Wem gehört der Nil?
Der Bau eines Mega-Staudamms in Äthiopien sorgt für Empörung in Ägypten. Präsident Mursi droht mit "Blut"
Der Bau des Great Ethiopian Renaissance Dam in Äthiopien löste in Ägypten eine groteske innenpolitische Debatte über das Großprojekt aus. Während Ägyptens Regierung die Gefährdung der Wasserversorgung durch den Staudamm aus innenpolitischen Motiven instrumentalisiert, betont Äthiopiens Staatsführung der Damm werde keinesfalls Ägyptens Wasserversorgung gefährden. Unterdessen spielen ökologische und soziale Folgen des Staudamms kaum eine Rolle.
Vor zwei Jahren begannen 30 Kilometer entfernt von der sudanesischen Grenze die Bauarbeiten am Great Ethiopian Renaissance Dam (GERD). Äthiopiens 2012 verstorbener Premierminister Meles Zenawi legte schon im April 2011 den Grundstein für das Mega-Projekt, das mit einer Kraftwerksleistung von 5250 MW Äthiopiens chronischen Energiemangel beenden soll. Die derzeit im Land installierte Kraftwerksleistung versorgt gerade einmal zehn Prozent der äthiopischen Bevölkerung mit Strom - und das unregelmäßig.
Das Leitungsnetz ist marode und instabil. Zwei der insgesamt 15 350 MW-Turbinen, die an der 145 Meter hohen Talsperre installiert werden, sollen ab September 2014 Strom liefern. Bis 2017 sollen Bau der Talsperre und Füllung des Stausees abgeschlossen sein. Die Kosten für den Damm werden mit 4,8 Milliarden US-Dollar beziffert, wobei die Finanzierung, die Äthiopien alleine tragen will, als nicht gesichert gilt.
Ein Drittel der Kosten für Turbinen und elektrische Ausstattung sollen chinesische Banken übernehmen, während Addis Abeba eine Anleihe herausgab, um das Projekt zu finanzieren. Die Vergabe des Bauauftrages an die italienische Firma Salini Costruttori erfolgte ohne Ausschreibung. Das Projekt ist Teil eines groß angelegten Infrastrukturprojektes mit einem Volumen von zwölf Milliarden US-Dollar, das Äthiopiens wirtschaftlichen Aufstieg voranbringen soll.
Äthiopiens Regierung betont der Zweck des Staudamms sei die Energieproduktion - und in Richtung Kairo argumentierend, man habe keineswegs vor Wasser zu landwirtschaftlichen Nutzung abzuzweigen und Ägypten die Wasserversorgung abzudrehen. Äthiopien plane vielmehr einen Teil des erzeugten Stroms zu exportieren. Neben Kenia, Djibouti, Sudan und Ägypten wird auch Jemen als potentieller Abnehmer genannt. Doch schon der Bau eines Leitungsnetzes nach Sudan oder Ägypten dürfte Addis Abeba vor ernsthafte finanzielle Probleme stellen, schließlich müssten tausende Kilometer Leitungsnetz installiert werden.
Meles betonte noch 2011, Kairo werde vom GERD profitieren, schließlich habe auch Ägypten mit Engpässen in der Stromversorgung zu kämpfen. Äthiopien werde sich nicht von dem Vorhaben abbringen lassen, insistierte Meles 2011 und warf Kairo vor seinen Einfluss in Weltbank und Internationalem Währungsfond missbraucht zu haben, um die Finanzierung von Damm-Projekten in Äthiopien gezielt zu torpedieren.
Regierung und Opposition in Ägypten laufen Sturm gegen das Projekt
Ägypten habe ein "historisches Anrecht" auf den Nil, behaupten Regierung wie Opposition in Ägypten. Äthiopiens Informationsminister Bereket Simon betont dagegen: "Wir haben ein Anrecht darauf, den Nil anteilsmäßig zu nutzen." Kairo betrachtet das Projekt als existentielle Bedrohung und sieht die "nationale Sicherheit" gefährdet. Ägypten ist hochhochgradig vom Nil als Wasserquelle abhängig. Das Land bezieht 95 Prozent seines gesamten Wasserverbrauchs aus dem Nil.
