Was will S. Wagenknecht?
Seite 2: Das Gespenst des Monopolkapitalismus
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Wagenknecht bemängelt am gegenwärtigen Kapitalismus den Mangel an "offenen Märkten" und an "echtem fairem Wettbewerb". Erst dieses Defizit mache den Kapitalismus kritikwürdig. Die Attacke auf den Monopolkapitalismus verkennt jedoch die begrenzte Macht von Monopolen im modernen Kapitalismus.
Sie "wird in der Konkurrenz immer wieder abgebaut, wobei durchaus die Möglichkeit besteht, dass aufgrund besonderer Bedingungen das Schwinden von monopolistischen Profiten sich über längere Zeiträume verzögert, dass die Wirkungsweise des Wertgesetzes sich also nur modifiziert durchsetzt" (Altvater 1975, 188).
Das Wertgesetz begrenzt also monopolistische Machtentfaltung, die Monopolmacht kann niemals an die Stelle des Wertgesetzes treten. Aber sie modifiziert seine Durchsetzung. Sie wirkt dahin, dass sich die Bewegungsgesetze der Produktionsweise eben nur als Tendenzen durchsetzen
Altvater 1975, 190
Die Abschottung des Monopolisten gegen den Zustrom anderen Kapitals in seine Produktionssphäre ist auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten.
Selbst in der Ölwirtschaft – wo heute (2013) gewaltige Summen für den Neueinstieg erforderlich sind – gibt es kein umfassendes und weltweit wirkendes Kartell. Es kommen immer wieder neue Ölförderer hinzu, und es gibt bei der Exploitation neuer Ölfelder, bei der Nutzung neuer Ölfördertechniken usw. einen erbitterten Konkurrenzkampf.
Sandleben, Schäfer 2013, 55
Kartelle – als Vorformen von Monopolen – werden häufig von innen aufgesprengt. Die im Kartell zusammengeschlossenen Kapitale konkurrieren untereinander um Anteile an der Produktionsmenge und an Erlösen.
Es genügt, dass technische Verbesserungen, Erfindungen oder eine Ausweitung der Kapazität Veränderungen im Kräfteverhältnis dieser Firmen hervorrufen, damit diejenige, die sich in der Konkurrenz am stärksten fühlt, das Abkommen in der Absicht bricht, einen höheren Marktanteil zu erobern" (Mandel 1972, 546
Anhänger der Lehre vom "Monopolkapitalismus" können nicht beantworten, warum die Profitraten der Monopole nicht steigen, obwohl es sich bei ihnen doch angeblich um die Mächtigsten der Mächtigen handele.
"Empirische Untersuchungen (konnten – Einf. d. Verf.) für Deutschland nachweisen, dass die Legende einer Hierarchie der Profitraten – also strukturell höhere Profitraten der zu Monopolen titulierten Großunternehmen – vor der ökonomischen Wirklichkeit keinen Bestand hatte (Saß 1978). Stephan Krüger vermerkt in seinen eigenen empirischen Untersuchungen auf Basis des amtlichen statistischen Materials, dass diese Untersuchungen 'eher das gerade Gegenteil' der Monopoltheorie oder der Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus zeigen, 'nämlich eine gemein niedrigere Profitrate großer Kapitalgesellschaften' (Krüger 2010, 138)" (Wendl 2013, 67).
Monopole stehen nicht über den Gesetzen der kapitalistischen Wirtschaft. Wagenknecht baut sie zum Hauptgegner auf. Im Kontrast zu diesem Schreckgespenst bekommt die Konkurrenz in der kapitalistischen Marktwirtschaft ein positives Image.
Wagenknecht tritt gegen "einen zu großen Finanzsektor" im Kapitalismus ein, denn "dass ein zu großer Finanzsektor dem realwirtschaftlichen Wachstum schadet, ist seit Längerem bekannt" (S. 278). Das sogenannte produktive Kapital und das Finanzkapital streiten seit eh und je um die Höhe z. B. der Kreditzinsen.
Auf der Seite des "guten" Kapitals
Wie viele andere auch stellt sich Wagenknecht auf die Seite des "guten" Kapitals, das seinen Profit mit der Produktion erzielt. Dafür kann es diskussionswürdige Argumente geben. Dieses Engagement überschreitet jedoch nicht den Rahmen der Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Branchen der Kapitalwirtschaft. Die Transformation hin zu einer anderen Gesellschaftsordnung ist etwas anderes.
Wagenknecht vertritt eine Kritik am gegenwärtigen Kapitalismus, die zwei Besonderheiten aufweist. Die Probleme, die die kapitalistische Wirtschaft den Leuten bereitet und sich selbst, resultieren Wagenknecht zufolge daher, dass der Kapitalismus nicht mehr so recht Kapitalismus sei, sondern von Monopolen und dem Finanzsektor beherrscht werde.
Unsere Erfolgsautorin wiederholt eine sattsam bekannte Erzählung. Ihr zufolge handelt es sich bei den reichen und mächtigen 0,1 Prozent um autokratische Herrscher. Sie steuern die Wirtschaft, lenken die Politiker und manipulieren über die Medien die Bevölkerung. (Zur Analyse und Kritik dieser social fiction vgl. Creydt 2019.)
