Wenn Geist und Macht aufeinandertreffen
Zu Jürgen Habermas‘ Entscheidung gegen eine mit 225.000 Euro dotierte Auszeichnung aus Abu Dhabi
Eigentlich wollte Jürgen Habermas einen hoch dotierten Buchpreis der Vereinigten Arabischen Emirate annehmen, den Sheikh Zayed Book Award, der ihm mit der Auszeichnung "kulturelle Persönlichkeit des Jahres" verliehen werden sollte. Gemeinhin werden mit diesem Literaturpreis jährliche "arabische Schriftsteller, Intellektuelle, Verleger sowie junge Talente" ausgezeichnet, deren Schriften und Übersetzungen das arabische kulturelle, literarische und soziale Leben wissenschaftlich und objektiv bereichert haben".
Der Hauptpreis ist mit einer Million Dirhams – rund 225.000 Euro – überaus lukrativ und eine der weltweit höchstdotierten Auszeichnungen für Autoren. Das wird wohl auch der wohl bedeutendste lebende deutschsprachige Philosoph wahrgenommen haben, als er den Preis zunächst akzeptierte.
Kann sich ein Philosoph leisten, so viel Geld auszuschlagen, auch wenn dieses von einem Staat und Regierungsverantwortlichen kommt, die gegen die allermeisten Werte der kommunikativen Aufklärung stehen, für die sich Habermas Zeit seines Lebens so engagiert eingesetzt hat: Freiheit im Ausdruck und Toleranz der Kritik?
Abu Dhabi und seine Herrscher stehen dagegen – wie so viele Länder des Nahen und Mittleren sowie islamisch geprägten Osten – für die Unfreiheit derjenigen Menschen, die Regierungen frei und offen kritisieren. Sie stehen damit für die systematische Unterdrückung unabhängiger öffentlicher Meinungen sowie gegen jegliche demokratische Ansprüche.
Wie in Europa vor dem späten 18. Jahrhundert – und teils auch weit darüber hinaus – sehen sich die Herrscher dort in einer Welt, in der sie via natura über absolute Rechte und Regierungsgewalten verfügen.
Besonders deutlich wird dies im wissenschaftlichen Bereich: Gerade Naturwissenschaftler gehörten vor und im 18. Jahrhundert zu den Verfolgten. Und wenn man die Anzahl der Physik-, Chemie- oder Medizin-Nobelpreisträger betrachtet, die heute aus islamischen Ländern kommen, dann kann man schnell beantworten, weshalb deren Zahl überschaubar ist.
Bis heute kommen gerade einmal zwei wissenschaftliche Nobelpreisträger aus dem islamischen Kulturkreis: Abdus Salam, Pakistan, Nobelpreis für Physik 1979, und Ahmed Zewail, Ägypten, Nobelpreis für Chemie 1999.
Die mit der Verleihung dieses Preises verbundenen Probleme hatte Habermas zunächst übersehen und sogar betont, wie gut es sei, dass seine Bücher auch ins Arabische übersetzt würden und damit Einfluss auf das dortige philosophische Denken hätten.
Dabei war er, wie er selber sagte, stark von Jürgen Boos, dem Direktor der Frankfurter Buchmesse, beeinflusst worden. Boos habe "Bedenken, die auf der Hand liegen, zerstreut". Erst die Lektüre eines Spiegel-Artikels hat Habermas wohl umgestimmt.
So konstatiert der Philosoph, dass das Geld und die Macht zumeist die Oberhand gewinnen, aber dies nur kurzfristig. Wörtlich schrieb er:
Der heutige Spiegel-Artikel zu diesem Thema endet mit dem Satz: "Gewöhnlich gewinnt, wenn Geist und Macht aufeinandertreffen, die Macht." Kurzfristig ja; aber auf längere Fristen glaube ich an die aufklärende Macht des kritischen Wortes, wenn es nur ans Licht der politischen Öffentlichkeit dringt. Dafür genügen auch meine dankenswerterweise ins Arabische übersetzten Bücher.
Jürgen Habermas
Solche Worte wiegen historisch schwer. Und ein Blick in die Geschichte zeigt, welche Tiefe sie haben können. Denn erst die Artikulation offener kritischer Worte gegenüber den Machthabern während der Aufklärung, so schwierig sie auch waren und mit welch unangenehmen Konsequenzen sie für ihre Aussprecher verbunden waren, hat sowohl die US-amerikanische als auch die Französische Revolution, die bedeutendsten praktischen Schritte in die moderne Demokratie, ermöglicht.
So ist es keine Überraschung, dass Habermas für seine Worte der Ablehnung des Preises auch vom Spiegel gelobt wird. Dessen Ausland-Redakteur Dietmar Pieper kommentierte:
Habermas hat sich für neue Informationen und Argumente offen gezeigt - etwas, das vielen Menschen schwerfällt. Bei einem 91-Jährigen, der ein monumentales Lebenswerk geschaffen hat, erscheint diese unverminderte geistige Beweglichkeit sensationell.
Dietmar Pieper, Der Spiegel
Doch diese Einsicht ist eben selbst für Habermas nicht immer ganz so einfach. In der heutigen Zeit ist die Nähe zu den Diktatoren keine Seltenheit. Sich auf diese Nähe einzulassen und finanziell von ihr bedeutend zu profitieren, kann verführerisch sein. Gut, dass sich Habermas dem Angebot aus Abu Dhabi im letzten Moment doch noch verweigert hat.
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