Was die Analyse von sehr seltenen, aber schwerwiegenden Impffolgen so schwer macht

Seite 3: Sehr seltene schwere UAW nach Impfung mit mRNA-Vakzinen

Schwerwiegende UAW in Form von Gerinnungsstörungen sind beim Einsatz von mRNA-Impfstoffen bisher nicht bekannt geworden, dagegen aber schwere allergische Reaktionen in Form einer Anaphylaxie oder eines anaphylaktischen Schocks. Beim Start der Impfkampagne in Großbritannien Anfang Dezember 2020 war es gleich am ersten Tag zu zwei derartigen gravierenden Vorfällen bei Personen mit einer allergischen Vorgeschichte gekommen, die aber beherrscht werden konnten.14

Laut einem aktuellen Artikel im Deutschen Ärzteblatt zur Risikoabschätzung aus allergologischer Sicht15 sind schwere allergische Reaktionen nach Impfungen sehr selten und werden nur ausnahmsweise durch den Impfstoff selbst hervorgerufen, sondern meist durch Inhaltsstoffe der Impflösung (Adjuvanzien, Antibiotika, Hühnerei, Trägerstoffe, Konservierungsstoffe).

Die Häufigkeit schwerer allergischer Sofortreaktionen nach Impfungen variiert nach untersuchter Population und verwendetem Impfstoff zwischen eins zu 100.000 und eins zu einer Million.

In den USA hat das National Institute of Allergy and Infectious Diseases mit einer klinischen Studie begonnen, um die Allergierisiken von Covid-19-Impfstoffen auf mRNA-Basis besser zu verstehen. Nach vorläufigen Erkenntnissen wurde für den mRNA-Impfstoff von Biontech-Pfizer eine Rate von fünf Fällen von schweren allergischen Reaktionen pro einer Million verabreichter Dosen festgestellt und für den von Moderna eine Rate von drei Fällen pro eine Million Dosen. Betroffen sind offenbar vor allem Frauen und Menschen mit Allergien in der Vorgeschichte.16

Insgesamt wurden vom Beginn der Impfkampagne am 27. Dezember 2020 bis zum 24. Januar 2021 laut Robert-Koch-Institut 1.783.118 Covid-19-Impfungen mit den Vakzinen von Biontech-Pfizer (Comirnaty) und Moderna durchgeführt.17 In 38 Fällen traten potenziell allergische Symptome auf (21 Fälle pro einer Million Geimpfter), die als ursächlich zusammenhängend mit der Impfung bewertet wurden.

In neun von zehn Fällen der "echten" anaphylaktischen Reaktionen traten die Symptome innerhalb von 15 Minuten nach Vakzinierung auf. Keine Reaktion führte zum Tod. Interessanterweise waren alle betroffenen Personen weiblich und hatten in neun von zehn Fällen eine bekannte Arzneimittelunverträglichkeit bzw. in fünf von zehn Fällen ein früheres Ereignis einer Anaphylaxie durchgemacht. Auch die 43 Personen mit nicht-anaphylaktischen Allgemeinreaktionen waren überwiegend weiblich (n = 39), auch hier traten die Symptome meist innerhalb der ersten Stunde auf. Zusammenfassend heißt es in der Stellungnahme des PEI18:

Nach derzeitigen Erkenntnissen ist eine anaphylaktische Reaktion eine sehr seltene Nebenwirkung nach Impfung mit Comirnaty und dem Covid-19-Impfstoff von Moderna. Für den Fall einer anaphylaktischen Reaktion nach der Impfung sollte immer eine angemessene medizinische Überwachung und Versorgung in Impfzentren und bei den mobilen Teams zur Verfügung stehen. Laut Fachinformationen beider Impfstoffe stellt eine bekannte Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder gegen einen der sonstigen in der Fachinformation genannten Bestandteile eine Kontraindikation für die Impfung dar. Personen, die eine Anaphylaxie nach der ersten Impfdosis entwickelt haben, sollten keine zweite Dosis erhalten.

Zwar ist der Pathomechanismus der anaphylaktischen Reaktionen nach Comirnaty und nach dem Covid-19-Impfstoff von Moderna derzeit nicht bekannt. Als auslösende Agenzien für Hypersensitivitätsreaktionen kommen jedoch die im Impfstoff enthaltenen Lipidnanopartikel, und besonders das darin enthaltene Polyethylenglykol (PEG), in Betracht. Pathomechanistisch könnten potenziell präexistierende Anti-PEG-IgM und/oder -IgG (theoretisch denkbar auch IgE)-Antikörper bei Impflingen vorhanden sein (Sensibilisierung z.B. über Medikamente oder Kosmetika). Denkbar ist auch, dass die Reaktionen durch Lipidpartikel und Komplementaktivierung unspezifisch (nicht Immunglobulin vermittelt) ausgelöst werden.

