Weltbevölkerung: Zehn Milliarden voraussichtlich im Jahr 2059
UN-Bericht: Das globale Bevölkerungswachstum verlangsamt sich. Ein Grund weniger, sich vor einer Apokalypse zu fürchten?
Es gab eine Zeit, da wurde das Buch "10 Milliarden" herumgereicht. Erschienen ist es auf Deutsch 2014 in einem schrillen Leuchtorange bei Suhrkamp. Der Autor Stephen Emmott, Spezialist für Computersimulationen, warnt darin vor einem beispiellosen Notfall planetarischen Ausmaßes durch globale Probleme, die immer drängender würden, "weil wir uns auf eine Weltbevölkerung von zehn Milliarden Menschen zubewegen".
Die Probleme, die Emmott benennt, sind mittlerweile Tagesgespräch: Beschleunigung des Klimawandels, Treibhausgase, Ernährungskrise, Wassernot, ausgetrocknete, ausgelaugte, versiegelte Böden, usw.. Auch der Aufwand, den die Herstellung eines Autos braucht, die Folgekosten und die Lieferkettenproblematik dürfte in den letzten Monaten zum Allgemeinwissen geworden sein. Auch wer das Buch nicht gelesen hat, könnte von dem berüchtigten letzten Satz gehört haben.
Auf die Frage an einen Mitarbeiter aus seinem Labor (einer der "nüchternsten und klügsten Forscher, die mir je begegnet sind") - Was tun in dieser Situation, mit der wir konfrontiert sind, wenn man nur eine Sache tun könnte? – antwortete dieser: "Ich würde meinem Sohn beibringen, wie man mit einem Gewehr umgeht."
Der Satz hat in manchen Kreisen, zu denen auch Dozenten an der Münchner Exzellenzuniversität LMU gehörten, für Furore gesorgt. Eine gewisse Empfänglichkeit unter klugen und nüchternen Köpfen für apokalyptisch-alarmistische Szenerien gab es schon vor einige Jahre vor der Letzten Generation.
Der aktuelle UN-Bericht zur Entwicklung der Weltbevölkerung dämpft zumindest eine böse Erwartung von Emmott. "Wenn sich an der weltweiten Geburtenrate nichts ändern, dann sind wir am Ende dieses Jahrhunderts nicht bei zehn Milliarden. Sondern 28 Milliarden", schrieb er 2013.
Wachstumsrate der Weltbevölkerung sinkt zum ersten Mal seit 1950
Am heutigen Weltbevölkerungstag ist im UN-Bericht unter den Kern-Botschaften zu lesen:
Die Weltbevölkerung wird am 15. November 2022 voraussichtlich acht Milliarden Menschen erreichen (Auf countrymeters.de wurde die Marke heute erreicht; Einf. d. Red.). Die jüngsten Prognosen der Vereinten Nationen gehen davon aus, dass die Weltbevölkerung auf 8,5 Milliarden im Jahr 2030, 9,7 Milliarden im Jahr 2050 und 10,4 Milliarden im Jahr 2100 wächst.
UN, World Population Prospects 2022
Die weltweite Geburtenrate gehe zurück, so der Lagebericht. Im Jahr 2020 sank die Wachstumsrate der Weltbevölkerung zum ersten Mal seit 1950 "auf unter ein Prozent pro Jahr". Das ist etwa halb so viel wie in den Jahren zwischen 1965 und 1970. Damals gab es einen jährlichen Zuwachs von 2,05 Prozent.
Die Trend-Einschätzung im UN-Bericht bleibt bei allem vorsichtig. So berichtet die französische Zeitung Le Monde davon, dass die Demografen der Bevölkerungsabteilung der UNO-Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten es "zu 95 Prozent für sicher halten, dass wir im Jahr 2100 zwischen 8,9 und 12,4 Milliarden Menschen sein werden. Die 10-Milliarden-Marke könnte bereits 2059 erreicht werden, um sich dann nach einem ‚mittleren‘ Szenario in den 2080er Jahren bei 10,4 Milliarden Menschen einzupendeln".
2100: "Das Ende der Erneuerung der Generationen"?
Die Dynamik des prognostizierten Anstiegs der Weltbevölkerung bis 2050 rühre zu zwei Drittel aus dem großen Wachstum der Vergangenheit, das sich in der jugendlichen Altersstruktur der heutigen Bevölkerung spiegelt. Maßnahmen zur Senkung der Geburtenrate brauchen bekanntlich Zeit, bis sie sich zeigen.