In diesem Kontext verweigert die Regierung von Präsident Mohamed Mursi bisher jedwede Zugeständnisse und versucht derzeit aus dem Projekt politisches Kapital zu schlagen. Mursi und Teile der Opposition bedienen sich im Umgang mit dem umstrittenen Staudamm einer zunehmend nationalistischen Rhetorik und riefen zur nationalen Einheit auf. Am 10. Juni sagte Präsident Mursi:
Wenn unser Anteil am Nil-Wasser sinkt, ist unser Blut die Alternative.
Anfang Juni trommelte die Regierung Teile der Opposition zu einer Debatte zusammen, bei der vergessen wurde, die Teilnehmer zu informieren, dass die Veranstaltung live im Staatsfernsehen übertragen wird. Entsprechend offen äußerten sich die Anwesenden. Ayman Nour, Chef der liberalen Ghad-Partei, schlug vor Gerüchte zu streuen, Kairo habe Kampfflugzeuge erhalten und plane den Staudamm zu bombardieren, um Äthiopien zum Einlenken zu bewegen.
"Die Zerstörung des Damms in Betracht ziehen"
Younis Makhyoun von der salafistischen Nour-Partei sagte, Ägypten solle äthiopische Rebellen unterstützen und die Zerstörung des Damms in Betracht ziehen. Mursi betonte dagegen, Ägypten werde keine aggressiven Maßnahmen gegen Äthiopien ergreifen. Andererseits sagte er:
Ägypten wird niemals seine Rechte auf das Wasser des Nils aufgeben, und wir erwägen alle Optionen, unsere Rechte zu sichern.
Die Entschuldigungen aus dem Umkreis des Präsidenten für die nicht geschehene Unterrichtung der Teilnehmer über die Live-Übertragung sind nur bedingt ernst zu nehmen, scheint es sich hier vielmehr um politisches Kalkül zu handeln.
Ablenkung vor den angekündigten großen Demonstrationen am Wochenende
Die englischsprachige Website der ägyptischen Zeitung Al Masry Al-Youm zitiert den ehemaligen Informationsminister Osama Heikal mit den Worten: "Es ist unmöglich, dass das Treffen ohne Wissen Mursis im Fernsehen übertragen wurde." Ziel des Manövers sei es, von innenpolitischen Problemen abzulenken und den für den Jahrestag der Amtseinführung Mursis am 30. Juni angekündigten Protesten gegen den Präsidenten den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Der populäre Linkspolitiker Hamdeen Sabahi, immerhin ein ernstzunehmender Konkurrent Mursis für die nächsten Präsidentschaftswahlen, rief gar die ägyptische Bevölkerung dazu auf die Regierung in dieser "nationalen Frage" zu unterstützen. Mit der Instrumentalisierung des Projektes in Äthiopien haben es Staatspräsident und Regierung offenbar geschafft Teile der Opposition auf Linie zu trimmen.
Ob die Proteste gegen Mursis Politik am 30. Juni entsprechend zahnloser ausfallen werden, bleibt sehr fraglich. Die Protest- und Streikbewegung gegen die Regierung hat zwar zuletzt an Dynamik verloren, nachdem Ägypten seit Mursis Inthronisierung im Juni 2012 ununterbrochen von Arbeitskämpfen und regierungskritischen Demonstrationen heimgesucht wurde, doch ist der Unmut der Bevölkerung gegen die Politik der Muslimbrüder einerseits und die Wirtschaftskrise andererseits nicht zu übersehen. Die nationalistische Kampagne der Regierung soll eine temporäre nationale Einheit kreieren und den Frust über die wirtschaftliche Misere kanalisieren.
Angriffe auf die äthiopische Minderheit in Ägypten
Der nationalistische Diskurs und die Stimmungsmache gegen Äthiopien seitens der politischen Elite Ägyptens haben unterdessen direkte Auswirkungen auf die äthiopische Community in Ägypten, insbesondere in Kairo. Es häufen sich tätliche Übergriffe gegen äthiopische Staatsbürger und Flüchtlinge.
