"Was nun kommt, haben die Mauern des Reichstages noch nicht erlebt!"
Seite 2: Britische Kriegserklärung an Deutschland
- "Was nun kommt, haben die Mauern des Reichstages noch nicht erlebt!"
- Britische Kriegserklärung an Deutschland
- Polizeikontrollen in Berlin
- Russen werden aus Gefängnis entlassen
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5. August. Nachts.
Noch ein bleigrauer Tag.
England hat Deutschland den Krieg erklärt.
Gestern Abend hat uns diese Neuigkeit erreicht. Die müden Nerven weigern sich jedoch, neue Ereignisse zu erfassen. Wahrscheinlich ein Gerücht, möchte man am liebsten glauben …
Ich fahre zu Liebknecht. In Liebknechts Anwaltsbüro ist nur sein Bruder Theodor. Er entschuldigt sich, dass Karl nicht da ist. Ein unangenehmer Zwischenfall: Er sei noch gar nicht im Büro gewesen, da sei ein Anruf gekommen, bei ihm wäre Haussuchung.
Wie? Eine Haussuchung? Bei einem Reichstagsabgeordneten?
Es ist alles so beklemmend und abscheulich.
Dann kommt Liebknecht. An seinem Gesicht sehe ich, er ist besorgt. Das ist auch nicht verwunderlich! In seiner Abwesenheit hat man bei ihm eine Haussuchung vorgenommen, hat zwei Stunden lang herumgewühlt. Auf Sofja Borissowna war die ganze Zeit ein Revolverlauf gerichtet. Warum? Wo ist die Logik? Wo der Sinn?
Von der Haussuchung wusste Liebknecht durch die Wohnungsnachbarin. Als er nach Hause kam, war schon alles vorüber. Selbstverständlich hatte man nichts gefunden. Doch was hatten sie eigentlich gesucht?
"Der Grund sind natürlich meine kürzliche Reise nach Frankreich und meine Verbindungen zu ausländischen Genossen. "
Und wieder höre ich Liebknechts knappe Schilderung, nichts als Fakten, ohne Kommentar, und mich beschleicht ein Gefühl des Abscheus, drückender Angst. Als ob ich mit gebundenen Händen mitten auf der Straße liege und Pferde in rasendem Galopp nahen. Gleich werden sie mich zertreten. Und man wird es nicht merken. Niemand wird es merken. Was ist der Mensch jetzt schon wert!
Ich erkundige mich nach Sofja Borissowna, doch Liebknecht unterbricht mich. Wir müssten zur Sache kommen. Vor allem die Genossen herausholen. Und Liebknecht setzt ein Gesuch auf, mit dessen Hilfe es den Frauen und Müttern der Festgenommenen vielleicht gelingen wird, ihre Angehörigen zu sehen.
"Könnte man ihre Freilassung nicht bewirken, indem man Druck auf Bethmann ausübt? Gestern hat mir Haase gesagt, dass die Sozialdemokraten jetzt Persona grata bei der Regierung sind."
"Aha! Sogar das hat er Ihnen gesagt? Phantastisch! Wir gehen der Selbstvernichtung mit vollen Segeln entgegen."
Liebknecht springt auf und geht nervös im Zimmer umher.
"Nein, wir müssen handeln. Wenn es so weitergeht, bleibt von der Internationale keine Spur übrig. Wir müssen den Schleier der nationalen Hypnose zerreißen. Das Proletariat muss doch schließlich die Lüge, den Betrug dieser ganzen militärischen Machenschaften begreifen. Entlarven müssen wir! Entlarven! Das ist jetzt unsere Pflicht."
Liebknecht war gerade erst in Nordfrankreich gewesen. In Roubaix hatte er auf großartigen Kundgebungen gesprochen, zu denen Tausende gekommen waren. Seiner Überzeugung nach ist das französische Proletariat entschieden gegen den Krieg. Sie werden gegen die Mobilmachung kämpfen und dem Chauvinismus nicht wie eine Hammelherde in die Falle gehen. Allerdings hat natürlich die Stimmabgabe der deutschen Genossen die Solidarität zunichte gemacht. Die französischen Arbeiter werden es zunächst nicht glauben, dann aber in Wut geraten. Jetzt gibt es keine Rettung mehr für die Internationale. Und wie wundervoll war doch die Stimmung im Departement Nord gewesen!
Liebknecht zeichnet mir in lebhaften Farben ein Bild von der Stimmung der Arbeiter Frankreichs. Die Kundgebungen standen alle im Zeichen des Kampfes gegen den Krieg. Ich vergesse über seiner plastischen Schilderung beinahe, weshalb ich gekommen bin. Doch da wird Liebknecht ans Telefon gerufen, und er kehrt zu seinem sachlichen Ton zurück.
Ich erzähle ihm von unserem Missgeschick in der Pension und bitte ihn um Rat. Liebknecht ruft jemanden von der Stadtverwaltung an. Der verspricht, alles in seinen Kräften Stehende zu tun, um unsere Exmittierung aus der Pension hinauszuschieben.
Was meinen Sohn und die Verhafteten betrifft, so verspricht Liebknecht, noch heute über sie Erkundigungen einzuziehen und sich für ihre Freilassung einzusetzen. Er notiert sich die Namen, die mir einfallen, und bittet mich, ihm noch ein ergänztes Verzeichnis zuzuschicken.
Wir verabschieden uns.
Wieder zu Hause, in der Pension. Unsere Exmittierung ist vierundzwanzig Stunden aufgeschoben worden.
Doch es ist Krieg – daran ist nicht zu rütteln.
Mein Sohn und die Genossen befinden sich in ihren Händen.
Dunkel ist es, erdrückend, entsetzlich.
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