Die sieben Töchter Evas
Genetiker machen Ahnenforschern Konkurrenz; DNA-Analysen liegen im Trend
Wollte früher jemand Genaueres über seine Vorfahren wissen, suchte er einen historisch gebildeten Ahnenforscher auf. Heute pilgern Interessierte hingegen zum Genetikexperten. Genanalysen können Verwandtschaftsbeziehungen transparent machen, versprechen einige Forscher.
Das vom Marketingstandpunkt aus betrachtet wohl erfolgversprechendste Projekt initiierte der Genetiker Bryan Sykes von der Oxford-Universität. Mit der romantischen Formel "Seven Daughters of Eve" köderte er bereits zahlreiche Menschen und verhalf ihnen über seine Firma Oxford Ancestors mittels DNA-Analyse zur jeweils entsprechenden "Urmutter".
Der wissenschaftliche Hintergrund seines Tuns ist nicht ungewöhnlich für einen Genetiker. In jahrelangen Untersuchungen wertete Sykes das Erbgut von einigen tausend Europäern aus. Der Forscher kam letztlich zum Schluss, dass sich das Erbgut anhand der Abfolge der DNS-Bausteine in sieben Gruppen einteilen lässt. Von sieben Frauen, resümiert der Spezialist für genetische Verwandtschaftsforschung, stammen 99% aller Europäer ab. Damit das Ganze nicht allzu theoretisch klingt, gab Sykes den Frauen blumige Namen. Unsere Vergangenheit heißt seitdem: Tara, Helena, Katrine, Ursula, Valda, Xenia oder Jasmine.
Wer meint, Sykes wäre ein Scharlatan, irrt. In Fachkreisen genießt er einen guten Ruf, schließlich wirkt er am renommierten Institut für Molekular-Medizin in Oxford und gehörte auch zu jenem Forschertrupp, der das Erbgut des Eismenschen Ötzi analysieren sollte. Öffentliche Kritik an seinem Projekt wird deshalb kaum zu hören sein.
Mangelden Geschäftssinn kann ihm ohnehin niemand vorwerfen. Auf einer eigenen Hompage rühmt man sich, die erste Organisation der Welt zu sein, die einen DNA-basiertes Service in der Genealogie anbietet. Interessierte können ein Bestellformular ausfüllen. Sie bekommen dann spezielle Röhrchen und Spachteln zugesandt, mit denen sie Zellen von der Mundhöhle abschaben können. Untersucht wird die mütterliche Linie über die Analyse der mitochondrialen DNA. Das darin enthaltene Erbgut vererbt sich normalerweise nur von der Mutter auf das Kind. Unfehlbar dürfte diese Methode aber nicht sein. Denn es gibt noch zu viele unerforschte Gebiete in der Gentechnologie, insbesondere bei Mutationen. Für etwa 120 Pfund schickt jedenfalls Oxford Ancestors eine Analyse mit dem Namen der Urmutter zurück.
Andere Wissenschaftler gehen an die Thematik differenzierter heran. An der Howard University in Washington, die stolz auf den hohen Anteil von Afro-Amerikanern unter ihren Studenten ist, arbeiteten Forscher mit genetischem Vergleichsmaterial aus Afrika. Matthew George, einer der Genetiker, erzählte in einem Interview folgende Begebenheit: Im Zuge der Versuche testete man auch die eigene DNA. Ein Kollege afro-amerikanischer Abstammung wies genetisches Material auf, das jenem der Menschen aus Benin sehr ähnelte. Daraufhin, berichtet Matthew George, sei der Kollege herumgetanzt und rief "Oh I'm from Benin, I'm from Benin". Darauf antwortete George: "Nein, du bist aus Plains, Georgia. Aber deine mitochondriale DNA stammt aus Benin." Diese kleine Anekdote findet sich in einem Essay, der in einem von MIT-Mitarbeitern editiertem Journal veröffentlicht wurde und dessen Verfasser ausgesprochen reflektiert die Möglichkeiten der Genetik, aber auch die Gefahr eines aufkeimenden, pseudowissenschaftlich legitimierten Rassismus aufzeigt. Solche gesellschaftspolitischen Problemfelder blenden Forscher vom Schlage Sykes aus.
Die Idee, Ahnenforschung mit der Genetik zu revolutionieren, überlagert offensichtlich alle Bedenken. So plant der Leiter der amerikanischen Firma Sorenson Bioscience, laut einem Bericht der Welt ein Massenscreening, um die Familienforschung mithilfe von Genanalysen voranzutreiben. 100 000 Freiwillige sollen ihren genetischen Fingerabdruck zur Verfügung stellen. Das Projekt "DNS-Genealogie" sieht vor, "dass Amerikaner, deren Vorfahren aus beliebigen Orten in Europa stammen, ihre DNS mit Freiwilligen aus 'alteingesessenen' Familien dieser Orte vergleichen", berichtet die "Welt". Wie Sykes ist auch James L. Sorenson kein No-Name in der Genforschung. Immerhin ist der Amerikaner am weltweiten "Human Genom Project" beteiligt, das die Entschlüsselung des menschlichen Erbguts betreibt. Für sein Genealogie-Projekt konnte er den Mikrobiologen Professor Scott Woodward gewinnen. Für die geschätzten Kosten von zehn, "möglicherweise sogar 100 Millionen Dollar" müssen aber erst private Sponsoren gefunden werden.
Wer unbedingt mehr über seine Vorfahren wissen möchte, sollte vielleicht aber doch wieder die altmodischen Genealogen bemühen, die in staubigen Büchern blättern und historische Dokumente untersuchen. Eine der umfangreichsten Datensammlungen ist mittlerweile sogar teilweise digitalisiert. Millionen von Personenangaben können aus dem Mormonen-Center in Salt Lake City abgerufen werden. Beruhigendes Detail am Rande: Seinen genetischen Fingerabdruck muss dafür niemand an einen Forscher und seine Datenbank abliefern.