Was will S. Wagenknecht?

Bild: Martin Heinlein, Die Linke / CC-BY-2.0 / Grafik: TP

Die populäre Linke bleibt bei konkreten Vorschlägen für Wirtschaft und Gesellschaft vage. Und sie erweckt den Eindruck der politischen Täuschung. Wozu sie Antworten schuldig bleibt.

Sahra Wagenknecht spricht sich aus für "eine solide und soziale Politik in Deutschland und Europa, die seriöse und risikolose Geldanlagen mit einer angemessenen Rendite für alle wieder möglich macht. […] In Merkels Niedriglohnparadies Deutschland hat sogar jeder zweite Bürger kein Vermögen mehr und kann nichts ansparen, geschweige denn in Aktien investieren" (Berliner Zeitung, 4.8.2018).

Was soll "angemessene Rendite" heißen? Bei Geldanlagen gilt bekanntlich: Je größer das Risiko, desto höher die Chancen auf hohe Rendite. Wagenknecht bemängelt, dass viele "Bürger" nicht die Chance erhalten, "in Aktien investieren" zu können. Dass Lohnabhängige mit Aktien sich in einen Gegensatz verstricken, kümmert Wagenknecht nicht.

Der Wunsch nach "angemessenen Renditen" aus Aktien bedeutet für die in den betreffenden Betrieben Beschäftigten häufig Arbeitshetze und Lohndruck. Wagenknecht befördert zudem die Vorstellung, mit Aktien "risikolos" "Vermögen ansparen" zu können. Mit "risikolosen Geldanlagen" lässt sich das kaum bewerkstelligen.

Die gute alte Zeit

Wagenknecht trauert einer Zeit nach, in der ihrer Meinung nach – vor dem Neoliberalismus und dem vermeintlichen Finanzkapitalismus – Kapital und Lohnarbeit in einer Win-win-Situation gestanden hätten: Das Kapital fuhr satte Profite ein und die Löhne stiegen. Die Epoche, in der es "tatsächlich für nahezu alle, und insbesondere für die Arbeiterschaft, aufwärts ging", "endete in den Achtzigerjahren" (Wagenknecht 2021, 65, siehe Literatur am Ende des Artikels). Die "beste Zeit" des Kapitalismus waren die "Fünfziger- bis Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts" (Ebd., 282).

Die ersten 25 Jahren in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg stellten nicht nur wegen des Wiederaufbaus eine Ausnahmesituation dar. Der Welthandel war in den 1930er-Jahren massiv zurückgegangen und im Zweiten Weltkrieg zusammengebrochen.

Die "fordistische" Zergliederung des Produktionsprozesses (Taylorismus) kam erst in der Bundesrepublik auf volle Touren. Ebenso die Durchkapitalisierung der Landwirtschaft sowie die Verdrängung des kleinen Handels. Die Potenziale dieses langen Nachkriegsbooms waren in den 1970er-Jahren erschöpft. Nun zeigte sich wieder: Periodische Krisen sind der Normalfall im Kapitalismus.

Linke Vulgärökonomie

Wagenknecht ist der Meinung, dass Kapitalismus am besten funktioniert, wenn es sowohl viel Konkurrenz gibt als auch eine große Nachfrage auf dem Binnenmarkt.

Der Kapitalismus funktioniert also am besten in wettbewerbsintensiven Industrien, in denen Gesetze und starke Gewerkschaften für steigende Löhne und hohe Sozial- und Umweltstandards sorgen.

Wagenknecht 2021, 274

Ob die erforderlichen Maßnahmen dafür, die Klimakatastrophe abzuwenden, und das Ziel einer hohe Gewinne und Löhne abwerfenden Ökonomie zusammenpassen – diese Frage blendet Wagenknecht aus.

Die bekannteste Person der Linkspartei teilt die Vorstellung, dass Gewerkschaften und das Kapital dann nicht im Gegensatz zueinander stehen, wenn die Unternehmen begreifen würden, dass hohe Löhne ihnen den Absatz sichern (zur Kritik vgl. NN 1978).

Dass für die Realisierung des Mehrwerts die Produkte verkauft werden müssen, stimmt zwar. Dabei handelt es sich aber um eine notwendige, nicht um eine hinreichende Bedingung. Wenn in der Produktion – gemessen an den Konkurrenten – nicht genügend Mehrwert geschaffen wird, hat das jeweilige Unternehmen keinen Geschäftserfolg.

Wagenknecht tritt nicht ein für eine Überwindung der kapitalistischen Marktwirtschaft bzw. der Kapitalakkumulation, sondern gegen "Kurzsichtigkeit, Maßlosigkeit, Vorliebe für Bluff, Tricks und Bilanzkosmetik sowie eine rücksichtslose Orientierung allein an den Interessen der Aktionäre und des Managements".

Sie redet sich in Rage über eine "innovationsfaule Ökonomie, in der Marktmacht und sogar Monopole an die Stelle offener Märkte getreten sind und echter, fairer Wettbewerb eine immer geringere Rolle spielt" (Wagenknecht 2021, 283).

Sie kritisiert, dass der Kapitalismus nicht (mehr) so erfolgreich sei, wie er verspricht. Dabei ignoriert Wagenknecht diejenigen Kosten, die just durch eben den von ihr befürworteten Erfolg des Kapitalismus entstehen.

Welche gesundheitlichen Negativfolgen die Überforderung und Überstressung in der kapitalistischen Erwerbsarbeit hat (vgl. Cechura 2018), welche massive Schädigung der Gesundheit durch Fremdstoffe die Kehrseite des Erfolgs der Chemieindustrie bildet (vgl. Donner 2021), welche ökologischen Folgen die kapitalistische Marktwirtschaft hervorbringt – das interessiert Wagenknecht kaum. Für sie ist alles gut, wenn es nur hohe Löhne und eine dynamische Wirtschaft gibt.

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