Wasserstoff ist keineswegs der ideale Treibstoff

"Mit Wasserstoff betriebene Fahrzeuge sind eine langfristige Option, gegenwärtig und in naher Zukunft machen sie keinen Sinn."

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Die Quintessenz der kritischen Stellungnahme von David W. Keith (Carnegie Mellon University in Pittsburgh) und Alexander E. Farrell (University of California-Berkeley in Berkeley) zu ihrem Beitrag "Rethinking Hydrogen Cars" in Science beruht auf Kosten-Nutzen-Analysen.

Die Wissenschaftler haben die Freedom Car and Fuel Initiative des amerikanischen Präsidenten George W. Bush zum Anlass genommen. Die US Regierung stellt in den nächsten fünf Jahren 1,7 Milliarden US Dollar zur Entwicklung neuer Energieressourcen bereit und will schwerpunktmäßig das Wasserstoff-Konzept fördern. Keith & Farell befürchten, dass die freigebige Hand taktische Gründe hat. Statt Industrie und Bevölkerung aufzufordern, die schädigende Emission von Benzin- und Dieselmotoren jetzt und sofort einzuschränken, wird mit dem 5-Jahres-Programm der Umweltschutz auf die lange Bank geschoben. Ein geschickter Schachzug allemal: "Die Initiative bringt eine höchst ungewöhnliche Koalition zusammen: Umweltschützer, Futuristen, Fahrzeughersteller, Ölbarone und Anhänger der Kernenergie". Sie alle beflügelt der Gedanke, dass sie etwas gutes Neues kreieren können.

Der Aufbruchstimmung setzen Keith & Farell die Knochenarbeit an den Details entgegen:

Die Einführung eines neuen Treibstoffs ist ein ungewöhnliches, schwieriges und unsicheres Unterfangen. Dieses Abenteuer kann weder vom Verteilungssystem, noch vom Bau neuer Fahrzeuge losgelöst werden, weil das eine das andere bedingt.

So liest sich ihre Zusammenstellung wie eine Tour dŽHorizon der unnötig vertanen Gegenwart.

Die Kritik von Keith & Farell beginnt mit der Infrastruktur zum Befüllen der Fahrzeuge. Kürzlich, so ihr Argument, veranschlagte M. Mintz vom Argonne National Laboratory die Gestehungskosten für die Vereinigte Staaten auf mehr als 5.000 US Dollar pro Fahrzeug. Hinzu kommen der höhere Verkaufspreis für Autos, die den heutigen Bedingungen gleichwertige sind, sowie unkalkulierbare Kosten durch die Sicherheitsmaßnahmen im Fahrzeug sowie auf der Straße und in den Stadtzentren.

Wird Wasserstoff die Luft sauberer machen?

Sicherlich, aber zu einem horrenden Preis. Keith & Farell setzen als Ziel die Vermeidung von NOx. Bei ihrer Schätzung addiert sich der Aufwand für die Wasserstoffversorgung auf etwa eine Million US Dollar je Tonne NOx. Sie vergleichen dazu die Fahrleistung mit (43 mg/km) und ohne Emission und binden die Ergebnisse des Massachusetts Institute of Technology (On the road in 2020: A lifecycle analysis of new automobil technologies) ein. Dagegen setzen sie die Kosten, sollte bereits heute eine Tonne des mit dem herkömmlichen Brennstoff entstehenden NOx unterbunden werden. 2.000 Dollar veranschlagen sie für die technische Umrüstung, 4.000 Dollar für systematische Inspektionen und bis zu 10.000 Dollar, um den Kfz-Halter zu bewegen, seine "alte Kiste" zu verschrotten. Ferner argumentieren sie: würde das von den Technikern geforderte Regelwerk zügig realisiert, gerät die Wasserstoffenergie aus Kostengründen noch mehr ins Abseits.

Wie effektiv ist Wasserstoff für das Klima?

Keith & Farell beschränken sich ausschließlich auf die Kohlendioxyd-Emission und lassen Betrachtungen über den Wasserstoffabstrom in die Stratosphäre unberücksichtigt (vgl. Wasserstoff im Tank ist weniger harmlos als bisher vermutet). Das Argument, Wasserstoff sei billig, täuscht, weil der Wasserstoff gegenwärtig billiger als Benzin aus Erdgas gewonnen und dabei das begleitende Kohlendioxyd in die Luft entsorgt wird. CO2-neutraler Wasserstoff ist nicht billig zu haben, weil die Herstellung aus fossilen oder organischen Quellen um einen Prozess ergänzt werden muss, der Kohlendioxyd verdichtet und transportfähig macht. Ferner müssen Ablagerungsstätten gefunden und ausgebaut werden. Die mancherorts beschworene Hydrolyse zur Wasserstoffgewinnung funktioniert im Klassenzimmer, großtechnisch ist sie allerdings ineffizient. Folglich werden weitere CO2-freie Ressourcen, nämlich Wind- und Nuklearenergie, als Zwischenstufen benötigt. In Wirklichkeit könnte die Zukunft schon heute beginnen, wenn Benzin so effizient ausgenutzt wird wie es technisch möglich ist. Dann nähme der CO2-Ausstoß um 20-42 Prozent ab.

Befreit uns Wasserstoff von der Abhängigkeit der erdölproduzierenden Länder?

Die zuvor beschriebenen Veränderungen verringern den Bedarf erheblich und verlängern zugleich die "Strategic Petroleum Reserves", die in den Vereinigten Staaten auf 50 Tage ausgelegt sind. Je länger diese Periode, um so weniger erpreßbar sind die Industrienationen. Auch werden nach Meinung von Keith & Farell die alternativen Quellen, nämlich Äthanol, Methanol und Diesel aus Biomasse oder Kohle, viel zu wenig erwogen.

Im Grunde besteht kein Unterschied zur Wasserstoff-Produktion aus denselben Ressourcen, weil der C02-Abfall gleichermaßen anfällt. Da die Erdölraffinerien in den Vereinigten Staaten durch Umweltschützer zunehmend gezwungen werden, das anfallende Kohlendioxyd kontrolliert zu entsorgen, könnten die Anlagen mittelfristig auf nicht-fossile Quellen umgestellt werden, ohne dass die periphere Versorgung darunter leidet.

Realistische Ziele

Die von Metz, Davidson, Swart und Pan vor zwei Jahren zusammengestellten Beiträge (Climate Change 2001) stimmen dahingehend überein, dass mit dem Absenken der jährliche Emission um 1/3 ein beachtlicher Erfolg erreicht wird. Damit bliebe die Schadstoffbelastung bis zum Jahr 2040 unter dem Doppelten der vorindustriellen Werte. Deshalb, so Keith & Farell, würden wertvolle Chancen vertan, falls sich Techniker und Politiker der ungewissen Wasserstoff-Zukunft verschreiben, statt die bisherigen Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen. Wenn schon in die Zukunft von Wasserstoff investiert wird, sollte es eine Ergänzung sein.

Im Argen, so die Wissenschaftler, liegt der Schwertransport. Schiffe, nicht-elektrifizierte Züge und Schwerlaster sind wahre Dreckschleudern, die von den Emmissionsbeschränkungen vielerorts ausgespart bleiben. Im Unterschied zum Klein- oder Mittelklassewagen macht hier der Wasserstoff-Treibstoff am meisten Sinn, weil die Tankfüllung bequem gebunkert werden kann, und für die "Großabnehmer" nur ein weitmaschiges Netz von Versorgungsstationen errichtet werden muss.