"Weniger Brüssel, mehr Nationalstaaten!"

Seite 2: Das missionarische Polen und das eher pragmatische Ungarn

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Wie Orban dann im kommenden Wahlkampf Anfang 2018 mit der Opposition umspringt, kann übrigens als Blaupause für das Verhalten der von Kaczynski bestimmten polnischen Regierung gelten. Auch Kaczynski verlangt in seiner Umgebung absolute Loyalität. Allerdings gibt es den entscheidenden Unterschied, dass Kaczynski selbst offiziell kein Amtsträger ist und rein formal nur Empfehlungen gibt. Auch kann sich Orban viel selbstbewusster im Umgang mit den Regierungschefs innerhalb des Europarats bewegen als die oft verunsichert wirkende Beata Szydlo.

Während Orban als charmanter wie dreister Pfiffikus agiert, der für sein Land innerhalb der EU das Beste herausschlagen will, zeigt die Warschauer Regierung, die ein viel größeres Land repräsentiert, oft ein Sendungsbewusstsein gegenüber anderen EU-Mitgliedern: "Europa erhebe dich von den Knien und erwache aus Deiner Lethargie, sonst wirst Du Deine Kinder beweinen", rief Szydlo nach dem Anschlag in Manchester im Sejm aus.

Ob das missionarische Polen und das eher pragmatische Ungarn angesichts der anstehenden Konflikte mit Brüssel wirklich gemeinsam durch dick und dünn gehen? Von Bedeutung ist, dass sich beide Länder mit einem Veto unterstützen, sollte gegen eines der Entzug der Stimme im Europarat gefordert werden. Dieser Stimmenentzug ist nur mit einstimmigem Beschluss aller Mitglieder möglich.

Erste Risse in der Einheit

Doch es gab bereits einen Riss im Kitt des ungarisch-polnischen Widerstands gegen Brüssel: Als Polen im Frühjahr einen eigenen Kandidaten für das Amt des Präsidenten des Europäischen Rates aufstellte, machte Ungarn nicht mit und wählte wie alle EU-Länder Donald Tusk, den in der PiS verhassten ehemaligen Premier des Landes, zum zweiten Mal ins Amt. Auch die zunehmend engeren Kontakte Orbans zu Wladimir Putin (wirtschaftsund energiepolitischer Art) bergen Konfliktpotential, das derzeit von den Medien des polnischen Regierungslagers ausgeklammert wird.

Orban, der nur auf einer Konferenz mit Szydlo auftrat und keine Fragen der Medienvertreter beantworten musste, wurde kurz vor Verlassen des Sejms auf seine Russlandkontakte von einem Journalisten angesprochen, tat dies als "Business" ab und eilte vor weiteren Fragen aus dem Parlamentsgebäude. Polen hingegen setzt sich für Sanktionen gegen Russland ein und befürchtet wie die baltischen Länder einen militärischen Übergriff des Kremls.

In Sachen Russland wird Kaczynski kaum auf den Putin-Freund Orban zählen können, wie etwa im Streit um die von Polen abgelehnte Pipeline Nord Stream 2, die Europa stärker von russischen Gaslieferungen abhängig machen würde. Auch in der Visegrad-Gruppe, die Polen gerne als Interessenbollwerk gegen die EU-Ansprüche verstehen würde, kann es mit der Einheit schnell vorbei sein.

So konnte der französische Präsident mit Deals zum Entsendungsgesetz die Gruppe vor kurzem teilen, zu der neben Polen und Ungarn auch die Slowakei und Tschechien gehören. Letztere stimmten für eine Reform, mit der Emmanuel Macron seinen Arbeitsmarkt vor Lohndumping durch Arbeitnehmer aus den östlichen Mitgliedsstaaten schützen will.

Sollte nun die elastische ungarische Führung Warschau in einer wichtigen Frage im Stich lassen, so könnte sich die Wagenburgstimmung in Polen noch mehr verschlimmern, worunter das oppositionelle Lager zu leiden hätte. Der persönliche Groll Kaczynskis wird dann keine unerhebliche Rolle spielen.