Die Fertilitätsrate könnte von derzeit 2,3 auf 1,8 im Jahr 2100 sinken und damit "das Ende der Erneuerung der Generationen" einläuten, kommentiert Gilles Pison, wissenschaftlicher Berater des Institut national d'études démographiques, den Bericht für die französische Zeitung.
2023: Indien überholt China
Aktuell sichtbar werden die Resultate der chinesischen Ein-Kind-Politik, die aus mehreren Gründen wieder zurückgenommen wurde. Indien wird China voraussichtlich im nächsten Jahr als bevölkerungsreichstes Land überholen, so die UN-Prognose. Derzeit sollen beide Länder jeweils 1,4 Milliarden Einwohner haben. Für das Jahr 2050 werden für Indien 1,668 Milliarden und für China 1,317 Milliarden berechnet.
Hohe Geburtsraten werden 2021 für Länder in Afrika südlich der Sahara (4,6 Geburten pro Frau) ausgewiesen, für Ozeanien ohne Australien und Neuseeland (3,1), Nordafrika und Westasien (2,8) sowie Zentral- und Südasien (2,3). Südlich der Sahara sowie in Lateinamerika und der Karibik verzeichnen die UN-Experten eine hohe Jugendfertilität, weswegen sie vor potenziell negativen Folgen für die Gesundheit und das Wohlergehen sowohl der jungen Mütter als auch ihrer Kinder warnen.
Das Problem der Jugend in den ärmeren Staaten
Der Bericht gibt sich an dieser Stelle auch vorsichtig zuversichtlich. Es gebe auch Chancen, wenn, ja wenn: die jungen Menschen Aussichten auf Arbeit und lohnende Beschäftigung haben.
In den meisten Ländern Afrikas südlich der Sahara sowie in Teilen Asiens, Lateinamerikas und der Karibik hat der Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (zwischen 25 und 64 Jahren) in den letzten Jahren dank des Rückgangs der Geburtenrate zugenommen. Diese Verschiebung in der Altersverteilung bietet eine zeitlich begrenzte Chance für ein beschleunigtes Wirtschaftswachstum, bekannt als die "demografische Dividende".
UN, World Population Prospects 2022
Übersterblichkeit durch Covid-19
Schließlich geht der Bericht auch auf die globalen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie ein. Dazu heißt es, dass die Demografen der Bevölkerungsabteilung der UNO-Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN DESA) zusammen mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Schätzungen über die Zahl der Todesfälle erstellt haben, "die auf die direkten und indirekten Auswirkungen der Pandemie zurückzuführen sind".
Ihr Ergebnis, das schon im Mai nachzulesen war:
Die mit der Pandemie verbundene Übersterblichkeit wird für den Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2020 und dem 31. Dezember 2021 auf 14,9 Millionen auf 14,9 Millionen geschätzt - eine Zahl, die fast dreimal so hoch ist wie die offiziell gemeldete Zahl der Todesfälle. Die Übersterblichkeit wurde berechnet als Differenz zwischen der Zahl der eingetretenen Todesfälle und der Anzahl der Todesfälle, die ohne die Pandemie zu erwarten wären, basierend auf Schätzungen aus früheren Jahren. Todesfälle, die direkt mit Covid-19 in Verbindung stehen, sind Todesfälle aufgrund der Krankheit.
UN, World Population Prospects 2022, S. 33
Le Monde zitiert dazu einen der Herausgeber des UN-Berichts, Thomas Spoorenberg, einer der Herausgeber des UN-Berichts, mit der Einschätzung, dass die Pandemie "ein Schock für alle und auf allen Kontinenten" war, dass dieser Schock, wenn er erst einmal vorbei sie, "die allgemeinen demografischen Trends kaum beeinflussen" werde. Er erwartet keine langfristigen Auswirkungen auf die Anzahl der Kinder pro Frau, die Heiratspraktiken oder die Empfängnisverhütung.
Emmott: "Nächste Pandemie könnte eine Milliarde Menschen töten"
Auch zu diesem Thema steuerte der Professor für "biological computation" am University College London, Stephen Emmot schon früh, im August 2020, eine schrillige Einschätzung bei.
Eine Pandemie vom Typ Coronavirus sei "unvermeidlich", erklärte Emmott dem Journalisten Martin Fletcher vom britischen Magazin The New Statesman und ergänzte:
"Diese Pandemie ist ein kleiner Einblick – zum Glück nicht so gravierend, wie sie sein könnte - in eine mögliche und wahrscheinliche Zukunft, die glücklicherweise nicht so schwerwiegend ist, wie sie sein könnte." Die nächste Pandemie könnte eine Milliarde Menschen töten, warnt er.
Stephen Emmot, zitiert im The New Statesman