Weil ich mir nichts mehr wert bin

Seite 2: Von der Zuversicht zur Depression

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Während viele derjenigen, die seit Jahren sporadisch oder auch regelmäßig schreiben, anfangs noch voller Zuversicht sind, was das Finden einer neuen Erwerbstätigkeit angeht, so ändert sich diese Einstellung im Laufe der Zeit stark. Sie endet oft in einer depressiven bis fatalistischen Ansicht, die davon zeugt, dass die Hoffnung, wieder in den "Arbeitsmarkt integriert werden zu können", bereits fahren gelassen wurde. Dies ging dann einher mit eine oftmals fast schon an Selbsthass grenzenden Einstellung zu sich selbst:

Weißt du, Twister, ich werde sowieso nie wieder einen Job finden. Alt, dumm, ausrangiert, ich bin nur noch Ballast für alle. Ich verstehe jeden, der sich in einer solchen Situation von der nächsten Brücke stürzt. Keine Sorge, mache ich nicht, aber wofür bin ich denn noch gut? Sitze zuhause, mal was im Garten oder so, aber sonst … nix. Letztens musste ich schon die Kinder um Geld bitten weil es zu knapp war.

(Peter, 49 Jahre, seit 6 Jahren ohne Erwerbstätigkeit)

Ähnliche Formulierungen fanden sich in vielen anderen Emails, insbesondere nach ca. 3 Jahren ohne Erwerbstätigkeit nahmen sie zu:

Mich will sowieso keiner mehr. Ich frage mich warum Susanne (Name geändert) noch bei mir bleibt. Was hat sie denn, nur einen alten Sack, der zuhause sitzt und zu dumm ist, Arbeit zu finden. Die anderen schaffen es ja auch, warum ich nicht? Ich hab auch einfach das Falsche gelernt, zu wenig getan. Weiterbildung? War ja egal für mich. Tja, das ist jetzt die Strafe - ich bin nur noch der arbeitslose Trottel zuhause.

(Peter, 50 Jahre, seit 5 Jahren ohne Erwerbstätigkeit)

Beiträge dieser Art, die insbesondere auch die Frage stellten, was denn der Partner "mit einem noch wolle", kamen besonders oft von Männern, die ihre finanzielle Potenz als wichtig erachteten. Dass sie in der Lage sind, die Familie zu ernähren, schien für sie den Wert ihrer Person zu bestimmen, mit dem Wegfall dieser Leistungsfähigkeit fiel auch die Ansicht, sie seien wichtig/etwas wert, in sich zusammen:

Mein Vater hat noch seine gesamte Familie ernährt und ich muss jetzt beim Jobcenter betteln damit die Kinder auf Klassenfahrt fahren können. Das ist erbärmlich.

(Torsten, 36 Jahre, seit 3 Jahren ohne Erwerbstätigkeit)

Ich kann meinem Vater gar nicht in die Augen sehen. Wenn meine Eltern uns besuchen kommen, lassen sie immer Geld da für uns. "Schon okay." sagt er (sein Vater - Anmerkung der Autoren) dann. Aber ich sehe doch, was er denkt. Er denkt ich bin ein Versager. Und er hat ja Recht.42 Jahre und arbeitslos, das wäre ihm nie passiert.

(Alexander, 42 Jahre - seit 6 Jahren ohne Erwerbstätigkeit)

Was in den Emails auch oft thematisiert wurde, war die Art und Weise, wie das Umfeld auf die Erwerbslosigkeit reagiert. Dabei spielte gerade auch die Familie eine große Rolle:

Ich lebe im Haus meiner Eltern, zusammen mit meinen Geschwistern. Ich habe einen Teil geerbt und das Amt sagt mir, da kann ich auch bleiben. Also leben wir halt vor uns hin. Weil ich keinen Job habe, bleibt nicht nur die Gartenarbeit an mir kleben, sondern alle nehmen auch an, dass ich sowieso immer da bin. Klar, ein Arbeitsloser hat ja nichts anderes zu tun als nur zuhause rumzuhocken. Wenn der Stromableser kommt, wird nicht vorher gefragt, ob ich Zeit habe, ich finde nur einen Zettel "morgen um 9 kommt der Stromableser". Wenn es etwas zu erledigen gibt, heißt es "geh du mal morgen zur Bank / zum Markt / zur Gemeinde". Dass ich vielleicht auch mal etwas vor habe ist völlig unwichtig. Wenn ich dann sage "also, ich habe aber was vor", dann kommt nur "na ja, das bringt wohl kaum Geld. Also kannst du es verschieben." Höchstens die Jobcentertermine gelten da noch als "na ja, kann man nicht ändern"-Termine, alles andere ist halt völlig unwichtig.

(Roman, 47 Jahre, seit 6 Jahren ohne Erwerbstätigkeit)

Seit ich den Job verloren habe, wird alles auf mich abgeschoben. Auch wenn ich etwas nicht kann, heißt es "kann man sich doch beibringen". Aber ich bin halt mit der Bohrmaschine nicht besondern auf du und du. War früher kein Problem, hat halt mein Bruder gemacht. Aber jetzt sagt er "wieso machst du das nicht, du bist doch sowieso zuhause?" Als ob ich plötzlich alles kann. Umgekehrt bringt er auch oft Sachen vorbei, die dringend sind. "Brauch ich bis morgen" sagt er. Manchmal braucht er es auch gleich. Ich bin ja immer da. Klar, ich bin auch meistens da, wie soll ich auch rausgehen? Aber trotzdem hab ich doch auch mal Lust zu schlafen oder will mal in Ruhe gelassen werden. Aber weil ich ja kein Geld mehr reinbringe, kann ich ja auch nichts sagen.

(Gerhard, 50 Jahre, seit 3 Jahren ohne Erwerbstätigkeit)