Weihnachten: Traumschlaf des Kapitalismus
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Die obszönen Warenströme bergen kein Mysterium. Und das Fest ist ein fragwürdiger Trostspender
Auch in Zeiten von Corona gilt: Bedingungsloser Konformismus ist das Gebot der Stunde. Die Rede ist nicht vom Impfen. Es geht um Weihnachten.
Der Konsumdruck in der Weihnachtszeit bleibt unverändert hoch. Man hätte sich vorstellen können, dass die durch die Pandemie erzwungene Askese vielleicht in dem einen oder anderen Fall ein Nachdenken über den Lebensstil ausgelöst hätte: Also, nicht bloß abwarten – bzw. durchs Impfen beschleunigen–, bis es wieder so schön ist wie zuvor.
Sondern zurückfahren. Einschränken, aber freiwillig! Corona als Kundenstopper, ja, aber als freier Entschluss gesehen.
"Wer ungeimpft ist und noch nicht alle Weihnachtsgeschenke hat, muss die meisten Geschenke wohl im Internet kaufen", erklärt uns das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) dieser Tage. Es ist einem nicht ganz wohl angesichts solch stupider Wegweisung. Warum nicht einfach mal sagen: "Ihr müsst gar nichts kaufen, lasst es einfach sein"?
Das RND zeigt sich hier als Teil einer gut geölten Weltmaschine, die in der dunklen Jahreszeit zur Hochform aufläuft.
"Orgie der Wertvernichtung"
Im bundesdeutschen Blätterwald überschlagen sich Kolleginnen und Kollegen geradezu mit Tipps für ein "gelungenes Fest trotz Corona", servieren Backrezepte und überreichen Müttern Tipps, wie man erstorbenen Glücksgefühlen auch in der Pandemie frisches Leben einhaucht. Es fehlt nicht an sinnfreien Ratschlägen, wie man die bevorstehenden seligen Tage stressfrei hinbekommt, Deko-Trends umsetzt oder den Baum länger frisch hält.
Bei der Deutschen Presse-Agentur (dpa) denken die Ratgeber sogar an die Tiere: "Was tun, wenn der Liebling unbemerkt etwas vom Tisch stibitzt?". Besser Hund und Katz keine Kekse essen lassen.
Ein kritischer Blick aufs Festgetöse wird da zur absoluten Ausnahme.
"Nachhaltig feiern", das ist die neueste Devise aus dem Arsenal der Feierfreude, die am Hochfest der Vermarktung notorisch festhält, ohne die sinnlose Verschwendung wertvoller Ressourcen im Blick zu haben.
Selbst wirtschaftlich schlecht dastehende Haushalte mit minimalen Budgets tun in der Adventszeit alles Mögliche, um den kollektiven Maßstäben gerecht zu werden, die sich, der Behauptung nach, in leuchtenden Kinderaugen widerspiegeln.
Ökonomen wie der US-Amerikaner Joel Waldfogel halten die weihnachtliche Geschenkeschlacht für eine "Orgie der Wertvernichtung". Dies jedenfalls schrieb die Zeit vor zehn Jahren. Doch war es auch damals schon keine überraschend neue Erkenntnis:
Weihnachten ist nicht nur eine logistische Herausforderung. Es ist auch eine gewaltige Ressourcenschlacht. (…) Es wird auch weit mehr Energie verbraucht als sonst. Hinzu kommt der Müll, etwa durch das viele Geschenkpapier. (…) Noch drastischer ist die Verschwendung von Lebensmitteln.
Und es ist jedes Jahr dasselbe. Los geht die heiße Paket- und Päckchen-Phase im November – neuerdings mit dem Black Friday, einer effektvollen Erfindung. Von Ende November bis Weihnachten klettern die Bestellmengen auf Rekordhöhe, zehn Millionen Pakete am Tag sind da Norm in Deutschland.
Corona bremst den Wahn nicht, es geht nur mehr (noch mehr) online.