Viele Mitglieder der Oromo-Minderheit sind aufgrund sektiererischer Gewalt und politischer Verfolgung aus Äthiopien geflohen und in Ägypten als Flüchtlinge beim UNHCR (Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen) offiziell anerkannt. Vor dem UNHCR-Hauptsitz in 6th of October City, einer Satellitenstadt vor den Toren Kairos, kam es zu Protesten äthiopischer Flüchtlinge gegen die Übergriffe.
Vorwürfe gegen Israel
Die Muslimbruderschaft schafft es unterdessen, in dem Staudamm-Projekt eine Verschwörung Israels zu wittern. Auf dem Newsportal der Muslimbrüder Ikhwanweb sagte Ende Mai der Pressesprecher der Muslimbrüder Dr. Ahmed Aref:
Lange Zeit wurden Länder am Nilbecken ignoriert - bis Ende 2010, als Versuche unternommen wurde, um Ägyptens natürliches und historisches Recht auf seinen Anteil am Nil zu entreißen, und Zionisten versuchten, einige afrikanische Länder dahin zu bringen, Nilwasser zu verkaufen, um Wasser in eine Ware umzufunktionieren und in ein Mittel, um auf Ägypten mit wirtschaftlicher Macht einzuwirken.
Der Verweis Arefs auf die Gefahr, dass Wasser zur "Ware" gemacht werde, ist zwar ein im Kern wichtiger Aspekt, mutet jedoch von einem Vertreter der strikt marktwirtschaftlich ausgerichteten Muslimbrüder als wenig ernst zu nehmen an. Interessant an Arefs Statement ist der Verweis auf die Aktivitäten Israels in Ostafrika, das versucht seine Lebensmittel- und Wasserversorgung zu diversifizieren.
An Dynamik gewonnen hat Israels Engagement in Ostafrikas Landwirtschaft im Zuge der Afrikareise von Israels damaligem Außenminister Avigdor Liebermann, der 2009 die Nil-Anrainer Kenia, Uganda und Äthiopien besuchte. Mit im Gepäck: Vertreter von rund 20 großen israelischen Firmen. Israels Investments in Kenias Landwirtschaft sollen den Ausbau der Handelsbeziehungen und der Lebensmittelimporte aus Ostafrika vorantreiben. Nicht erwähnt hat Aref in seinem Statement die Aktivitäten Chinas, Katars und Saudi-Arabiens, die großem Umfang in Ostafrika Land pachten.
Die Muslimbrüder und ihr politischer Arm, die Freedom and Justice Party, stehen Saudi-Arabien und Katar nahe. Ägyptens Regierung vermochte es bisher nur deshalb die Wirtschaftskrise, in der Ägypten seit 2011 feststeckt, nicht vollends eskalieren zu lassen, da Doha und Riad Kredite gewähren und Anleihen kaufen. Der Vorwurf, Israel ziele mit seinem Engagement in Ostafrika nur darauf ab, Ägypten in die Zange zu nehmen, ist vielmehr ein PR-Manöver.
Alle bisherigen Abkommen zur Nutzung des Nils sind unter kolonialen Vorzeichen zustande gekommen
Das verbale Kräftemessen zwischen Kairo und Addis Abeba hat unterdessen seinen Zenit überschritten. Nach dem grotesken zweiwöchigen Säbelrasseln reiste Ägyptens Außenminister Mohamed Kamel Amr nach Äthiopien. In Kairo hieß es die Gespräche hätten im "Geist der Kooperation" stattgefunden. Äthiopiens Außenminister Tedros Adhanom betonte jedoch das Projekt werde nicht eingestellt.
Äthiopiens Regierungschef Hailemariam Desalegn bot Kairo Zusammenarbeit beim GERD-Projekt an, aber nur wenn Äthiopiens Ansprüche fair anerkannt würden. Die Visite Kamel Amrs in Addis Abeba scheint dem Dialog im Nil-Becken offenbar neuen Schwung zu verleihen. Die neue Verhandlungsrunde zwischen Äthiopien, Ägypten und Sudan könnte eine Lösung des schwelenden Konfliktes um die Nutzung des Nil-Wassers unter Beteiligung aller Nil-Anrainer voran bringen.
