Weil ich mir nichts mehr wert bin
- Weil ich mir nichts mehr wert bin
- Von der Zuversicht zur Depression
- Mach dich doch mal hübsch
- Auf einer Seite lesen
Arbeitslosengeld II: Schleichendes Gift für die Psyche, Teil 2
Stimmen denn die Aussagen hier?
Wie bereits in Teil 1 erläutert, sollen weder die Annahmen noch die hier veröffentlichten "O-Töne" von Betroffenen die "alleinige Wahrheit" darstellen oder eine repräsentative Studie oder ähnliches suggerieren. Die in diesem Teil zu findenden Aussagen sind Schilderungen und Kommentare von Menschen, die von sich sagen, dass sie ALG II beziehen. Dies kann nur bedingt verifiziert werden, ohne dass der Datenschutz und die Privatsphäre komplett ausgehöhlt werden würden.
Diese Schilderungen und Kommentare stammen von Menschen, die sich zum Teil schon seit längerem per Mail mit Twister (Bettina Hammer) austauschen und ihre Gefühlslage(n), Erlebnisse bei den Jobcentern etc. darstellen. Wir gehen daher davon aus, dass diese Kommentare und Aussagen für die Annahme, dass ALG II sich zersetzend auf Psyche und Beziehungen auswirkt, plausibel sind, ohne hier aber vorgeben zu wollen, dass die Aussagen auf ihre Wahrhaftigkeit geprüft worden sind.
Dies ist gerade bei sehr privaten Schilderungen (siehe auch die Diskussion um Fake News) letztendlich oft nicht möglich. Insofern haben wir hier abgewogen und empfanden die Schilderungen als nützlich für die Diskussion, wollten jedoch auch die Problematik der Wahrhaftigkeit/Wahrheit nicht außen vor lassen, sondern bereits zu Beginn dieses Teils thematisieren.
Die Namen der Betroffenen wurden verändert, eigenwillige Wortkreationen, die dazu führen könnten, dass der Verfasser erkannt wird, wurden verändert (dies wird jedoch gesondert vermerkt). Neben der Furcht, als wehleidig zu erscheinen, wurde auch die Furcht vor dem Jobcenter und etwaigen Problemen mit diesen hierfür als Grund angegeben. Die Betroffenen erhielten jedoch vor dem Absenden des Artikels die fertige Version und konnten so die Aussagen überprüfen und etwaige Fehler verbessern bzw. kommentieren. Der Artikel wurde dann entsprechend abgeändert.
Besser als die anderen
Was in vielen Emails zu lesen ist, ist eine Entwicklung, die sich schleichend vollzieht, die in mehreren Phasen stattfindet. Ein Beispiel hierfür ist Thomas, mittlerweile 45 Jahre alt. Er fand seit mehr als 6 Jahren keine Erwerbstätigkeit mehr, die ihm auch ein Auskommen ermöglichte. Thomas ist gelernter Tischler, jedoch aus privaten Gründen an eine bestimmte Region gebunden. Anfangs waren seine Emails geprägt von der festen Überzeugung, er würde, auch angesichts seiner Ausbildung und seiner Arbeitsbiographie, schnell eine neue Erwerbstätigkeit finden. Der Begriff Erwerbstätigkeit wird hier im Artikel gewählt um zu verdeutlichen, dass es nicht um Arbeit der Arbeit willen geht, sondern auch um eine Erwerbstätigkeit mit regelmäßigem Einkommen.
Thomas war mir (Twister) persönlich bekannt, er war zu dieser Zeit noch berufstätig, später entwickelte sich ein steter Emailaustausch.
Ich hab zwar meine Arbeit verloren, aber Hartz IV werde ich jedenfalls nicht bekommen. Ich hab' eine Ausbildung, ich hab' gearbeitet, werd' schnell was finden. Lisa (seine Frau - Anmerkung der Autoren) meint ich kann jetzt etwas im Garten arbeiten. Eine willkommene Pause also. Du hast ja jetzt auch einen Garten, da weißt du: es gibt immer etwas zu tun. Und du weißt ja, dass ich kein Faulenzer bin, ein paar Bewerbungen und ich sitz wieder im Sattel ;) Bin ja keiner, der nur zu Hause rumhängen will, hehe.
Im Laufe der folgenden Jahre wurden die Emails, die Thomas sandte, nicht nur weniger fröhlich, sie zeigten auch·auf, wie sich seine Sicht in Bezug auf andere ALG II-Empfänger wandelte. Schon am Anfang wurde, wenn auch humoristisch, dargestellt, dass er ja keiner sei, der "nur zu Hause rumhängen will". Eine Abgrenzung zu den ALG II-Beziehern also, die er als solche ansah, was sich auch in weiteren Emails herauslesen ließ:
Wenn ich mir ansehe, wie viele gar nicht arbeiten wollen, wird mir schlecht! Ich wäre so froh, wieder eine Arbeit zu haben und die kriegen einfach alles hinterhergeworfen. Und kommen nicht einmal zu Terminen.
Diese Abgrenzung nahm in den folgenden Jahren zu, wobei sich die Wut auch mehr und mehr gegen Migranten richtete:
Ich reiße mir den Arsch auf um Arbeit zu finden, aber es ist ja kein Geld da für uns Handwerker. Und was soll ich machen? Schwarz arbeiten für ein paar Euro? Aber die Flüchtlinge, die kriegen alles, was sie wollen. Und dann auch noch meckern weil sie das Essen stört und und und.
Eine Ansicht, die sich in vielen der erhaltenen Mails zeigte. Oft wurde anfangs noch gegen die Politik geschimpft, mittlerweile richten sich viele der Kommentare und Ansichten gegen die Migranten, denen "alles geschenkt wird", die "das Land ausbluten" und wegen denen "keine Jobs mehr da sind":
Na toll, vorher gab es wenigstens noch ein paar Jobs, aber jetzt holen sie ja jeden hier rein. Vielleicht sollte ich mich als Syrer verkleiden.
(Frank, 54 Jahre, seit 4 Jahren ohne Erwerbstätigkeit)