Weißer Nationalist fliegt aus Weißem Haus

Seite 2: Trumps größte Angst: "You are fired, Mr. Trump!"

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Dennoch musste Trump das machtpolitische Risiko eingehen, sich von seinem Chefstrategen zu trennen - und somit einen großen Teil seiner Kehrwählerschaft vor den Kopf stoßen. Gerade der jüngste scheinbare Propagandasieg der extremen Rechten im Gefolge der rechtsextremen Gewaltorgie in Charlottesville hat diesen drastischen Schritt notwendig gemacht. Bannon ist schlicht das Bauernopfer, das Trump im Amt halten soll. Der Präsident der Vereinigten Staaten hat nach dem rechten Terrorakt von Charlottesville - der nicht zufällig Ähnlichkeiten mit islamistischen Terror aufweist - die dort aufmarschierenden Rechtsextremisten mit den Antifaschisten gleichgesetzt, die gegen sie demonstriert haben.

Mit dieser evidenten Übernahme rechtsextremer Argumentationsmuster ist Trump aber offensichtlich zu weit gegangen. Der Sturm der Empörung, den dieser Ausraster entfachte, legt sich nicht mehr, wie so oft zuvor: Er wächst an und droht, den Präsidenten selber aus dem Amt zu fegen. Bannon verlasse das Weiße Haus zu einer Zeit, in der Trump "unter Feuer" stehe für seine Bemerkung, dass "beide Seiten" für die tödliche Gewalt in Charlottesville verantwortlich seien, erklärte die New York Times. "Kritiker beschuldigten den Präsidenten, die Ansichten von Herrn Bannon wiederzugeben, wenn er weiße Nationalisten und Neo-Nazis mit den linken Demonstranten gleichsetzt", die sich ihnen entgegenstellten.

Gewerkschaftler, Militärs, Unternehmer, Kulturschaffende verließen scharenweise die Beratungsgremien der Regierung und distanzieren sich von dem Präsidenten, der inzwischen weitgehend isoliert ist. Etliche Berater des Präsidenten zeigten sich gegenüber der New York Times geschockt nach dem Ausraster Trumps und warfen die Frage auf, ob sich seine Präsidentschaft jemals wieder davon erholen werden - und ob der Präsident überhaupt die "Kapazitäten für diese Beruf" habe.

Die fassungslose Empörung, die diese rechtsextremen Ausfälle Trumps entfachten, brachte beispielsweise David Rothkopf, Politikwissenschaftler und Betreiber der Newssite ForeignPolicy.com, in einem Kommentar für die Washington Post zum Ausdruck:

Donald Trump hat am Dienstagnachmittag den abstoßendsten öffentlichen Auftritt in der Geschichte der amerikanischen Präsidentschaft abgeliefert. Eingerahmt durch den vulgären Exzess in der Lobby seines Trump Tower, hat der Präsident der Vereinigten Staaten die Hemmungen seiner vernünftigeren Berater abgestreift und, aus seinem Herzen sprechend, die weißen Nationalisten und ihr Credo des Hasses verteidigt. Er hat diese Banditen mit den couragierten Amerikanern gleichgesetzt, die sich zusammenfanden, um gegen Rassismus, Antisemitismus und eine Doktrin der Gewalt aufzustehen, die Jubel und Nazigrüße von den Horden der Alt-Right erhielt, der der Präsident sich zu solcher Loyalität verpflichtet sieht.

David Rothkopf

Angesichts dieser Ausfälle sei nun offensichtlich, dass auch Trump "ein Extremist" sei. Es gebe nur eine Schlussfolgerung, die Patrioten jedweder Partei ziehen dürfen: "Trump muss gehen." US-Bürger wie er, deren Familienmitglieder von "ähnlichen Mobs" in Hitlers Europa ermordet wurden, Afroamerikaner, die mitansehen mussten, wie solche Mobs ihre "Familienangehörigen lynchen", müssten Trumps Äußerungen nicht nur mit Abscheu und Ärger, sondern auch mit einem "Grad an Angst" aufnehmen.

Tatsächlich bringt hier Rothkopf implizit ein wichtiges Merkmal der US-Gesellschaft zum Ausdruck, das sie von denen Europas unterscheidet. Die USA sind nicht weniger rassistisch als die meisten kapitalistischen Kernländer, aber sie sind zugleich eine vielschichtige Einwanderungsgesellschaft, in der es kein rassisch oder ethnisch definiertes "Staatsvolk" gibt. Deshalb treibt offen rassistische Politik die Zentrifugalkräfte in den Vereinigten Staaten weitaus stärker an als in Europa, wo sie in Krisenzeiten eher als ideologischer Kitt in ethnisch homogenen Gesellschaften (aktuell etwa Ungarn, Polen) fungiert. Trumps Flirt mit dem weißen Nationalismus lässt somit die Spannungen in der ethnisch diversen US-Gesellschaft ansteigen. Und dies ist auch nicht im Sinne des Teils der US-Funktionseliten, der noch einigermaßen klar bei Sinnen ist.