Wem der Lockdown schlägt
Die Infektionslage ist "diffus", die Corona-Politik auch
Am vergangenen Donnerstag soll sich in Plettenberg im Sauerland folgende Szene zugetragen haben: Eine Kundin wollte zehn Packungen Toilettenpapier kaufen. Als die Kassiererin den Verkauf dieser Menge verweigerte, soll die Kundin die zehn Packungen der Kassiererin an den Kopf geworfen haben.
Mandy Wirdel, Edeka-Filialleiterin in Magdeburg, bemüht sich, solche Konflikte zu verhindern. Sie hat Klopapier nachbestellt. "Aber wenn wir nicht die Schilder aufhängen würden und die Leute ermahnen, nur eine Packung pro Haushalt mitzunehmen", so Frau Wirdel, "wären wir schon längst leer gekauft."
Die Toilettenpapier-Stände in den Supermärkten scheinen ein verlässlicher Indikator zu sein: Viele Deutsche stellen sich seit Tagen auf einen neuen Lockdown ein. Dies bestätigt nun auch eine aktuelle Umfrage der deutschen Tochtergesellschaft des britischen Meinungsforschungsinstituts YouGov: Deren Daten zufolge erwarten 63 Prozent der Deutschen einen Lockdown. 23 Prozent der Befragten erwarten dies nicht, 13 Prozent gaben keine Antwort (Stand: 27.10.).
Anscheinend gehen die Menschen davon aus, dass die deutschen Behörden sich dem europaweit zu beobachtenden Trend, die Corona-Maßnahmen weiter zu verschärfen, anschließen werden.
Europa: Nach dem Palaver kommt die Panik
In Irland hatten die Behörden bereits in der vergangenen Woche einen Lockdown angeordnet, der bis Anfang Dezember gelten soll. Die Bürger dürfen sich nur noch in einem Umkreis von fünf Kilometern um ihren Wohnsitz bewegen. Alle nicht notwendigen Geschäfte müssen geschlossen bleiben.
Auch in Wales gelten bereits seit mehreren Tagen strenge Kontaktbeschränkungen, die sich nicht wesentlich von den Maßnahmen im vergangenen Frühjahr unterscheiden und nun als "firebreak lockdown" bezeichnet werden. Die Maßnahmen sollen zunächst zwei Wochen gelten.
In England wurde bislang nicht landesweit, sondern fokussiert auf lokale Hotspots der Lockdown angeordnet. Die höchste Warnstufe 3, die signifikante Kontakt- und Mobilitätsbeschränkungen vorsieht, gilt momentan vor allem in Nordengland. Allerdings wird die Ausweitung von Restriktionen auf weitere Regionen und die Einführung einer Warnstufe 4 erwartet.
Ebenfalls bereits in der vergangenen Woche wurde in Tschechien ein Lockdown verhängt. Fast alle Geschäfte müssen geschlossen bleiben, es gelten Ausgangsbeschränkungen, Kontakte mit anderen Menschen müssen auf die "absolut notwendige Zeit" begrenzt werden. Der tschechische Gesundheitsminister hat gerade angekündigt, dass eine weitere Verschärfung der bereits sehr weit gehenden Maßnahmen zu erwarten sei.
In Spanien wurde am vergangenen Wochenende erneut der nationale Notstand ausgerufen. Dieser gilt zunächst zwei Wochen, soll aber Plänen der Regierung zufolge bis Mai kommenden Jahres andauern. Für das gesamte Land, bis auf die Kanarischen Inseln, gilt eine nächtliche Ausgangssperre von 23.00 Uhr bis 6.00 Uhr. Als Lockdown möchte man die Maßnahmen noch nicht bezeichnen, da sie noch nicht so umfassend wie im Frühjahr sind.
In Italien wurden die Maßnahmen ebenfalls am Wochenende verschärft. Für Restaurants und Bars gilt eine Sperrstunde ab 18.00 Uhr. Kinos, Theater, Fitnessstudios und Skiresorts müssen schließen. Schon zuvor galten Restriktionen, die sich jedoch von Region zu Region unterscheiden. In der Lombardei gilt eine Ausgangssperre ab 23.00 Uhr. In Rom und der Region Lazio gilt eine Ausgangssperre ab Mitternacht.
In Frankreich laufen seit Anfang dieser Woche Dringlichkeitssitzungen der Regierung. Der Innenminister hat in einem Interview angekündigt, man müsse schwierige Entscheidungen erwarten. Angeblich ist ein Lockdown für die am stärksten betroffenen Gebiete, darunter Paris, Lyon und Marseille, im Gespräch.
Deutschland: Die Hoffnung stirbt zuletzt
In Deutschland wurden die schwierigen Entscheidungen für Mittwoch angekündigt. Damit stehen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erhebliche Einschränkungen an. Kanzlerin Angela Merkel macht bereits seit geraumer Zeit deutlich, dass sie eine Verschärfung der Maßnahmen für notwendig hält.
Aktuell gelten in Deutschland, wie in anderen europäischen Ländern auch, regional deutlich unterschiedliche Corona-Vorschriften. Im Unterschied zur Vorgehensweise im Frühjahr zeigte man sich zuletzt bemüht, mittels differenzierter, abgestufter und regional begrenzter Maßnahmen die Verbreitung des Virus zu verlangsamen.
Allerdings dürfte mit der Diffundierung der Ansteckungen der Druck auf die Entscheidungsträger, die Gegenmaßnahmen flächendeckend auszuweiten und zu vereinheitlichen, erheblich zugenommen haben. Die Frage scheint kaum noch ob, sondern wann und für wen der Lockdown kommt.