Noch pocht die Regierung in Kairo weiterhin auf der Einhaltung des "1959 Agreement for the Full Utilisation of Nile Waters", einer Neuauflage des "1929 Nile Water Agreements", das Ägypten ein Exklusivrecht auf das Nil-Wasser und ein Veto-Recht in allen Belangen zuspricht. Im Vertrag von 1929 heißt es:
Save with the previous agreement of the Egyptian Government, no irrigation or power works or measures are to be constructed or taken on the River Nile and its branches, or on the lakes from which it flows, so far as all these are in the Sudan or in countries under British administration, which would, in such a manner as to entail any prejudice to the interests of Egypt, either reduce the quantity of water arriving in Egypt, or modify the date of its arrival, or lower its level.
Alle bisherigen Abkommen zur Nutzung des Nils sind unter kolonialen Vorzeichen zustande gekommen. Großbritannien hatte seit dem 19. Jahrhundert seinen Einfluss auf die Nil-Region ausgedehnt und Ägypten als damals weltweit größten Exporteur von Baumwolle aufgebaut, auf das Englands Textilindustrie dringend angewiesen war.
Schon 1902 sicherte Äthiopiens Menelik II London vertraglich zu, am Nil-Oberlauf keine Dämme zu bauen oder den Wasserfluss anderweitig einzuschränken, damit die Wasserversorgung ägyptischer Baumwollfelder garantiert sei.
Massenproteste in den 1920er Jahren ließen die britische Kolonialherrschaft in Ägypten zusammenbrechen. London versuchte in der Folgezeit seinen wirtschaftlichen Einfluss auf Ägypten und den Zugriff auf dessen Baumwollfelder zu wahren. Das von Kairo und London als rechtliche Vertretung Sudans ausgehandelte 1929 Nile Water Agreement sprach Kairo ein "historisches Anrecht" auf den Nil zu.
Exklusivrecht auf den Nil?
Seither reklamiert Ägypten ein Exklusivrecht auf den Nil für sich. Der 1952er Vertrag zwischen Ägypten und Großbritannien - diesmal als rechtliche Vertretung Ugandas - über den Bau des Owen-Falls-Damms in Uganda festigte erneut Ägyptens Zugriff auf den Nil. Nach dem Militärputsch im Sudan 1958 handelte Ägyptens Präsident Gamal Abdel Nasser mit Khartum ein neues Abkommen zur gemeinsamen Nutzung des Nils aus.
Der Vertrag erhöhte Sudans Anteil am Wasser erheblich, sprach Ägypten 55.5 Mrd. und Sudan 18.5 Mrd. Kubikmeter pro Jahr zu, alle anderen Nil-Anrainer waren an den Verhandlungen nicht beteiligt. Seither initiierten die Staaten am Nil-Oberlauf mehrere Vorstöße, um die Nutzung des Nils auf eine neue vertragliche Grundlage zu stellen. 2002 sagte Raila Odinga, damals kenianischer Energieminister und heutiger Ministerpräsident, das Abkommen von 1929 sollte neu verhandelt werden, da Kenia, Uganda und Tansania damals unter Kolonialherrschaft standen. Der Vertrag sei nicht "fair" zustande gekommen.
Lama El Hatow vom Water Institute for the Nile, einer in Kairo ansässigen unabhängigen NGO, die versucht, mit Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit die Kooperation zwischen den Nil-Anrainern zu unterstützen, sagte am 4. Juni 2013 bei NileTV:
Es gibt Länder am Nil, die das Recht haben, Entwicklungen im Sinne der Sichreheit der Wasserversorgung voranzutreiben, wegen der Dürren und anderen klimatischen Wechselfällen. Natürlich müssen sie dabei darauf achten, dass sie damit nicht Ländern wie Ägypten oder Sudan, die flussabwärts liegen, Schaden zufügen. Hier müssen wir zusammenarbeiten; es gibt win-win-Lösungen.
Im Interview betont El Hatow energisch, Kooperation sei der Schlüssel für eine nachhaltige Lösung des Konfliktes. Mit der Gründung der Nile Basin Initiative 1999 unter Beteiligung von Ägypten, Sudan, Äthiopien, Burundi, DR Kongo, Ruanda, Tansania, Uganda und Kenia - Südsudan ist mittlerweile beigetreten - war zwischenzeitlich Bewegung in den politischen Dialog im Nil-Becken gekommen. Während Ägypten weiterhin unnachgiebig auf seinem "historischen" Anrecht auf das Nil-Wasser beharrte, unterzeichneten Äthiopien, Burundi, Ruanda, Tansania, Kenia und Uganda das 2010 im ugandischen Entebbe initiierte Nile Cooperative Framework Agreement und erklärten damit alle bestehenden Verträge zur Nutzung des Nils als nicht bindend.
