Was werden sie statt Kohle verbrennen? Wasser!

Die H2-Revolution

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Drei epochale Krisen plagen unseren Planeten derzeit, und sie haben alle einen gemeinsamen Nenner: Öl. In seinem neusten Buch stellt Bestseller-Autor Jeremy Rifkin nicht nur die Schattenseiten internationaler Ölpolitik in einen Zusammenhang. Der Gründer der Foundation on Economic Trends in Washington D.C. zeigt auch einen Ausweg. Seine große Vision von einer gerechten Weltwirtschaft fußt auf Wasserstoff, dem leichtesten, einfachsten und häufigsten Element im Universum.

Global Warming, die Verschuldung der dritten Welt und neuerdings ein Krieg ohne Grenzen in Raum und Zeit. Der Blick auf unseren Planeten stimmte selten pessimistischer, und doch ist Rifkins Bestandsaufnahme kein Klagelied. In "Die H2-Revolution" (Campus, 2002) seziert er die Probleme und führt sie auf ein grundlegendes Problem zurück: Öl. Warum seine Analyse einen so dringlichen Charakter annimmt, liegt an einer Neubewertung der Sachlage. Entgegen aller Schätzungen erreicht der Planet sein Fördermaximum im Jahre 2010. Das sagen wissenschaftliche Quellen, die kein Interesse an Schönfärberei haben. Dann wird die Weltwirtschaft nicht nur am Tropf des Nahen Ostens hängen, wo die weltweit größten Ölreserven liegen. Rifkin prognostiziert darüber hinaus ein islamisches Zeitalter, eine Entwicklung, die er nicht zuletzt auf demographische Trends zurückführt.

Der Reiz seiner Beobachtungen liegt an seinem Können, wissenschaftliches Fachwissen zu vermitteln und die Weltgeschichte auf einen Maßstab herunterzurechnen, der sie überschaubar erscheinen lässt - ein Zoom-Modus, der übrigens auch Manuela Pfrunders just erschienenes Buch "Neotopia" (Limmat, 2002) auszeichnet. Als besonders aufschlussreich erweist sich dieser Ansatz in einem Kapital, das Rifkin "Die Thermodynamik Roms" nennt. Hier kann er sein anthropologisches Wissen ins Spiel bringen und seine These beispielhaft belegen, wie alle Hochkulturen aufs Engste verknüpft sind mit der Energiepolitik ihrer Zeit. Hier macht er plastisch, wie eine im Expansionsprozess begriffene Gesellschaft nicht zuletzt darum bemüht ist, eine imperiale Infrastruktur zu schaffen, die auf die Förderung ihrer Energiequellen ausgerichtet ist.

Rom ist in diesem Zusammenhang deshalb ein so lehrreiches Beispiel, weil es heutzutage als Modell für die US-Amerikanische Hegemonie herhalten muss. "Imperium Americanum" lautet das Stichwort. Wie Rudolf Maresch an anderer Stelle erwähnt (vgl.Das Neue Rom), kann der Niedergang dieser Hegemonie eigentlich nur durch interne Überheblichkeit eingeleitet werden. Ob und wie sich diese nun äußert, sei dahingestellt. Rifkin jedenfalls konstatiert, dass das römische Reich irgendwann nicht mehr in der Lage war, sein Imperium zu verwalten und mit Energie auszustatten, und lenkt den Blick auf die heutige Situation der USA. So seien allein die Kosten für die militärische Absicherung amerikanischer Interessen im Nahen Osten unglaublich hoch. Seit einem halben Jahrhundert müssen Kriegsflotte, Landeplätze und andere Militäreinrichtungen samt dem zugehörigen Personal im und um den Persischen Golf unterhalten werden, um den Tankern sichere Fahrt zu garantieren. Laut Rifkin markierte in dieser Hinsicht der Golfkrieg einen wichtigen Wendepunkt:

Zum ersten Mal investierten die USA mehr in die Absicherung ihrer Interessen vor Ort, als es dem Wert des importierten Rohöls entsprach. Wie das Römische Reich in der Spätphase seines Bestehens lagen die Kosten für den Militäreinsatz über dem Nettoertrag der mit dem Militäreinsatz gesicherten Energie.

Dementsprechend liest Rifkin den 11. September nicht als Anfangspunkt eines neuen US-amerikanischen Höhenflugs im Lonely-Superpower-Modus, sondern als Ende der Globalisierung von oben. "Reglobalisierung" heißt sein Gegenentwurf, eine Globalisierung von unten, fußend auf Wasserstoff. Ein weltweites Wasserstoffenergienetz (Hydrogen Energy Web oder HEW) werde den nächsten technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbruch auslösen - "eine Revolution in den Fußstapfen des weltweiten Kommunikationsnetzes, das sich in den letzten zehn Jahren des letzten Jahrhunderts ausgebreitet hat. "

Wie er unlängst im Streitgespräch mit Wissenschaftlern in der Berliner Konrad Adenauer Stiftung auf neueste Studien der EU rekurrierend herausstellte, sei das HEW allein durch erneuerbare Energien zu betreiben. Als Symbol dieser Bewegung nannte er den Hy-wire, ein mit Brennstoffzellen betriebenes Auto aus dem Hause General Motors, dem die Presse in letzter Zeit viel Aufmerksamkeit zukommen ließ und das auf der bevorstehenden Paris Motor Show vorgestellt wird. So futuristisch diese Produktvisionen scheinen mögen, ihre konzeptuellen Wurzeln liegen mehr als hundert Jahre zurück.

1874 schrieb Jules Verne "Die geheimnisvolle Insel", in dem er an einer Stelle fünf Soldaten über die Zukunft philosophieren lässt. Wie Rifkin feststellt, gehen sie der Frage nach, was wohl mit Amerika geschähe, wenn es keine Kohle mehr hätte. "Was werden sie statt Kohle verbrennen?", fragt einer, woraufhin der andere entgegnet: "Wasser!" Dem Ausruf folgt eine physikalische Erklärung, die Rifkin offenbar genüsslich in seine Argumentation einfließen lässt. Und wer ihm bis dahin gefolgt ist, kriegt die Vision vom Anbruch der Wasserstoffwirtschaft nicht mehr aus dem Kopf.

Jeremy Rifkin: Die H2-Revolution 2002, 304 Seiten, ISBN: 3-593-37097-2.