsterdam.
Einen Tag später war von der Vorsitzenden des zuständigen Ema-Ausschusses für Risikobewertung, Sabine Strauss, zu erfahren, dass bis zum 4. April 2021 in der EU 169 Fälle von seltenen Gehirn-Thrombosen bei 34 Millionen verabreichten Impfdosen von Astrazeneca gemeldet worden waren.9 Die gemeldeten Blutgerinnsel seien vor allem bei Frauen im Alter von unter 60 Jahren binnen zwei Wochen nach der ersten Impfung aufgetreten, so die Ema. Alter und Geschlecht hätten aber nicht als eindeutige Risikofaktoren ermittelt werden können.
Das Vakzin von Astrazeneca sei ein wichtiger Baustein im Kampf gegen die Pandemie, betonte Ema-Chefin Emer Cooke. Das Risiko, an Covid-19 zu sterben, sei deutlich höher als das Risiko, an den seltenen Nebenwirkungen zu sterben. Die EMA forderte zugleich zu umfassenden Abklärungen auf, sollten Geimpfte verdächtige Symptome zeigen. Die Gerinnsel seien ein sehr seltener Nebeneffekt des Astrazeneca-Impfstoffs, der in den Beipackzetteln des Medikaments vermerkt werden solle.
Nach dem vorübergehenden Stopp in verschiedenen EU-Staaten haben die meisten Länder ihre Impfungen mit dem Astrazeneca-Vakzin wieder aufgenommen, allerdings mit unterschiedlichen Regularien. So wird in Deutschland der Impfstoff in der Regel nur für die über 60-Jährigen empfohlen, in Frankreich für die über 55-Jährigen, in Finnland für die über 65-Jährigen und in Großbritannien sollen die unter 30-Jährigen den Astrazeneca-Impfstoff nicht mehr erhalten.
Korrelation bedeutet noch keine Kausalität
In einer für die Aufklärung solcher Fälle idealen Situation würde eine Nebenwirkung, das heißt eine UAW, in einem direkten zeitlichen Zusammenhang mit der Gabe des Impfstoffs stehen und mit einem bestimmten Labortest zu erkennen sein, konstatiert Ariana Remmel in einem Nature-Artikel, der sich ebenfalls mit der Frage beschäftigt, warum seltene Nebenwirkungen so schwer zu erkennen sind.10
Als Beispiel führt sie an, dass man bei einer frühen Version des Polio-Vakzins, bei dem ein abgeschwächtes Virus als Impfstoff eingesetzt wurde, feststellen musste, dass bei einer geimpften Person bei 2,4 Millionen gegebenen Dosen des Impfstoffs eine Polio-Erkrankung als Nebenwirkung auftrat.
Der als Impfstoff verwendete abgeschwächte Virusstamm konnte in diesen Fällen aus dem Punktat der Rückenmarksflüssigkeit isoliert werden, sodass klar war, dass dieser die Erkrankung verursacht hatte. Aber diese Art von Tests gibt es bei den meisten UAW nicht, entweder, weil keine spezifischen Biomarker bekannt sind, auf die getestet werden könnte, oder weil solche Tests nicht praktikabel sind.
Zumindest anfangs sind diese Ereignisse – die Impfung und die möglicherweise aufgetretene Nebenwirkung – meist nur durch ihren zeitlichen Zusammenhang miteinander korreliert. Dies macht es besonders schwierig zu erkennen, ob das unerwünschte Ereignis tatsächlich durch den Impfstoff verursacht worden ist, vor allem, wenn die UAW erst Tage oder Wochen nach der Impfung selbst auftritt.
Zur weiteren Abklärung eines möglichen kausalen Zusammenhangs führen die Forscher als nächstes Studien durch, um die Rate der gemeldeten sehr selten auftretenden UAW in einer geimpften Population im Vergleich zu derjenigen zu bestimmen, die bei Menschen auftritt, die den Impfstoff nicht erhalten haben.
Aus der Sicht der Evidenzbasierten Medizin stehen dafür aber nur retrospektive Untersuchungsmethoden, die von minderer Beweiskraft sind, zur Verfügung. Darüber hinaus muss der krank machende Mechanismus, der Pathomechanismus, festgestellt werden, der die seltene Reaktion auslöst haben könnte.
Das Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (Prac) der Ema hat die gemeldeten Gerinnungsstörungen untersucht und war in einer ersten Stellungnahme Anfang März zu dem Ergebnis gekommen, dass Thromboembolien in dieser Häufigkeit auch in der ungeimpften Bevölkerung zu erwarten seien. Deshalb sah sie in ihrer Stellungnahme vom 4. März zunächst keine Hinweise für einen kausalen Zusammenhang.
Das änderte sich dann jedoch mit der Zunahme der Zahl der gemeldeten Fälle von Gerinnungsstörungen, die Anfang April 2021 auf etwa ein bis zwei Fälle auf 100.000 geimpfte Personen in Europa angestiegen war.11
Pathomechanismus der Gerinnungsstörungen geklärt
Vor einigen Wochen haben nun Wissenschaftler der Universität Greifswald in Zusammenarbeit mit Forschergruppen aus Wien und Graz das Rätsel gelöst, warum es nach Injektionen des Impfstoffs von Astrazeneca zu Thrombosen, insbesondere der Sinusvenen des Gehirns, gekommen ist.12 Sie fanden in allen von ihnen untersuchten Blutproben von Betroffenen, dass die Thrombozyten fehlaktiviert waren und eine Immunthrombozytopenie, das heißt eine durch Autoantikörper bedingte Verminderung der Zahl der Thrombozyten, festzustellen war.
Warum die Impfung bei manchen Patienten diese Fehlaktivierung auslöst, ist aber weiter unklar. Es könnte beispielsweise an den von Astrazeneca verwendeten Vektor-Viren liegen, aber auch an möglichen Zusätzen (Additiven), die bei der Herstellung des Impfstoffs verwendet wurden, oder am Fieber, das nach den Impfungen als reguläre Nebenwirkung häufig auftritt. Ob bei anderen Corona-Impfstoffen ein ähnliches Risiko besteht, ist ebenfalls unklar.
Nachdem also zwischen der Impfung und dem Auftreten der Gerinnungsstörungen ein zeitlicher Zusammenhang festgestellt und auch das Auftreten als überaus zufällig häufig eingeschätzt wurde, war die Aufklärung des krank machenden Mechanismus der entscheidende Schlussstein, der zur Anerkennung eines möglichen kausalen Zusammenhangs geführt hat.
Besonders hervorgehoben werden muss, dass diese wissenschaftliche Aufklärungsarbeit in einer erstaunlich kurzen Zeit von einigen Wochen geschehen ist, ganz im Gegensatz zu anderen schwerwiegenden Impfproblemen wie zum Beispiel dem möglichen Auftreten einer Narkolepsie bei Kindern, vor allem in Schweden, im Zusammenhang mit der Impfung gegen die Schweinegrippe im Jahre 2009.
Eine Narkolepsie ist eine sehr seltene schwerwiegende Schlafstörung auf zentralnervöser Basis, bei der die Betroffenen am helllichten Tag von Schlafattacken überfallen werden und die mit dem bei der Schweinegrippe-Impfung verwendeten Impfstoff Pandemrix in Zusammenhang gebracht wurde. Dieses Problem ist ein jahrzehntelanges nicht aufgeklärtes Phänomen gewesen.13
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