Wenn Politiker "Katastrophen üben"
CDU/CSU-Fraktionchef rechnet im Zuge der Klimakrise mit Dürren, Hochwasser sowie neuen Pandemien und will Vorbereitung auf "alle nationalen und europäischen Notstände"
Im ersten Teil der Rede von Unionsfraktionchef Ralph Brinkhaus (CDU) am Donnerstag im Bundestag war klar: Dieser Mann gehört einer Regierungspartei an und verteidigt gerade die verlängerten Lockdown-Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie gegen Kritik von FDP-Chef Christian Lindner. "Der Lockdown wirkt", sagte Brinkhaus - und es sei "erbärmlich", dass Lindner versuche, auf diese Weise Wahlkampf zu machen, "in der schwersten Krise, die diese Republik hat". In Umfragen zeige sich, dass dies nicht gut ankomme. "Freiheit ist auch immer die Freiheit der Schwachen" sagte Brinkhaus mit Blick auf Ältere und Vorerkrankte, die durch das Coronavirus besonders gefährdet sind - das klang schon nicht mehr hundertprozentig nach CDU.
Wenige Minuten später sprach Brinkhaus dann über kommende Katastrophen im Zusammenhang mit der Umwelt- und Klimakrise. Wer ihm da noch zuhörte, musste sich ernsthaft fragen, ob dieser Mann wirklich einer Partei angehört, die es für richtig hält, den Kohleausstieg erst 2038 abzuschließen - und die das auch noch "gut für Klima, Natur und Umwelt in Deutschland" findet.
Notstand als Schlüsselwort
Er mache sich Sorgen, dass wir uns nach der Pandemie nicht hinreichend mit den Katastrophen beschäftigen würden, die noch auf uns zukämen, so der CDU-Politiker. "Denn diese Pandemie wird nicht die letzte Katastrophe sein, sie wird nicht die letzte Pandemie sein", sagte Brinkhaus. Die nächste Katastrophe könne "im Cyberbereich" stattfinden, es könnten aber auch "Klimafolgen" wie Dürre oder Hochwasser "und viele andere Sachen" sein, so der Unionsfraktionschef. Selbstkritisch räumte er ein: "Wir hatten auch eine Risikoanalyse zu Pandemien, aber wir haben sie nicht ernst genug genommen". Deshalb müsse sich die Politik intensiver "mit einer Katastrophenvorsorge beschäftigen", sagte Brinkhaus. Gemeint war natürlich kein früherer Kohleausstieg und auch nicht mehr Geld für eine sozial-ökologische Verkehrswende.
"Wir müssen und grundsätzlich damit beschäftigten: Was ist denn bei nationalen Notständen? - Wir haben eine Notstandsgesetzgebung im wesentlichen für den Verteidigungsfall. Aber wir glauben doch alle nicht, dass die nächste große Katastrophe in diesem Land der Verteidigungsfall sein wird, sondern das wird etwas anderes sein", stellte Brinkhaus klar, ging aber nicht darauf ein, dass seine Parteifreundin Annegret Kramp-Karrenbauer als Wehrministerin trotzdem den Bundeshaushalt mit großen Rüstungsprojekten belasten will.
Stattdessen sagte Brinkhaus: "Und ja: Wir müssen das Verhältnis Exekutive und Legislative auch klären und definieren, und zwar für alle Katastrophen und für alle nationalen und europäischen Notstände." Bund und Länder müssten Katastrophenstäbe schaffen, die 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche in Bereitschaft seien, so Brinkhaus. "Wir müssen Katastrophen üben, wir müssen Automatismen schaffen." Die Corona-Krise wäre aus seiner Sicht "eine vergeudete Krise, wenn wir nicht daraus lernen".
Andere Lehren
Andere Lerneffekte hätte sich zum Beispiel die innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag, Ulla Jelpke, gewünscht: "Wir müssen nicht in erster Linie den Umgang mit Katastrophen üben, sondern vor allem alles Menschenmögliche tun, um die Katastrophen zu vermeiden, auf die wir sehenden Auges zusteuern.", erklärte sie am Donnerstag gegenüber Telepolis. "Dies gilt insbesondere für die von Brinkhaus genannten Klimakatastrophen. Denn denen ist nicht mit technischen Mitteln und einer besseren Bund- Länder-Koordination beizukommen. Hier brauchen wir vielmehr einen radikalen sozial-ökologischen Wandel in Politik und Wirtschaft, um die Katastrophe zu stoppen."
Die Lehre aus der Pandemie sei vielmehr, "dass wir Katastrophen nicht gut meistern können, wenn wir das Gesundheitssystem und den Katastrophenschutz kaputtgespart und wichtige Bereiche der öffentlichen Infrastruktur privatisiert haben. Da müssen wir unbedingt gegensteuern." Dass Gesundheitsämter und Impfzentren nur noch mit Unterstützung von Soldaten der Bundeswehr über die Runden kommen, ist laut der Oppositionspolitikerin genau darauf zurückzuführen, dass der Rüstungsetat aufgebläht und dafür in lebenswichtigen zivilen Bereichen gespart wurde.
Brinkhaus selbst ließ die Anfrage von Telepolis, ob seine Partei und die Bundesregierung jetzt um jedes Zehntel Grad kämpfen, um den menschengemachten Klimawandel zu begrenzen, am Donnerstag unbeantwortet.
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