Wem nutzt die Maut?
Vom Staatsbürger zum kostenpflichtigen Nutzer privatisierten Staatseigentums: Wie die staatliche Daseinsvorsorge zum Geschäftsmodell für Investoren degeneriert
Die Privatisierung von Staatseigentum zieht sich derzeit wieder wie ein roter Faden durch die wirtschaftspolitische Diskussion. Und dies beileibe nicht nur in den "Euro-Krisen-Staaten".
Im Zusammenhang mit einer PKW-Maut wird immer wieder leidenschaftlich argumentiert, dass die Einnahmen aus einer Maut, soweit sie nicht den Betreibern der eingesetzten Technik wie Toll Collect überlassen werden, doch bitteschön wieder in den Unterhalt und Bau des Straßensystems fließen solle, für dessen Nutzung die Maut erhoben werde. Man glaubt, dem Straßennutzer nicht zumuten zu können, dass die Mauteinnahmen in den allgemeinen Haushalt fließen, aus dem die Fernstraßen-Infrastruktur seit Jahrzehnten aufgebaut wurde. Und natürlich akzeptiert man gerne, dass bei einer Zweckbindung der Mittel für den Fernstraßenbau andere Mobilitätskonzepte nicht von den Mauteinnahmen profitieren können. Wenn ganze Mauteinnahmen in den Straßenbau fließen und nicht mehr der parlamentarischen Kontrolle unterliegen, dürfte sich zumindest die Bauwirtschaft darüber freuen.
Bei der Diskussion über eine Zweckbindung der Mauteinahmen handelt es sich jedoch um reine Scheingefechte. Die Entscheidung ist schon längst gefallen. Im September 1999 wurde von der damaligen rot-grünen Bundesregierung eine Expertenkommission einberufen, die unter dem Vorsitz von Wilhelm Pällmann, einem vormaligen Vorstand bei Bundesbahn und Bundespost, stand. Sie sollte Möglichkeiten vorschlagen, wie eine Finanzierung der Bundesverkehrswege außerhalb des Bundeshaushalts ermöglicht werden könne.
Man konnte bei der Arbeit der Kommission offensichtlich auf umfangreiche Vorarbeiten zurückgreifen, denn schon ein Jahr nach dem Start lag der Schlussbericht schon vor. In der Folge wurde 2003 in Berlin die VIFG Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft mbH gegründet. Das bundeseigene Unternehmen will den Systemwechsel von einer steuerfinanzierten zu einer nutzerfinanzierten Verkehrsinfrastruktur begleiten. In diesem Sinne will sie "moderne Konzepte im Bereich der Finanzierung der Rechnungslegung und des Beschaffungssystems, um die vorhandenen Ansätze der Nutzerfinanzierung weiter voranzubringen".
Bei der Nutzerfinanzierung bezahlt der Verkehrsteilnehmer einen spezifischen Preis für die Benutzung einer bestimmten Infrastruktur. Als Vorteil dieses Modells wird von seinen Verfechtern der direkte Zusammenhang zwischen in Anspruch genommener Leistung und bezahltem Preis gesehen. Bei der bislang üblichen Finanzierung von Infrastruktur aus Steuermitteln sei dieser direkte Sachzusammenhang nicht gegeben, weil durch den staatlichen Haushalt getrennt. So bliebe der Nutzer ein Bittsteller und die Infrastrukturausgaben seien Belastungen.
Die VIFG will aus dem Nutzer einer Straße möglichst schnell einen zahlungspflichtigen Kunden machen und preist dieses Geschäftmodell mit dem Hinweis an, dass nun aus Infrastrukturausgaben Investitionen würden. Mit der Nutzerfinanzierung will man u.a. eine Modernisierung des Beschaffungs- und Bewirtschaftungssystems der Verkehrsinfrastruktur erreichen. Die bisherigen Beschaffungsprozesse, die auf langfristige Infrastrukturinvestitionen seitens der öffentlichen Hand ausgerichtet waren, sind nach Ansicht der VIFG offensichtlich nicht mehr zeitgemäß.
