Was die Querdenker eint
Seite 2: Das Freiheitsverständnis der Querdenker
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Trotz ein paar rauer und hässlicher Sitten in ihren Reihen betonen die Querdenker, dass sie der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft entstammen – und dies zu Recht. Die Freiheit, die sie meinen und die sie verbindet, ist der Widerhall dessen, was der demokratische Rechtsstaat unter diesem Titel proklamiert und ins Werk setzt. Lauter Konkurrenzbürger treiben sich unter seiner Obhut herum, deren gegensätzliche Interessen er im Namen dieses hohen Werts als Rechte bewilligt.
Folglich nehmen auch demokratische Untertanen für ihre widerstreitenden Anliegen den Titel in Anspruch. Kein Wunder, dass Impfgegner glauben, mit dem Ruf "Mein Körper, meine Freiheit, mein Recht!", der kein Virus beeindruckt, alles Nötige gesagt zu haben.
Neben der falschen Sicherheit, in der sie sich damit wiegen, übersehen sie allerdings, dass der Staat ihnen die private Sorge um ihre Gesundheit normalerweise zwar gerne zuschiebt (und dies für Normalverdiener, denen dazu die Mittel fehlen, mit einer Zwangsversicherung bezahlbar macht).
Im Fall einer Epidemie aber, wo die Infizierten selber zu einer Krankheitsursache werden, überlässt er die Gesundheit nicht dem persönlichen Ermessen, sondern verpflichtet es auf seine Prioritäten. Daran wird im Prinzip ersichtlich, was die Querdenker nicht oder ganz anders sehen wollen, wenn sie die Freiheit für ein naturgegebenes, den Staat bindendes Recht halten.
Von wegen: Es ist die ideologische Fassung seiner Konzessionen, mit denen er die kapitalistische Gesellschaft beherrscht und verwaltet.
Herrschaftskritik
Auch die Opposition, die die Corona-Proteste entfalten, ging bei den demokratischen Verkehrsformen in die Lehre, mit dem sie sich anlegen. Deutsche Bürger sind es, wie andere Völkerschaften auch, gewohnt und werden darin angeleitet, sich die diversen Unzufriedenheiten, an denen im Kapitalismus kein Mangel herrscht, ziemlich eintönig zurechtzulegen.
Sie deuten sie als politisches Versagen oder Vergehen einer Staatsführung gegenüber dem bürgerlichen "Naturrecht" auf eine gute Herrschaft. Anleitung findet diese legitime Regierungskritik durch oppositionelle Politiker und Parteien, die mit der Vereinnahmung von Unzufriedenheit einen Führungswechsel bewerkstelligen wollen.
In diesem Bemühen werden auch Inhalte und Forderungen hervorgebracht, die sich die staatsbürgerliche Kritik in ihrem Verlangen nach einer besseren Regierung gegebenenfalls einleuchten lässt. Das alternative Versprechen, mehr Demokratie zu wagen und mehr für Umwelt, sozialen Ausgleich oder die Rechte der Nation zu tun als die amtierende Mannschaft, ist deren Ablösung per Stimmzettel oft zuträglich.
Dies, wenigstens aber der Druck auf die Regierung zum Einlenken, erscheint gelegentlich so dringlich, dass sich Teile des Wahlvolks als Protestbewegung formieren. Die Rufe der Gelbwesten "Macron Démission!", die französische Impfgegner erneut skandieren und deren kanadische Übersetzung bei impfunwilligen Lkw-Fahrern "Trudeau got 2 go!" heißt, drücken dieses Prinzip aus. Die inzwischen historische Parole "Merkel muss weg!" soll nach ihrer deutschen Besonderheit hin etwas näher betrachtet werden.
Sie steht für eine Opposition, die zunächst von rechts kam, aber auch auf linken Wegen erreicht werden kann, und die sich von keiner der etablierten Parlamentsparteien mehr repräsentiert sieht. Das kam ohne deren Beiträge nicht zustande.
Die Merkel-Kabinette aus Christ- und Sozialdemokraten haben schon in ihrer Zusammensetzung gezeigt, dass das, was für Deutschland wichtig ist, was "wir schaffen müssen", keine Alternative kennt. Zuvor schon hatte die Koalition unter Schröder bewiesen, dass rote und grüne Parteien, Stichwort Hartz-Gesetze, genauso regieren können wie schwarze.
Auch die grüne Opposition zählte sich seither zu den Anwälten der nationalen "Sachzwänge" und wurde dazu gezählt. Selbst die Linkspartei ringt unverdrossen um diese Anerkennung. Eine politisch radikalisierte Unzufriedenheit bekommt also etliche Anhaltspunkte für die Deutung, ihr Recht auf bessere Herrscher werde ihr durch diesen parlamentarischen Gleichklang seit Jahr und Tag verwehrt.
So nahm eben eine neue außerparlamentarische Opposition ihren Lauf, bei der ein paar rechte Alternativvorschläge für Deutschland mehr Gehör finden.
Zu der ausgebliebenen Beheimatung dieser Sorte von Protest hat die Corona-Politik noch einen spezifischen Beitrag geleistet und damit die Empörung über die "Alternativlosigkeit" befördert. Denn Leute, die die Besonderheiten der Pandemie und ihrer Abwehr bis dahin verpassen, dass sie eine Naturkatastrophe nur als Regierungsversagen wahrnehmen, bekommen auch die Seite der staatlichen Maßnahmen in den falschen Hals, die sich der zwingenden Logik der Virusbekämpfung verdankt.
In der darauf bezogenen Einmütigkeit der etablierten Parteien bei der Gesetzgebung, demonstrativ auch im Wahlkampf – und jetzt bei der Impfdebatte – finden sie den endgültigen Beweis für ihren trostlosen Befund: Ein Kartell von "Systemparteien", das auch nach der Wahl in neuer Zusammensetzung der alten Agenda folge, sei der Grund aller Übel und müsse politisch überwunden werden.