Äthiopiens Parlament hatte erst am 13. Juni 2013 das Entebbe-Abkommen ratifiziert und Kairo damit erneut provoziert, nachdem die im Mai 2013 begonnene Umleitung des Nils am GERD-Bau den Tonfall der Regierung in Kairo verschärfte. Ägyptens Wasserminister Mohamed Bahaa Al-Din bezeichnete seinerseits das Entebbe-Agreement als nicht bindend, Kairo werde das Abkommen nicht signieren, sofern Ägypten kein umfassendes Widerspruchsrecht eingeräumt werde. Das Statement ist zwar keine essentielle Kehrtwende Ägyptens, signalisierte jedoch bereits kurz vor Kamels Amrs Besuch in Äthiopien, dass Kairo offenbar zu Zugeständnisse bereit ist.
Der Staudamm und mögliche Auswirkungen
Doch welchen Einfluss hat der GERD wirklich auf die Wasserversorgung Ägyptens und welche ökologischen und sozialen Folgen sind zu erwarten? Während der Wasserzufluss aus dem Weißen Nil das ganze Jahr über relativ konstant bleibt, ist der Zufluss aus dem Blauen Nil, der in Äthiopiens Hochland entspringt und 85 Prozent der gesamten Wassermenge des Stromes ausmacht, starken Schwankungen unterworfen. Der 1970 fertig gestellte Assuan-Staudamm sollte die sommerliche Nil-Schwemme aus Äthiopien kontrollierbar machen, die Bewässerung ägyptischer Felder das ganze Jahr lang ermöglichen und somit die Lebensmittelproduktion erhöhen.
Zudem fungiert der Damm als Lebensversicherung für Ägypten, da die regelmäßigen Dürreperioden in Äthiopien den Wasserfluss des Blauen Nils stark reduzieren. Heute ist der Damm eine Säule der Ägyptens Stromversorgung. Die Wasserkraftwerke tragen 15 Prozent zur gesamten Stromproduktion des Landes bei. Ägypten fürchtet, dass die Flutung des GERD-Stausees den Wasserzufluss in den Lake Nasser, dem gewaltigen Stausee am Assuan-Damm, beeinträchtigen könnte.
Die Expertise eines Ingenieurs
Äthiopiens Regierung plant den See in drei Jahren anzustauen, betont jedoch Ägyptens Wasserversorgung werde damit keinesfalls bedroht. Mutmaßungen, dass der niedrigere Wasserzufluss in den Lake Nasser zu einer Verkleinerung der Oberfläche des Stausees führen, damit die Verdunstungsrate reduzieren und am Ende den Nil-Anrainern gar mehr Wasser zur Verfügung stehen könnte --von den 84 Mrd. Kubikmetern Wasserzufluss in Lake Nasser pro Jahr verdunsten rund zehn Mrd. Kubikmeter - wird von einem Ingenieur, der als Berater für verschiedene ägyptische Ministerien und Firmen tätig ist und anonym bleiben möchte, strikt verneint.
Diese Rechnung sei schlicht falsch, da durch die geringere Verdunstung im Lake Nasser nur der Wasserkreislauf verändert werde. Es stünde keineswegs mehr Wasser im Nil zur Verfügung. Der Bau des GERD werde vielmehr spürbare ökologische Folgen für den Assuan-Stausee haben. Flora und Fauna des Sees seien akut gefährdet.
Weiter betont er, die zentrale Frage für Ägypten und Sudan sei die Zeitspanne, in der der GERD-Stausee geflutet werde. Das Vorhaben Äthiopiens den Stausee in drei Jahren zu füllen werde die Wasser- und Stromversorgung Ägyptens und Sudans stark beeinträchtigen, während eine längere Flutungszeitspanne die negativen Auswirkungen verringern könnte.
