Welchen Treueschwur zum 226. Unabhängigkeitstag der USA?
Update: Die aufschlussreiche Geschichte des Pledge of Allegiance
Fast jeder, der in der Grundschule in den USA war, dürfte folgende Zeilen einst auswendig gewusst haben:
"I pledge allegiance to the flag of the United States of America
And to the Republic for which it stands
One nation, under God, indivisible
With liberty and justice for all.
Schließlich werden diese Zeilen jeden Tag vor Schulbeginn im Stehen - und mit der rechten Hand auf dem Herzen - von beinahe allen Grundschulkindern rezitiert, um die US-Fahne im Klassenzimmer zu ehren. Momentan ist diese Treueschwur Pflicht in 25 Bundesstaaten und in 6 weiteren "empfohlen". Doch auch in den anderen 19 Bundesstaaten dürften die meisten Grundschulen den Treueschwur aufsagen lassen. Als Kontrollmechanismus taugt er allemal.
Der Treueschwur geriet vor einer Woche auch hierzulande in die Schlagzeilen, als ein US-Berufungsgericht den Ausdruck "under God" aufgrund der Trennung von Kirche und Staat für verfassungswidrig befunden hatte. Ein nicht-religiöses Elternpaar hatte sich durchgesetzt. Das Gericht ist "nur" für die Region um San Francisco zuständig, aber George W. Bush ließ sofort aus der G8-Konferenz in Kanada verlauten, dass diese Entscheidung "lächerlich" sei. Auch Senatorin Hillary Clinton gab zu verstehen, dass sie daran Anstoß nehme. Das schien auch der allgemeinen Reaktion in der Presse zu entsprechen: "dämlich" fand sie die L.A. Times, eine "Parodie" die Washington Post, "unsinnig" die New York Times. Der Senat hat in der Zwischenzeit 99-0 dafür gestimmt, dass der Eid beibehalten werden soll. Das ganze Repräsentantenhaus hielt Händchen und sang "God Bless America". Ashcroft will in Berufung gehen. Diese Liste ließe sich fortführen.
Ironie der Geschichte: Der Treueschur wurde ursprünglich von einem sozialistischen Priester verfasst, der so radikal war, dass die Kirche ihn entließ, nachdem er behauptet hatte, Jesus sei Sozialist gewesen. Aber den Eid formulierte Bellamy weniger sozialistisch, und es kam später zu zwei Änderungen, die Bände sprechen.
Francis Bellamy, der Cousin des Verfassers eines sozialistischen Utopie-Romans Looking Backward (Ein Rückblick aus dem Jahre 2000 auf 1887), wurde 1892 anlässlich des 400. Jahrestages der "Entdeckung" Amerikas gebeten, für eine Zeitschrift in Boston einen neuen Treueschwur zu schreiben, um den zwei Jahre zuvor in Mode gekommenen Eid aus der Feder eines Militärs zu ersetzen:
"Give our heads and our hearts to God and our Country! One nation! One language! One flag!"
Diese Formulierung fand Bellamy seinerseits "kindisch", und er nahm den Auftrag gerne an:
I pledge allegiance to my flag
And to the Republic for which it stands
One Nation indivisible,
With liberty and justice for all
Ursprünglich liebäugelte Bellamy mit "liberté, egalité, fraternité" für den Schluss, entschied sich aber dagegen, da diese Zeilen wohl für seine Zeitgenossen unzumutbar gewesen wären. (Selbst bei "equality" fürchtete der Frauenrechtler und Antirassist Widerstand bei seinen Zeitgenossen, die keineswegs gleiche Rechte für Frauen und Schwarze zulassen wollten.) Trotz seines sozialen Engagements fand Bellamy, dass der Schluss sowohl für "einen individualistischen und einen sozialistischen Staat" offen sein sollte. Im Sprachgebrauch der damaligen Zeit war "individualistisch" gleichgesetzt mit "kapitalistisch" und "materialistisch". Für den Sozialisten Bellamy wäre eine Entwicklung in Richtung Individualismus einem Verrat am amerikanischen Ideal gleichgekommen, aber vielleicht ahnte er, dass er die Zukunft mit seinem Eid nicht bestimmen konnte. Heute verdankt Bellamys Eid seinen Fortbestand ausgerechnet dieser Mehrdeutigkeit.