Auf der Basis der derzeit verfügbaren Daten und in Anbetracht der Seltenheit der Reaktionen ist aus Sicht des Paul-Ehrlich-Instituts kein generell erhöhtes Risiko für schwerwiegende Nebenwirkungen für Personen mit bekannten Erkrankungen aus dem atopisch-allergischen Formenkreis (z. B. Asthma, Neurodermitis und allergischer Schnupfen mit Bindehautentzündung (Rhinokonjunktivitis) einschließlich Heuschnupfen und Hausstaubmilbenallergie) bei Impfung mit Comirnaty oder dem Covid-19-Impfstoff von Moderna abzuleiten.

Paul-Ehrlich-Institut vom 28. Januar 2021

Zusammenfassung

Das Auftreten der geschilderten UAW nach Gabe der Impfstoffe von Astrazeneca bzw. Biontech-Pfizer oder Moderna zeigen exemplarisch, wie schwierig die Beurteilung ist, ob ein sehr selten auftretendes medizinisches Impfproblem – hier eine ungewöhnliche schwerwiegende Gerinnungsstörung bzw. eine schwere allergische Reaktion nach einer Impfung –, eine durch den Impfstoff verursachte gravierende Nebenwirkung ist oder ob sie zufällig auftritt.

Nach der Feststellung eines zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem Auftreten des Problems und der Impfung geht es im ersten Schritt um die Klärung von dessen Häufigkeit bei geimpften Personen im Vergleich zu nicht Geimpften. Wenn das Auftreten des Problems bei der geimpften Population als überzufällig häufig eingeschätzt wird, muss in einem zweiten Schritt die Aufklärung des Pathomechanismus erfolgen, der dann für die Anerkennung eines möglichen kausalen Zusammenhangs entscheidend ist.

Schlussfolgerungen:

  1. Selten auftretende schwerwiegende venöse Blutgerinnungsstörungen in den ersten zwei Wochen nach Impfung mit dem Astrazeneca-Vakzin haben in den letzten Wochen zu einer Verunsicherung beim Umgang mit diesem Impfstoff bei vielen Impfwilligen geführt.
  2. Der grundlegende Pathomechanismus dieser Gerinnungsstörung konnte von wissenschaftlicher Seite schnell geklärt werden. Die Thrombenbildung in verschiedenen venösen Gefäßen geht einher mit einer Thrombozytopenie (Mangel an Blutplättchen), die durch im Labor nachweisbare Autoantikörper aktiviert werden, sich verklumpen und zu einer Thrombose führen. Die Ursache dieser Störung ist noch unbekannt.
  3. Da bisher von dieser schweren UAW fast ausschließlich Personen unter 60 Jahren vier bis 16 Tage nach der Erstimpfung betroffen sind, hat die Ständige Impfkommission in Deutschland am 30. März 2021 beschlossen, den Astrazeneca-Impfstoff in der Regel nur noch für über 60-Jährigen zu empfehlen, was aus medizinischer Sicht nachzuvollziehen ist, da es alternative Impfstoffe gibt.
  4. Weiterhin wird aufgrund dieser Befunde empfohlen, dass mit Astrazeneca-Geimpfte darauf achten sollten, ob sie ab dem vierten Tag nach der Impfung schwere Kopfschmerzen bekommen oder ob plötzlich ein Bein dicker wird. Diese Art der Kopfschmerzen können Anzeichen einer möglichen Hirnvenenthrombose sein, ein dickeres Bein oder ein muskelkaterähnlicher Schmerz in der Wade würden dagegen auf eine Beinvenenthrombose hindeuten. In beiden Fällen sollten die Geimpften umgehend einen Arzt aufsuchen. Für diese Komplikationen gibt es inzwischen eine aussichtsreiche klinische Behandlung mit intravenösen Immunglobulinen.
  5. Schwere allergische Reaktionen auf Impfstoffe sind sehr selten. Nach Impfung mit den neuen mRNA-basierten Covid-Impfstoffen sind einzelne schwere Reaktionen weltweit aufgetreten. Alle bisher beschriebenen Anaphylaxien waren medikamentös beherrschbar, es ist bisher kein Todesfall bekannt geworden. Polyethylenglykol (PEG) wird als möglicher Auslöser diskutiert.
  6. Bei Patienten mit allergischen Erkrankungen ist vor einer Covid-Impfung eine standardisierte Risikoabschätzung durch den Hausarzt erforderlich.
  7. Bei Patienten mit früheren schweren allergischen Reaktionen unklarer Genese bzw. im Kontext einer Medikamentengabe sollte eine allergologische Abklärung erwogen werden.
  8. Kontraindiziert ist die Covid-Impfung bei Patienten mit früheren schweren allergischen Reaktionen auf einen oder mehrere Inhaltsstoffe der Vakzine.

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin- Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin- Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Seit 1978 ist er als medizinischer Sachverständiger bei der Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein tätig. Zudem arbeitet er in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhinderung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit.

E-Mail: klaus-dieter.kolenda@gmx.de

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