Weil ich mir nichts mehr wert bin

Seite 3: Mach dich doch mal hübsch

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Bei den Emails mit weiblichem Absender fällt auf, dass gerade auch das Äußerliche eine große Rolle spielt. In den Beziehungen war das Äußere der Frau allem Anschein nach wichtig, was auch finanziell zu Buche schlug. Nun, so klingt es an, soll dieser finanzielle Aufwand möglichst auf das absolute Minimum zurückgefahren werden, während gleichzeitig das Äußere aber weiterhin so wie früher bleiben soll:

Früher bin ich zweimal im Monat zum Friseur gegangen und einmal war Maniküre und Pediküre angesagt. Ich bin eigentlich ja brünett, aber blond fand ich mich hübscher. Volker auch. Er hat mir auch dauernd gesagt, wie hübsch ich bin und wie stolz er auf seine hübsche Frau ist. Ich habe ja mitverdient, da war das alles kein Problem. Aber jetzt haben wir nur noch ein Einkommen und Volker wird schon sauer, wenn ich nur zu einem Billigfriseur will. Wofür willst du denn zum Friseur? Aber dann sagt er auch, dass ich mich so gehenlasse, dass ich doch in blond viel hübscher gewesen bin… Letzt habe ich ein Blondierungsmittel versucht, aber das sieht schrecklich aus. Aber mehr ist halt nicht drin. "Such dir halt was, dann haben wir auch wieder 70 Euro für den Friseur." meint er. Aber wo soll ich denn was finden?

(Petra, 40 Jahre, seit 4 Jahren ohne Erwerbstätigkeit)

Ich finde auch gar keinen Grund mehr, mich hübsch anzuziehen oder so. Warum auch? Ich sitze ja sowieso nur zuhause. Wir haben keine Kinder, keine Tiere, nichts. Ich sitze also zuhause, mach den Haushalt und das ist es dann auch. Ich habe schon überlegt, mir irgendetwas beizubringen, egal was. Als ich mit meiner Freundin darüber reden wollte, meinte die nur "ich weiß, du kannst das nicht verstehen, aber ich bin müde von der Arbeit, ok?" Das höre ich sowieso dauernd von ihr "du kannst das ja nicht verstehen, aber auf der Arbeit war viel los und ich bin müde". Das weiß ich, aber wann soll ich mit ihr reden? Ich habe es mittlerweile aufgegeben, aber es nagt an mir. Ich fühle mich einsam und völlig unnütz. Aber von meiner Freundin kommt da nichts, sie kann das nicht verstehen. Raff dich einfach auf, sagt sie. Und dass ich mich zu sehr gehenlasse, dass ich doch so hübsch wäre und früher so toll ausgesehen hätte und jetzt nicht mehr.

(Sylvia, 32 Jahre, seit 5 Jahren ohne Erwerbstätigkeit)

… besser ohne mich

In vielen der Emails fanden sich auch immer wieder Sätze, die aufzeig(t)en, dass die Absender sich zunehmend als Belastung für andere empfinden und nicht nur sich selbst als unwichtig ansehen, sondern sogar als schädlich für die Familie, die Beziehung, das Umfeld:

Mir ist es so peinlich, zu den Schulveranstaltungen zu gehen. Die Nachbarn wissen ja, dass ich keine Arbeit mehr habe, aber trotzdem. Da sitzen sie dann alle und erzählen darüber, wie schwer es ist mit den Kindern weil sie ja auch noch arbeiten müssen und ich sitze da und habe nichts anderes zu tun als mich um die Kinder zu kümmern und kriege nicht einmal das hin. Unsere Kleine hat gerade eine fünf eingefahren und sie sagt, dass sie ja auch zuhause unter der Situation leidet. Vielleicht wäre es besser, wenn ich einfach weggehe.

(Verena, 34, seit 3 Jahren ohne Erwerbstätigkeit)

Meine Eltern haben es sowieso schon schwer und dann lebe ich jetzt auch noch bei ihnen. 25 Jahre und ohne Job. Wenn beim Jobcenter was schiefgeht, dann kürzen die schon mal bis zum ganzen Hartz. Und klar denken meine Eltern, dass ich daran schuld bin. Ich denke immer wieder, dass es einfacher wäre, wenn ich nicht mehr bei ihnen wäre. Wer würde mich schon vermissen?"

(Sandra, 25, seit 5 Jahren ohne Erwerbstätigkeit)

Ein Paar (47 und 40) schrieb unlängst davon, dass es beschlossen hätte, gemeinsam in den Tod zu gehen. Beide hatten keinerlei Hoffnung mehr darauf, dass sie wieder eine Arbeit finden würden, empfanden die Reaktionen der Gesellschaft auf sie als bedrohlich und bedrückend und sahen sich als Belastung für andere an, während in ihren Mails aber auch Wut durchklang, die aber von der depressiven Grundhaltung verdrängt wurde. Soweit bekannt, haben beide sich Hilfe gesucht. Dies schrieben sie jedenfalls in ihrer letzten Mail, die auch etwas positiver klang. Der Kontakt wird weiter aufrecht gehalten.

Hi, Twister. Tut mir leid, dass ich dich nerve, aber wir wollten uns verabschieden. Das wird uns zuviel. Wir suchen jetzt seit sieben Jahren nach einem Job, aber außer Deppenarbeiten oder dem nächsten Mausschubslehrgang finden wir nichts. Klaus (Name geändert - Anmerkung der Autoren) hat jetzt schon Parkplätze bewacht und zuletzt die Toiletten geputzt, aber das wird jetzt von irgendwelchen Firmen übernommen, die günstiger sind. Ich habe hier einen Putzjob gesucht, aber die meisten arbeiten schwarz und hier, wo wir wohnen, gibt es einfach zu viele, die etwas suchen. Vielleicht hätten wir Kinder haben sollen. Da hätten wir etwas, woran wir uns klammern können, aber so… wofür eigentlich? Mann, wir haben doch immer brav unsere Steuern bezahlt, wir sind zur Schule gegangen, haben was gelernt, wir haben noch nicht einmal Abmahnungen bekommen und trotzdem sind wir jetzt die Assis. Wenn wir rausgehen, gucken uns die Nachbarn schräg an als wollten sie sagen "Aha, auf Stütze aber was trinken gehen, na klar..." Die denken bestimmt, dass wir uns auf ihre Kosten besaufen würden. Meine Schwester kam zuletzt mit ihren Kindern vorbei, die haben demnächst Geburtstag. Sie haben erzählt, was sie sich wünschen und noch bevor ich etwas sage konnte, kam "ihr wisst doch, dass ihr Tante Jana (Name geändert - Anmerkung der Autoren) nichts davon sagen sollt". Am Anfang sind wir noch bei den Demos mitgelaufen, aber was soll das bringen? 5 Euro mehr pro Monat? Das reicht für zwei Brote!

Aber das ist jetzt auch egal. Wir sind eben die Assis, wir kosten nur Geld und bringen nichts ein. Wir sind keine Akademiker, für uns wird es auch nichts mehr geben. Roboter werden wohl unsere Jobs machen und wir werden irgendwo eingepfercht mit ein paar Euro leben. Aber das wollen wir nicht. Klaus hat gestern schon gesagt, dass es doch sowieso Schwachsinn ist, so weiterzuleben und dass wir da auch gleich von der nächsten Brücke springen können. Und er hat ja recht. Wir würden ja doch niemandem fehlen. Warum sollen wir also noch in dieser Welt leben, in der man uns sowieso nicht mehr braucht? Also machs gut und danke - wir zwei Überflüssigen gehen jedenfalls bald.