Denn die Individualisten, nicht die Sozialisten, haben das Schicksal des Eids bestimmt. Während des Ersten Weltkriegs wurde aus "my flag" "the flag of the United States". In einem Land mit so vielen Einwanderern war "meine Fahne" einfach zu undeutlich, zumal deutsche Einwanderer gegen ihre alte Heimat kämpfen sollten. Es war die Zeit, in der das Haus Hanover (oder Sachsen-Coburg-Gotha) in England zu Windsor wurde, und "sauerkraut" in den USA zu "liberty cabbage". Die Änderungen zu Bellamys Eid und dem Namen des englischen Königshauses sind uns geblieben, aber man würde heute auf der Suche nach "liberty cabbage" in den USA Hungers sterben.
Die zweite Änderung zu Bellamys Text ist auch die, die jetzt für verfassungswidrig erklärt wurde. 1954 verfügte Präsident Eisenhower, dass "under God" nun mit rezitiert werden solle. Zwar hatte der Supreme Court der USA bereits 1943 entschieden, dass es keinen Treueschwur für amerikanische Schüler geben darf, aber das hielt Eisenhower nicht davon ab, den Schwur in Zeiten eines Kalten Krieges gegen einen gottlosen Feind redaktionell zu verbessern. Die Hinzufügung von "under God" wäre für den ehemaligen Priester Bellamy, der aus Protest gegen die Rassentrennung innerhalb der Kirche auch als Laie nach seiner Entlassung der Kirche fernblieb, inakzeptabel gewesen, wenn man seiner Enkelin Glauben schenken darf.
Eisenhowers religiöser Eifer blieb auch nicht auf den Treueschwur beschränkt. Er war es auch, der dafür sorgte, dass seit 1957 "In God We Trust" auf Dollarscheinen gedruckt wird. Kein Geringerer als Thomas Jefferson hatte 1782 "E Pluribus Unum" (Aus vielen Eines) auf US-Münzen prägen lassen. Seit 1909 erscheint "In God We Trust" auf vielen verschiedenen US-Münzen.
Zufälligerweise läuft seit einigen Monaten eine Kampagne, die den Spruch "In God We Trust" auf Plakaten in Klassenzimmern zur Pflicht machen will. Das Verbot des Ausdrucks "under God" wird ihr vermutlich noch mehr Zulauf bescheren, und überhaupt soll die Entscheidung des Berufungsgerichts an die nächste Instanz weitergeleitet werden. Wenn der Fall zum Obersten Gericht kommt, dürfte "under God" fester Bestandteil des Treueschwurs werden, denn 1996 hatte das US-Verfassungsgericht eine Klage gegen "In God We Trust" nicht einmal angehört. Der liberal gesinnte Supreme Court, der 1943 den Einzug des Treueschwurs in die Schulen verhindern wollte, hat eben wenig mit dem Supreme Court von heute gemein. Und wenn es nach Bush geht, sollen Atheisten in den USA gar nicht erst Richter werden; so verkündete er aus Kanada:
We need common sense judges who understand that our rights were derived from God, and those are the kind of judges I intend to put on the bench.
Letztes Jahr hieß es in einem Telepolis-Artikel über Edward Bellamys Utopie-Roman: "Bellamy's Vision von einem solidarischen Amerika ist jedoch von dem, was sein junger Langschläfer heute erlebt, meilenweit entfernt." Das gleiche gilt für Francis' Treueschwur. Heute hat der Individualismus über Bellamys Sozialismus gesiegt. Das Geld regiert, und Menschen wie Bellamy, die auf die Armut und soziale Spannungen im Lande hinweisen, wird heute jeglicher Patriotismus abgesprochen. So erging es den atheistischen Eltern, die dagegen klagten, dass ihre Tochter jeden Morgen einen Schwur "under God" ablegen muss. Der Vater wurde bei CNN gefragt, ob er überhaupt "stolz sei, Amerikaner zu sein", und ob er bereit sei, "der verhassteste Mann im ganzen Land zu sein". Der Mann bekommt auch anonyme Morddrohungen.
Dabei sind einige der patriotischsten Lieder der USA von Sozialisten/Kommunisten/Feministen verfasst worden: erwähnt seien hier vor allem Katharine Lee Bates' America the Beautiful und Woody Guthries This Land Is Your Land.
Man kann also davon ausgehen, dass das letzte Wort im Fall "under God" nicht gefallen ist. Wer weiß, vielleicht steht bald "In God We Trust" auch auf Kreditkarten? Bis dann müssen wir uns mit den scherzhaften Plakaten begnügen, die in Lokalen hängen, in denen Kreditkarten nicht akzeptiert werden:
In God we trust. All others pay cash.