Welchen Pass hat der Täter? Herkunftsnennungen im Journalismus

Seite 2: Fachaufsatz zur Täter-Bezeichnung

Just kurz vor Silvester erschien in der führenden Fachzeitschrift Publizistik online eine "Handreichung zur Reflexion für Journalist:innen und Kommunikationsverantwortliche der Sicherheitsbehörden und der Justiz". Herausgegeben wurde sie von den Professoren Christoph Klimmt, Hans-Bernd Brosius, Hannah Schmid-Petri, Tanjev Schultz und Gerhard Vowe sowie der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Anja Dittrich.

Die Autoren zeichnen die Debatte der letzten Jahre nach, fassen den Forschungsstand zusammen und geben am Ende Stichworte für redaktionsinterne Regelungen. Titel des Aufsatzes: "Herkunftsnennung von Täter:innen und Verdächtigen in der Verbrechensberichterstattung".

Die Autoren sehen für die "von solchen öffentlichen sozialen Markierungen betroffenen Gruppen" drei Anwendungsfelder: "Berichte über Einzelverbrechen (z. B. Tatereignis, Verhaftung, Verurteilung), Fahndungsaufrufe der Sicherheitsbehörden, die sie selbst sowie Nachrichtenmedien veröffentlichen, und Berichte über Verbrechensstatistiken."

Für die Erwägung zur Herkunftsnennung stellt die Handreichung zwei Pole gegenüber: Auf der einen Seite "Akteur:innen, die sich für eine regelmäßige Nennung der Herkunft von Verdächtigen und Täter:innen aussprechen, argumentieren zumeist mit der Forderung nach Transparenz." Verfügbare Informationen sollten nicht zurückgehalten werden. Dazu gehöre u. a. der Verweis auf "eine Einwanderungsbiografie".

Bürger seien frei, sich selbst ein Urteil zu bilden, und könnten verantwortungsbewusst mit Informationen über soziale Gruppen (z. B. Ethnien) umgehen. "Die journalistische oder behördliche Zurückhaltung von Herkunftsinformationen aus Sorge vor gesellschaftlich problematischen Effekten betrachten diese Akteur:innen als manipulative Unterwanderung bürgerlicher Informationsfreiheit ('Zensur')."

Auf der anderen Seite seien diejenigen, die "gegen eine (routinemäßige, häufige) Nennung von Gruppenzugehörigkeiten in Verbrechensberichten" argumentieren. Etwa weil "die (migrantische) Herkunft in sehr vielen Fällen keinen Sachbezug zum Verbrechen" habe und weil "von der Offenlegung von Herkunftsinformationen ungewünschte und weitreichende Wirkungen auf die Bürger:innen ausgehen könnten".

Dabei werden angeführt: "die Verstärkung von Vorurteilen und von ablehnenden bis feindseligen Haltungen gegenüber Menschen mit Einwanderungs- oder Fluchtbiografie im Allgemeinen, also auch weit über die an der Tat beteiligten Personen hinaus."

Auf die drei Fallgruppen bezogen meinen die Autoren, Befürworter einer Herkunftsnennung träten für diese in der Regel in jedem Fall ein, während die Seite der Kritiker "differenzierte Argumente zu jeder Form der Berichterstattung" benenne.

"Bei Berichten über Einzelverbrechen steht die Sorge vor übergeneralisierenden, emotional-negativen Urteilen des Publikums (zorniger Fehlschluss vom Einzeltäter auf eine Migrant:innengruppe) sowie die Suggestion einer unzutreffenden Kausalbeziehung zwischen Gruppenzugehörigkeit und Täterschaft im Mittelpunkt."

Bei Fahndungsaufrufen wird zwar eine so genaue Beschreibung zugestanden, "dass mutmaßliche Straftäter tatsächlich anhand äußerlicher Merkmale erkannt werden können". Doch könnten "bestimmte Formulierungen eine besondere Stigmatisierung nach sich ziehen und beispielsweise Personen mit in der Fahndung beschriebenen Merkmalen gehäuft unter Verdacht gestellt werden".

Bei der Betrachtung des Forschungsstandes kommen die Autoren etwa zum Ergebnis, Studien aus verschiedenen Ländern und Zeiträumen zeigten übereinstimmend, "dass Nachrichtenmedien dazu neigen, Eingewanderte mit Kriminalität in Verbindung zu bringen". "Schwerwiegende Straftaten, wie etwa die von vielen Tätern begangenen Delikte auf der Kölner Domplatte zum Jahreswechsel 2015/2016" befeuern den Trend, "mit Hinweisen auf Verbrechen und der Offenlegung von Herkunftsinformationen […] Eingewanderte als Bedrohung der Mehrheitsgesellschaft" zu porträtieren.

Die Medienwirkungsforschung zeige Vorurteilseffekte bei den Rezipienten, welche "die Herkunftsinformation intuitiv, spontan und oftmals unbewusst heranziehen, um sich eine Vorstellung von der Straftat zu machen und diese moralisch zu bewerten", wovon schließlich die gesamte Gruppe negativ betroffen sei. "Dieser Effekt wird dadurch begünstigt, dass viele Verbrechensberichte kaum andere (persönlich-individuelle) Informationen über Täter:innen und Verdächtige enthalten."

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