Die andere Eigentümlichkeit von Wagenknechts Auffassung liegt im Lob desjenigen Kapitalismus, in dem ihrer Meinung nach noch fairer Wettbewerb eine hohe Innovationsneigung schaffe.
Wagenknecht befürwortet z. T. Belegschaftseigentum und Genossenschaften. Beide verändern nichts an der Notwendigkeit des Betriebs in der Marktwirtschaft, sein Kapital zu verwerten und dafür möglichst viel Mehrwert zu erwirtschaften. Rosa Luxemburg schrieb dazu schon im Jahr 1899:
In der Produktivgenossenschaft ergibt sich daraus [aus der Marktlage] die widerspruchsvolle Notwendigkeit für die Arbeiter, sich selbst mit dem ganzen erforderlichen Absolutismus zu regieren, sich selbst gegenüber die Rolle des kapitalistischen Unternehmers zu spielen. An diesem Widerspruche geht die Produktivgenossenschaft auch zugrunde, indem sie entweder zur kapitalistischen Unternehmung sich rückentwickelt, oder, falls die Interessen der Arbeiter stärker sind, sich auflöst.
Luxemburg 1970, 44
Befürwortenswertes Engagement und fragwürdige Positionen
Mit ihrem Eintreten gegen Waffenlieferungen und für eine Friedenslösung im Ukrainekrieg hat Wagenknecht sich zu Recht gegen die Bundestagsparteien und die tonangebenden Medien positioniert. Sie weiß um die geopolitische Vorgeschichte des Ukrainekriegs und den Beitrag der Nato zur Eskalation.
Der Inhalt ihrer Rede auf der großen Kundgebung am 25.2. 2023 rechtfertigt nicht die Vorwürfe, die ihr gemacht wurden. Weder hat sie an Kritik der russischen Führung gespart noch die AfD geschont, die die gigantische Aufrüstung der Bundeswehr befürwortet und sich zugleich als Friedenspartei ausgibt.
In anderen Fragen – wie der Covid-Pandemie – hat Wagenknecht regressive Proteststimmungen (vgl. dazu Creydt 2022) aufgegriffen und vernünftige Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung angegriffen. In der ARD-Talkshow Anne Will begründete Wagenknecht ihre Entscheidung, bisher auf eine Impfung zu verzichten, unter anderem damit, dass es sich um "neuartige Impfungen" im Vergleich zum "klassischen Impfstoff" handele. "Jetzt bekommen wir einen genetischen Code geimpft. Das ist ein anderes Verfahren."
"Junge, gesunde Menschen zu ermutigen, eine Impfung zu machen, deren Langzeitfolgen völlig unklar sind, halte ich für fahrlässig", erklärte sie am 10.12. 2020. Wagenknecht tritt hier faktisch für das Primat der Ökonomie vor der Gesundheit ein.
Das Opfer einer sehr viel höheren Erkrankungs- und Todesrate sei zu erbringen, "damit wir unsere Wirtschaft nicht ruinieren", wie sie im Februar 2021 bei Anne Will erklärte. Dabei handelt es sich schon um ein recht spezielles Verständnis von "Zusammenhalt und Gemeinsinn" (so der Untertitel ihres Buches von 2022).
In der Flüchtlingsfrage hat Wagenknecht Konfusion gestiftet. Auf einer Pressekonferenz am 11.1. 2016 sagte sie: "Wer Gastrecht missbraucht, der hat das Gastrecht dann eben auch verwirkt". Es ist legitim, auf die Fragwürdigkeit von Forderungen wie "Offene Grenzen für alle" hinzuweisen.
Um Gäste handelt es sich bei denjenigen jungen Männern aus dem nordafrikanischen und arabischen Raum nicht, die sich in der Silvesternacht in Köln sexuell übergriffig gegenüber Frauen verhielten. Gäste können kommen und gehen, wann sie wollen. Das gilt für Flüchtlinge nicht.
Das Asylrecht ist ein Grund- und kein Gnadenrecht, das man bei schlechtem Benehmen wieder entziehen kann. Wagenknechts Formulierung "Gäste, die ihr Gastrecht missbrauchen, haben es verwirkt" läuft im Klartext auf die Forderung hinaus: "Sofortige Abschiebung straffälliger Ausländer."
Wagenknecht tut mit der Rede von Gästen so, als ob es sich darum handele, jemanden, der als Gast dabei erwischt wird, ins Waschbecken zu pinkeln, zukünftig von der Einladungsliste für Übernachtungen im Gästezimmer zu streichen. Das bedeutet für den "Gast" aber etwas völlig anderes als die Abschiebung für den Flüchtling.
Bei Wagenknecht ergibt sich immer wieder der Eindruck des Bluffs. Sie behauptet, "eine Debatte darüber, ob beim fundamentalistischen Islamismus die Grenzen des Tolerierbaren überschritten" seien, ist "bis zum Herbst 2020 tabu" (Wagenknecht 2021, 199) gewesen. Wagenknecht will sich als mutige Zerstörerin eines Tabus stilisieren, das einzig und allein in ihrer Fantasie existiert.
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