Wenige Adams und Evas

Der gemeinsam Vorfahr aller Menschen soll nach wissenschaftlichen Simulationsrechnungen vor einigen tausend Jahren gelebt haben

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Für die Kreationisten, die Anhänger der biblische Schöpfungslehre, ist die Sache sowieso klar, denn nach ihrem Glauben stammen wir sowieso alle direkt von Adam und Eva ab, wissenschaftliche Forschung zu dem Thema ist folglich völlig unnötig (vgl. Der Kreationismus und die USA). Wer aber lieber wissen möchte, als zu glauben, für den stellt sich die Frage, woher wir kommen, wie sich der moderne Mensch entwickelt hat und wer unsere direkten genetischen Vorfahren sind.

Genetische Untersuchungen haben inzwischen erwiesen, dass der Homo sapiens sapiens mit dem Neandertaler nicht verwandt ist (vgl. Kein liebevoller Neandertaler in uns). Und die meisten Anthropologen sind überzeugt, dass die modernen Menschen von Afrikanern abstammen, die sich in den letzten 100.000 Jahren über die ganze Welt ausbreiteten.

Genealogie und Verwandtschaft

Immer mehr Menschen beschäftigen sich mit ihren Vorfahren, indem sie Ahnenforschung betreiben, also die eigene genealogische Linie durch die Zeit zurück verfolgen (Das große Geschäft mit der Familie). Wer seine Ahnenreihe erforscht, tut dies meistens über die männliche Linie, ausgehend vom Familiennamen. Der dabei entstehende Stammbaum ist zeitlich durch schriftliche Aufzeichnungen begrenzt, in Mitteleuropa endet die Linie meist in der Mitte des 17. Jahrhunderts, weil die Kirchenbücher während des dreißigjährigen Krieges verbrannten.

Ob man mit den ermittelten Vorfahren wirklich genetisch verwandt ist, steht zudem doppelt in Frage, denn erstens sind nicht alle Kinder reale Nachkommen ihrer eingetragenen Väter und zweitens hinterlässt nicht jeder direkte Ahne tatsächlich signifikante genetische Anteile. Letzteres hat schon vor Jahren der Genetiker Bryan Sykes bewiesen, der die mitochondriale (weibliche) DNS von praktisch allen heutigen Europäern auf sieben Urmütter zurückführte, die vor mindestens 100.000 Jahren lebten (Die sieben Töchter Evas).

Wir stammen also alle möglicherweise von sehr wenigen Vorfahren ab. Alle anderen Menschen, die einst lebten, starben entweder, ohne Nachfahren zu zeugen, oder die Spuren ihres Erbgutes sind in ihren Kindeskindern erloschen.

Im Wissenschaftsjournal Nature veröffentlichten jetzt Douglas Rohde vom Massachusetts Institute of Technology, Steve Olson vom National Research Council und Joseph T. Chang von der Yale University die Ergebnisse ihrer verschiedenen Simulationsrechnungen zum genetischen Stammbaum heutiger Menschen (Langfassung von 30 Seiten für das American Journal of Physical Anthropology: On the common ancestors of all living humans). Ihr Befund ist erstaunlich, denn sie fanden heraus, dass alle Personen auf der Welt gemeinsame Ahnen in jüngster Vergangenheit haben. Oder wie es Joseph Chang formuliert:

Obwohl wir nicht alle "Brüder" sein dürften, legt das Modell nahe, dass wir alle in etwa Hundertstel-Cousins sind.

Adam und Eva und ihre Kinder

Jeder von uns hat einen Vater und eine Mutter, ein doppeltes Paar Großeltern, ein vierfaches Paar Urgroßeltern - und so geht exponentiell weiter. Wer sich schon einmal mit einem Stammbaum beschäftigt hat, hat vor Augen, wie viele Nachkommen über viele Generationen ein einziges Paar zeugen kann. Um alle heute lebenden Menschen gradlinig aus Adam und Eva abzuleiten, bräuchte es nur 33 Generationen, bei einem durchschnittlichen Fortpflanzungsalter von 25, also insgesamt nur 825 Jahre. Das ist natürlich unrealistisch.

Das Team um Rohde suchten nach dem jüngsten gemeinsamen Vorfahren ("most recent common ancestor") und bezog in seine statistischen Berechnungen auch Faktoren wie Geografie, Geschichte und Migration mit ein. Sie kamen auf einen "identischen Vorfahren" vor etwa 5000 Jahren oder 169 Generationen. Das bedeutet, eine Person vor 5000 Jahren war entweder Vorfahr aller heutigen Menschen oder seine Linie starb genetisch komplett aus. Vorfahr nur einiger weniger heute lebender Menschen zu sein, ist ausgeschlossen.

Die Autoren spielten am Computer mehrere Szenarien durch, wobei sie Faktoren wie unterschiedliches Bevölkerungswachstum, Isolation einzelner Gruppen und Völkerwanderungen ebenso miteinbezogen wie lokale Migration. Sie kommen zu dem Schluss, dass unser aller jüngster gemeinsamer Vorfahre wahrscheinlich vor etwa 3000 Jahren gelebt hat, wobei gewisse Unsicherheiten bleiben, die durch künftige Studien genetischer Variationen in strukturierten Bevölkerungsgruppen präzisiert werden sollten:

Unter Einbeziehung der verbleibenden Ungewissheiten bezüglich der Migrationsrate und der realistischen Paarungsstrukturen, kann das Lebensdatum des jüngsten gemeinsamen Vorfahren aller heute lebender Menschen nicht mir großer Präzision bestimmt werden. Nichtsdestoweniger legen unsere Resultate nahe, dass der jüngste gemeinsame Vorfahre der heutigen Weltbevölkerung in der jüngsten Vergangenheit lebte - vermutlich innerhalb der letzten Jahrtausende. Und einige Jahrtausende davor, waren die Vorfahren von jedem heute auf der Erde Lebenden exakt identisch, auch wenn wir genetisches Material in ausgesprochen verschiedenen Größenordnungen von den damals lebenden Personen erhalten haben. (...) Es spielt keine Rolle, welche Sprache wir sprechen oder welche unsere Hautfarbe ist, wir teilen uns die selben Vorfahren, die Reis auf den Ufern des Jangtse anbauten, als erste die Pferde in den Steppen der Ukraine domestizierten, riesige Faultiere in den Wäldern Nord- oder Südamerikas jagten und beim Bau der großen Cheops-Pyramide dabei waren.