Im Zusammenhang mit der propagierten Modernisierung der Bewirtschaftung der bislang im Rahmen der Daseinsvorsorge aus öffentlichen Mitteln finanzierten Infrastruktur sind politische Forderungen wie "Güter gehören auf die Bahn" und der Ausbau des Schienennetzes natürlich ausgesprochen hinderlich. Bot die frühere Finanzierung der Fernstraßeninfrastruktur zumindest die grundsätzliche Möglichkeit, im Prozess der politischen Entscheidungsfindung zwischen den Forderungen und Wünschen der einzelnen Interessengruppen abzuwägen, so wurde auf diese Möglichkeit mit dem 1. Januar 2011 verzichtet.
Der Betrieb privatisierter Infrastruktur als Lizenz zum Plündern
Seit diesem Zeitpunkt "werden alle Einnahmen aus der Lkw-Maut für den Verkehrsträger Straße verwendet. Damit ist der erste Schritt zur Realisierung des Finanzierungskreislaufs Straße umgesetzt." Mit dem Autobahnmautgesetz (ABMG) respektive dem Bundesfernstraßenmautgesetz (BFStrMG) seit dem 19. Juli 2011 hat das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) die VIFG, die mit dem Slogan "Wir bahnen Wege" auftritt, mit der Verteilung des Gebührenaufkommens beauftragt. Damit sei der erste Schritt zur Realisierung des "Finanzierungskreislaufs Straße" umgesetzt.
Der Zahlungsverkehr mit Mautmitteln für Investitionen in die Bundesfernstraßen wird über das Finanzmanagementsystem (FMS) der VIFG abgewickelt. Im Jahr 2011 wurden rund 50.650 Zahlungen mit einem Gesamtvolumen von über 3,3 Milliarden Euro getätigt. Für 2012 wird etwa die gleiche Anzahl Zahlungen mit einem Gesamtvolumen von rund 3,2 Milliarden Euro erwartet. ... Das FMS der VIFG basiert technisch auf einer betriebswirtschaftlich orientierten "Enterprise Resource Planning"-Software von SAP. Somit sind Zukunftsfähigkeit und Möglichkeiten der Weiterentwicklung des FMS auch in technischer Hinsicht auf hohem Niveau möglich und gewährleistet.
VIFG
Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass man in der deutschen Politik immer stärker von einer volkswirtschaftlich orientierten Strategie zu einer vorrangig betriebswirtschaftlichen Betrachtungsweise wechselt. Und in diesem Zusammenhang wird die isolierte betriebswirtschaftliche Optimierung einzelner Segmente der öffentlichen Daseinsvorsorge vorangetrieben. Instrumente, wie die Schuldenbremse zur Begrenzung der staatlichen Kreditaufnahme, werden langfristige Investitionen der öffentlichen Hand in Zukunft massiv behindern und diese Aufgaben auf privatwirtschaftliche Betreiber verlagern.
Deren Finanzierungskosten können jedoch nur dann begrenzt werden, wenn der Staat oder seine Bürger als Bürge eintreten. Die Renditeerwartungen der Betreiber werden die Gesamtkosten wohl kaum signifikant reduzieren. Zudem wird es immer auch Strecken geben, deren Erträge nicht ausreichen, um Bau und Unterhalt zu finanzieren. Dort muss dann im Zweifelsfalle wieder die öffentliche Hand einspringen oder man wird versuchen, das Verkehrsaufkommen auf diesen Strecken zu steigern.
Dazu kann man sogenannte Ausweichstrecken in das Mautsystem einbeziehen oder deren Benutzung durch Vorschriften einschränken oder Bonusprogramme für Vielfahrer entwickeln. Es wäre auch nicht verwunderlich, würden beispielsweise die linke Fahrspur für Premium-Kunden reserviert. Und wenn sich das Ganze nicht (mehr) lohnt, lässt man die abgewirtschaftete Infrastruktur an den Staat zurückfallen. Die VIFG will ja nicht zuletzt aus den Erfahrungen in Großbritannien lernen.
Die Maut-Systeme nutzen somit vorrangig dem aktuellen Management der Betreiber.
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