Wenn Amok und Faschismus zusammenfallen

Seite 2: Keine umgekehrte Sympathisantenjagd!

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Vor allem für Menschen mit Migrationshintergrund ist es wichtig, dass sie mit ihren Ängsten nicht allein gelassen werden. Gerade die Verwandten der Opfer der NSU-Mörder mussten Jahre lang mit dem Stigma leben, dass sie selber am Tod ihrer Angehörigen Schuld sind. Das hat Aysum Bademsoy in dem Film Spuren - die Opfer des NSU noch mal gut dargestellt. Eine klare Benennung des rassistischen Charakters der Mordtat ist daher sehr zu begrüßen.

Doch besonders außerparlamentarische Gruppen sollten nicht in die Falle einer umgekehrten Sympathisantenjagd gehen. In den 1977er Jahren gerieten alle linken Gruppen, die den Kapitalismus kritisierten, und selbst liberale Schriftsteller wie Heinrich Böll, die Kritik an den deutschen Verhältnissen übten, in den Verdacht, der Rote-Armee-Fraktion zuzuarbeiten. Noch bis in die 1990er Jahre wurden von Konservativen die Grünen als parlamentarischer Arm von militanten Linken bezeichnet.

Das mag man sich heute kaum mehr vorstellen, wo die Grünen doch die ideellen bürgerlichen Demokraten spielen. Doch wenn nun Cem Özdemir die AfD als parlamentarischen Arm der bewaffneten Neonazis bezeichnet, wird das zumindest im Fall von Hanau schwer nachzuweisen sein. Es gilt auch bei der rechten Szene zwischen unterschiedlichen Spektren zu differenzieren, wie es vor 40 Jahren von linker Seite auch berechtigterweise eingefordert wurde.

Um Rechte adäquat kritisieren zu können, sollte eben auch analysiert und differenziert werden. So wie nicht alle Wege des Sozialismus nach Moskau führten, wie die CDU in den 1950er Jahren gegen die SPD gerichtet plakatieren ließ, so führen nicht alle Wege von Gruppen, die sich rechts der Union tummeln, in ein neues 1933 und nach Auschwitz.

Das macht ihre Gesellschaftsvisionen nicht sympathisch, nur sollte man sie eben analysieren und einordnen, bevor man sie bekämpft. Wenn man nun nach den faschistischen Amokmorden gleich alles, was sich rechts der Mitte tummelt, in einen Sack steckt, bedient man nur den Mitte-Mythos.

Was haben die rechten Amok-Morde mit der kapitalistischen Verfasstheit der Welt zu tun?

Eine unabhängige linke Kritik hätte vielmehr zu fragen, was die rechten Amokmorde in aller Welt auch mit dem Wahnsinn der kapitalistischen Verhältnisse zu tun haben. Was bedeutet es in einer Gesellschaft zu leben, in der wir tagtäglich radikal individualisiert werden und uns gleichzeitig beigebracht wird, nur durch maximale Anpassung an das Bestehende eine Überlebenschance zu haben?

Wie gehen wir mit den Schäden um, den die kapitalistische Gesellschaft täglich den Menschen und der Natur beibringt? Und vor allem, wie gehen wir damit um, dass kollektives solidarisches Handeln oft gar nicht mehr bekannt ist und so die Unabänderlichkeit der Verhältnisse als Naturgesetz gilt?

Diese Fragen muss man sich stellen, wenn es um die Ursachenforschung der rechten Amokmorde geht, die über ein Beschwören des Mitte Mythos und dem Bekenntnis dem "Hass keine Chance" hinausgeht.