Um die Wasser- und Stromversorgung Ägyptens möglichst wenig zu beeinträchtigen, sollte Äthiopien die Stauung auf mindestens zehn Jahre ausdehnen. Um ökologische und soziale Folgen des GERD kontrollierbarer zu machen empfiehlt er eine Zeitspanne von 20 Jahren, die Stromproduktion am GERD würde dadurch anfänglich verringert, aber keinesfalls gestoppt.
Für die Energieproduktion am Assuan-Staudamm sei wichtig, dass die Tiefe des Stausees von rund 182 Metern nicht unter die kritische Marke von 150 Metern sinke, unter dieser Marke sei keine Stromproduktion möglich. Ägypten solle in den Verhandlungen mit Äthiopien versuchen eine längere Flutungszeitspanne zu vereinbaren.
Die Auswirkungen auf die Landwirtschaft
Ein weiterer Aspekt ist der Zustrom des hochgradig fruchtbaren Nil-Schlamms, der im Sommer aus Äthiopiens Hochland nach Sudan und Ägypten geschwemmt wird. Der Schlamm, der jahrhundertelang als Naturdünger fungierte, bleibt seit dem Bau des Assuan-Damms im Lake Nasser stecken, wo er ungenutzt verlandet. Ägyptische Bauern sind seither auf Kunstdünger und Pestizide angewiesen, um ihre Felder zu bewirtschaften.
Ägypten baute schon in den 1960ern Jahren Kunstdüngerfabriken, um den Ausfall des Naturdüngers zu kompensieren. Der GERD wird zwar kaum Auswirkungen auf Ägyptens Landwirtschaft haben, könnte aber Sudans Agrarsektor existentiell bedrohen. Mit derartigen Großprojekten stabilisieren Ägypten, Sudan und jetzt Äthiopien zwar ihre Energieversorgung, zerstören damit aber die ökologische Grundlage des komplexen und empfindlichen Ökosystems des Nils. Der Verlust des Nil-Schlamms als Naturdünger in kann nur mit dem Einsatz von Chemikalien kompensiert werden, dessen Folgen für die Agrarproduktion, die Böden und den gesamten biologischen Kreislauf am Nil-Becken nicht absehbar sind.
Soziale Folgen
Auch hat Äthiopiens Regierung keinerlei Daten zu möglichen sozialen Folgen des GERD veröffentlicht. Sowohl beim Bau des Assuan-Damm als auch der beiden Großprojekte Kajbar und Merowe im Sudan waren umfangreiche Umsiedlungen der Anwohner notwendig. Bei Demonstrationen gegen den Bau des Merowe-Staudamm nördlich von Khartum schritten die Sicherheitskräfte ein, mehrere Menschen starben bei den Protesten. Im August 2011 leitete die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main ein Ermittlungsverfahren gegen die hessische Ingenieursfirma Lahmeyer ein.
Das Unternehmen, dass mit Planung und Bau des Merowe-Damms beauftragt ist, wurde 2010 wegen "Herbeiführung einer Überschwemmung" angezeigt und beschuldigt bei Schließung der Stauwehre 2006 und 2008 die Anwohner nicht über die Flutung informiert zu haben. Rund 5.000 Familien verloren damals ihr Hab und Gut. Lahmeyer weist die Vorwürfe zurück. Soziale Folgen derartiger Großprojekte im Wassersektor werden bei Planung und Durchführung strukturell vernachlässigt.
Äthiopien ist bereits 2012 aufgrund eines umfangreichen Umsiedlungsprojektes in der Region Gamballa ins Rampenlicht gerückt. Die Regierung verpachtet in großem Stile Ackerland an ausländische Investoren, vor allem aus China und der arabischen Halbinsel.
Human Rights Watch wirft Äthiopien vor im Zuge des Villagization-Programms, das die Zwangsumsiedlung von insgesamt 1.5 Millionen Menschen vorsieht, Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben. Auch die Provinz Benishangul-Gumuz, in der der GERD errichtet wird, ist Teil dieses Programms. Die Rücksichtslosigkeit der Behörden bei der Umsiedlung in Gamballa lassen nichts Gutes für die anstehenden Umsiedlungen der Menschen in Gumuz erahnen.